Der Einfluss des religiösen Flügels in den USA

Von Andreas Malessa · 23.11.2005
Bislang ist der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, wie die US-evangelikalen Fernsehprediger und Kirchen-Lobbyisten in den USA ihre innen- und außenpolitischen Forderungen begründen und auf welchen Wegen sie sich Zugang zum Weißen Haus verschaffen. Darüber informiert Barbara Victor, in ihrem Buch "Beten im Oval Office. Christlicher Fundamentalismus in den USA und die internationale Politik."
"In Amerika kann man nicht an Gott glauben, ohne auch an die Nation zu glauben. Gott und der Patriotismus treten bei uns immer zusammen auf."

Und das wollen Europäer nicht wahrhaben oder können es nicht verstehen. Barbara Victor, die 60-jährige Nahost-Korrespondentin des US-Fernsehsenders CBS, wohnt in Paris und findet es leichtsinnig und arrogant, wenn europäische Intellektuelle den Einfluss evangelikaler Fernsehprediger auf die US-Wähler und die Gewählten im Weißen Haus unterschätzen:

"Die politische Wirkung von Fernsehgottesdiensten hat zugenommen mit einer neuen Generation rechtskonservativer Prediger, die klug und gut organisiert sind und etwa 90 Millionen US-Bürgern eingehämmert haben: Fromm sein heißt, eine politische Agenda zu haben."

Die innenpolitische Agenda der religiösen Rechten in den USA ist bekannt: Verbot der Abtreibung, Verbot gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, Förderung einer biblisch buchstabengläubigen Schöpfungslehre statt der Evolutionstheorie an Schulen, Erhalt der Todesstrafe. Was aber sind ihre außenpolitischen Ziele? In ihrem Buch "Beten im Oval Office" aus dem Züricher Pendo-Verlag beschreibt die streitbare Fernsehjournalistin das theologische Selbstverständnis und die daraus resultierenden Ziele christlicher Fundamentalisten so:

"Am 20. September 2001 hielt der damalige Justizminister John Ashcroft, ein frommer Anhänger der Pfingstkirche, eine Rede vor religiösen Rundfunkmachern, in der er feststellte : "Die Angriffe gegen die USA beweisen, dass die USA eine von Gott auserwählte Nation sind und sich in einem gerechten Krieg gegen das Böse befinden.""

Der Krieg im Irak, ein möglicher Krieg gegen den Iran oder das seit dem 11. September psychotisch hochgehaltene Misstrauen gegen alle Muslime stehen für US-Evangelikale im Zusammenhang mit einem biblisch verheißenen endzeitlichen Kampf zwischen Gut und Böse.

"Das Verhältnis evangelikaler Christen zum jüdischen Volk ist positiv bestimmt durch den Glauben, Jesus komme erst dann als Messias auf die Erde zurück, wenn ganz Palästina unter jüdischer Herrschaft steht. Der Bund Gottes mit Abraham wird als Absage an einen Palästinenserstaat verstanden. Negativ aber spenden Evangelikale viel dafür, dass die Juden doch Jesus als den Messias anerkennen, also bitte Christen werden. Ariel Sharon sagte mir dazu : Wenn der Messias kommt, werde ich ihn fragen, ob er das erste Mal hier ist - wie wir Juden glauben - oder bereits das zweite Mal. Bis dahin muss ich mit diesen Leuten befreundet bleiben. "

Seit Ariel Sharon den Gazastreifen räumte, ist er bei potenten Spendern und mächtigen Lobbyisten aus dem amerikanischen Bibelgürtels in Ungnade gefallen. Gegen den sozialistischen Regierungschef von Venezuela, Hugo Chavez, äußerte Fernsehprediger Pat Robertson sogar einen Mordaufruf. Ähnlichkeiten mit einer islamistischen "Fatwa" sind nicht zufällig. Barbara Victors süffisant geschriebene Materialsammlung "Beten im Oval Office" ist naturgemäß ein polemisches Buch. Hart an der Grenze zur Verschwörungstheorie, bisweilen holprig übersetzt, aber anrührend in seiner Eindringlichkeit, die weltanschauliche Neutralität eines aufgeklärten demokratischen Rechtsstaats zu verteidigen. Die US-Autorin selbst hat allerdings resigniert:

"I love my country, but it's not my country anymore. "

Barbara Victor: Beten im Oval Office.
Christlicher Fundamentalismus und internationale Politik.

Aus dem Amerikanischen von Gottfried Röckelein
Pendo Verlag Zürich 2005
341 Seiten. 19,90 Euro.