Der Erfolg von Familienfirmen
Der amerikanische Wirtschaftshistoriker David Landes hat für sein Buch die Geschichten der Rothschilds, Fords, Agnellis, Rockefellers und Toyodas unter die Lupe genommen. Ihren Erfolg begründet er unter anderem damit: Wer für die eigene Familie arbeitet, kennt keinen Feierabend. Der Vorstand tagt am Esstisch – und ist stets mit dem Betriebsrat identisch.
Alles begann in einer stinkenden Gasse. Drei Meter maß sie von einer Seite zur anderen, auf jeder duckten sich kleine Häuser. Als die Judengasse in Frankfurt gebaut wurde, planten die Stadtoberen, dass 200 Personen dort wohnen sollten, doch bald waren es 3000, darunter auch die Familie Rothschild. Heute ist Rothschild weltweit ein Begriff. Der Name steht für eines der traditionsreichsten Bankhäuser der Welt, für Rotweine und auch für das Reiseunternehmen Club Mediterranée, das ein Rothschild in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut hat.
Wie haben die Rothschilds diesen Aufstieg geschafft? David Landes geht in seinem neuen Buch weit zurück – eben bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts, als Mayer Amschel Rothschild, der Urvater der Unternehmerdynastie, in der engen Judengasse Frankfurts mit Waren handelte.
"Die Familie bewohnte... zwei Schlafzimmer, eines für Mayer Amschel und seine Frau Gutle, die ein Kind nach dem anderen produzierten..., das andere für die Kinder: Jungen und Mädchen jeden Alters, aufeinander gestapelt," schreibt Landes. "Sie alle wurden, sobald sie alt genug waren, in den Familienbetrieb eingespannt. Mayer brauchte ihre Hände und Köpfe, und zu wem hätte er mehr Ver- und Zutrauen haben können als zu seinem eigenen Fleisch und Blut? Die Mädchen erledigten die Schreibarbeit, während die Jungen die Güter umschlugen."
In dieser Verbindung von Familie und Firma lag das Erfolgsgeheimnis der Rothschilds. Je dicker das Blut, desto besser die Bilanzen, so lautet Landes’ These. Früher hat der 83-jährige Amerikaner Wirtschaftsgeschichte an der Harvard Universität gelehrt. Nun, mit der Erfahrung und der Gelassenheit eines Emeritus erzählt Landes die Entwicklung von elf großen Unternehmerdynastien wie den Agnellis, den Rockefellers und den Toyodas. Der derzeitige Hauptstrom unter den Historikern, so beklagt Landes, "ignoriert die Familienfirma als Gegenstand seriöser Forschung und hat sie fast schon als überholtes und bedeutungsloses Relikt abgeschrieben."
Der Fokus richte sich auf managergeführte Unternehmen. Das sei jedoch ein großer Fehler, denn die allermeisten Firmen seien Familienbetriebe, die wiederum zwei Drittel der Arbeitsplätze und der Wirtschaftskraft schüfen.
Übrigens bilden gerade in den Entwicklungsländern Familien das wirtschaftliche Rückgrat. Die Mittals aus Indien sind ein gutes Beispiel. Sie produzieren Stahl, erst im eigenen Land, mittlerweile weltweit. Für die Dritte Welt fordert Landes einen "Familienkapitalismus", er sei die beste Hilfe. Offenbar hat das Nobelpreiskomitee Landes’ Buch gelesen: 2006 ging der Friedensnobelpreis an Mohammed Junus, einen Banker, der mit Kleinkrediten Familien in Bangladesh dabei unterstützt, eine eigene Firma aufzubauen. Und auch für uns in den entwickelten Ländern hält Landes eine interessante Botschaft bereit. Wir reden viel über Familienpolitik, doch welche wirtschaftliche Seite dieses Thema hat, darüber wird hierzulande nie geredet.
Dabei kann eine intakte Familie ungeheure Unternehmerkraft entfalten. Eltern und Kinder, Geschwister, Nichten und Neffen halten zusammen, sie kennen sich bestens und vertrauen einander. Familien können ihre Mitarbeiter – nämlich die eigenen Verwandten – besonders gut motivieren. Wer für die eigene Familie arbeitet, kennt keinen Feierabend. Der Vorstand tagt am Esstisch – und ist stets mit dem Betriebsrat identisch.
Wie es sich für einen Amerikaner gehört, schwärmt Landes von den Familien, die so erfolgreich ihr Glück schmieden. Doch er verkauft seinen Leser nicht für dumm und verweist auch auf die Risiken. Manchmal siegen sich Familienunternehmen in den Ruin. Denn je reicher die Nachfahren, desto dekadenter werden sie. Am Ende interessieren sie sich nur noch für Bälle, Pferde und die Jagd – aber nicht mehr für die Arbeit. Davon blieben sogar die Rothschilds nicht verschont. Sie waren allerdings so geschäftstüchtig, dass sie mitunter aus ihrem Freizeitvergnügen Geld machten. Auf ihren Landgütern entwickelten die Rothschilds die Weine Chateau Lafite und die Bordeaux-Sorte Mouton, eine Quelle für neuen Reichtum.
Dekadenz lautet die erste Gefahr für den Erfolg von Familienunternehmen – technischer Fortschritt eine weitere. Denn keine Familie bringt andauernd Genies hervor. Deshalb bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Sachverstand von außen einzukaufen. Dann stehen freilich Konflikte zwischen den angestellten Managern und den Eignern ins Haus.
Besonders klar zeigt das Landes am Beispiel von Ford. Der Autobauer holte mit Robert McNamara, dem späteren US-Verteidigungsminister, und Lee Iacocca zwei Schwergewichte in die Firma. Es kam zu Machtkämpfen, doch letztlich setzte sich immer die Familie durch. Noch heute kontrollieren die Fords Ford, immerhin der drittgrößte Autobauer der Welt – und das obwohl es auch immer wieder Streit innerhalb der Familie gegeben hat, womit Landes die dritte und vielleicht größte Gefahr für ein Familienunternehmen nennt. Henry Ford, der herrschsüchtige Unternehmensgründer, drangsalierte zum Beispiel seinen Sohn Edsel. Er gab auf seine Weise nach und starb mit 49 Jahren, vier Jahre vor dem Patriarchen. Übrigens spielten bei den Streitigkeiten innerhalb der Fordfamilie oft die Frauen eine ausgleichende Rolle zum Wohl der Firma.
Diese und andere Geschichten schildert Landes. Dabei hält er keine Neuigkeiten bereit, das meiste hat er aus anderen Biografien zusammengeschrieben. Deshalb könnte man fragen, ob das Buch wichtig ist und wie es die Welt voranbringt. Antwort: wenig. Doch das entwertet das Buch nicht. Landes plaudert einfach. Er unterhält den Leser auf intelligente und interessante Weise, und das ist auch ein Wert an sich. Oft bedauert man, wenn deutsche Verlage Lizenzausgaben ihrer amerikanischen Partner, ohne groß auf die Qualität zu achten, nachdrucken, nur weil es so schön billig ist. Das gilt auch für Siedler, das mittlerweile zur Verlagsgruppe Randomhouse gehört. Bei Landes jedoch erweist sich diese Kooperation als Glücksfall.
Rezensiert von Hartmut Kühne
David Landes: Die Macht der Familie. Wirtschaftsdynastien in der Weltgeschichte.
Übersetzt von Karl Heinz Siber
Siedler Verlag, München 2006.
480 Seiten, 24,95 EUR.
Wie haben die Rothschilds diesen Aufstieg geschafft? David Landes geht in seinem neuen Buch weit zurück – eben bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts, als Mayer Amschel Rothschild, der Urvater der Unternehmerdynastie, in der engen Judengasse Frankfurts mit Waren handelte.
"Die Familie bewohnte... zwei Schlafzimmer, eines für Mayer Amschel und seine Frau Gutle, die ein Kind nach dem anderen produzierten..., das andere für die Kinder: Jungen und Mädchen jeden Alters, aufeinander gestapelt," schreibt Landes. "Sie alle wurden, sobald sie alt genug waren, in den Familienbetrieb eingespannt. Mayer brauchte ihre Hände und Köpfe, und zu wem hätte er mehr Ver- und Zutrauen haben können als zu seinem eigenen Fleisch und Blut? Die Mädchen erledigten die Schreibarbeit, während die Jungen die Güter umschlugen."
In dieser Verbindung von Familie und Firma lag das Erfolgsgeheimnis der Rothschilds. Je dicker das Blut, desto besser die Bilanzen, so lautet Landes’ These. Früher hat der 83-jährige Amerikaner Wirtschaftsgeschichte an der Harvard Universität gelehrt. Nun, mit der Erfahrung und der Gelassenheit eines Emeritus erzählt Landes die Entwicklung von elf großen Unternehmerdynastien wie den Agnellis, den Rockefellers und den Toyodas. Der derzeitige Hauptstrom unter den Historikern, so beklagt Landes, "ignoriert die Familienfirma als Gegenstand seriöser Forschung und hat sie fast schon als überholtes und bedeutungsloses Relikt abgeschrieben."
Der Fokus richte sich auf managergeführte Unternehmen. Das sei jedoch ein großer Fehler, denn die allermeisten Firmen seien Familienbetriebe, die wiederum zwei Drittel der Arbeitsplätze und der Wirtschaftskraft schüfen.
Übrigens bilden gerade in den Entwicklungsländern Familien das wirtschaftliche Rückgrat. Die Mittals aus Indien sind ein gutes Beispiel. Sie produzieren Stahl, erst im eigenen Land, mittlerweile weltweit. Für die Dritte Welt fordert Landes einen "Familienkapitalismus", er sei die beste Hilfe. Offenbar hat das Nobelpreiskomitee Landes’ Buch gelesen: 2006 ging der Friedensnobelpreis an Mohammed Junus, einen Banker, der mit Kleinkrediten Familien in Bangladesh dabei unterstützt, eine eigene Firma aufzubauen. Und auch für uns in den entwickelten Ländern hält Landes eine interessante Botschaft bereit. Wir reden viel über Familienpolitik, doch welche wirtschaftliche Seite dieses Thema hat, darüber wird hierzulande nie geredet.
Dabei kann eine intakte Familie ungeheure Unternehmerkraft entfalten. Eltern und Kinder, Geschwister, Nichten und Neffen halten zusammen, sie kennen sich bestens und vertrauen einander. Familien können ihre Mitarbeiter – nämlich die eigenen Verwandten – besonders gut motivieren. Wer für die eigene Familie arbeitet, kennt keinen Feierabend. Der Vorstand tagt am Esstisch – und ist stets mit dem Betriebsrat identisch.
Wie es sich für einen Amerikaner gehört, schwärmt Landes von den Familien, die so erfolgreich ihr Glück schmieden. Doch er verkauft seinen Leser nicht für dumm und verweist auch auf die Risiken. Manchmal siegen sich Familienunternehmen in den Ruin. Denn je reicher die Nachfahren, desto dekadenter werden sie. Am Ende interessieren sie sich nur noch für Bälle, Pferde und die Jagd – aber nicht mehr für die Arbeit. Davon blieben sogar die Rothschilds nicht verschont. Sie waren allerdings so geschäftstüchtig, dass sie mitunter aus ihrem Freizeitvergnügen Geld machten. Auf ihren Landgütern entwickelten die Rothschilds die Weine Chateau Lafite und die Bordeaux-Sorte Mouton, eine Quelle für neuen Reichtum.
Dekadenz lautet die erste Gefahr für den Erfolg von Familienunternehmen – technischer Fortschritt eine weitere. Denn keine Familie bringt andauernd Genies hervor. Deshalb bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Sachverstand von außen einzukaufen. Dann stehen freilich Konflikte zwischen den angestellten Managern und den Eignern ins Haus.
Besonders klar zeigt das Landes am Beispiel von Ford. Der Autobauer holte mit Robert McNamara, dem späteren US-Verteidigungsminister, und Lee Iacocca zwei Schwergewichte in die Firma. Es kam zu Machtkämpfen, doch letztlich setzte sich immer die Familie durch. Noch heute kontrollieren die Fords Ford, immerhin der drittgrößte Autobauer der Welt – und das obwohl es auch immer wieder Streit innerhalb der Familie gegeben hat, womit Landes die dritte und vielleicht größte Gefahr für ein Familienunternehmen nennt. Henry Ford, der herrschsüchtige Unternehmensgründer, drangsalierte zum Beispiel seinen Sohn Edsel. Er gab auf seine Weise nach und starb mit 49 Jahren, vier Jahre vor dem Patriarchen. Übrigens spielten bei den Streitigkeiten innerhalb der Fordfamilie oft die Frauen eine ausgleichende Rolle zum Wohl der Firma.
Diese und andere Geschichten schildert Landes. Dabei hält er keine Neuigkeiten bereit, das meiste hat er aus anderen Biografien zusammengeschrieben. Deshalb könnte man fragen, ob das Buch wichtig ist und wie es die Welt voranbringt. Antwort: wenig. Doch das entwertet das Buch nicht. Landes plaudert einfach. Er unterhält den Leser auf intelligente und interessante Weise, und das ist auch ein Wert an sich. Oft bedauert man, wenn deutsche Verlage Lizenzausgaben ihrer amerikanischen Partner, ohne groß auf die Qualität zu achten, nachdrucken, nur weil es so schön billig ist. Das gilt auch für Siedler, das mittlerweile zur Verlagsgruppe Randomhouse gehört. Bei Landes jedoch erweist sich diese Kooperation als Glücksfall.
Rezensiert von Hartmut Kühne
David Landes: Die Macht der Familie. Wirtschaftsdynastien in der Weltgeschichte.
Übersetzt von Karl Heinz Siber
Siedler Verlag, München 2006.
480 Seiten, 24,95 EUR.