Der eigene Körper als Klangobjekt

Von Camilla Hildebrandt · 03.06.2008
Camille ist Frankreichs ungewöhnlichste Vokalkünstlerin. Die 30-jährige Pariserin - die mit bürgerlichen Namen Camille Dalmais heißt - erzeugt die kuriosesten Klänge und setzt dabei ihren ganzen Körper als Instrument ein. Ihr zweites Album "Le Fil" brachte ihr Doppelplatin ein. Nun singt sie erstmals auch auf Englisch.
"Ich wollte niemals in eine Musikschule gehen, Examen ablegen, auf einer Wertescala begutachtet werden, das hat für mich überhaupt keinen Sinn...

... für mich ist das ein absolut persönlicher, freier Weg, den ich gehe, mit meinen eigenen Kriterien.."

Musik - die müsse von innen kommen, sagt Camille. Ihre klare, starke Stimme benutzt sie mal als "klassisches" Gesangsorgan, dann wieder jauchzt sie, gurrt, murmelt, lässt die Lippen vibrieren, schnipst mit den Fingern und benutzt ihren ganzen Körper als Trommelfläche.

"Es gibt da kein Rezept, 100 Gramm, davon, und davon. Das ist etwas Unbewusstes und gleichzeitig Bewusstes, das sich in meinem Kopf abspielt. Ich lerne etwas, aber dann lasse ich die Sachen ganz natürlich wieder heraus. Was entsteht, vermischt sich auch mit der Kultur meiner Musiker. Also das ist mehr Alchemie als Küchenrezept."

Camille - schulterlange braune Haare, blaue Augen - tanzt bei ihren Konzerten barfuss über die Bühne, genießt ihre Unbefangenheit offensichtlich in vollen Zügen.

Nach dem Konzert, im Backstage, scheint die junge Französin ein anderer Mensch zu sein. Die vorher wilden Haare trägt sie hochgesteckt, nach jeder Frage hält sie kurz inne, bevor sie antwortet.

Ihre ersten Auftritte hatte Camille auf Hochzeiten und Festen - sie gab einfach ein Lied zum Besten, eine alte Familientradition. Der Vater ist Musiker, die Mutter Lehrerin - aufgewachsen ist Camille in Paris, wo die heute 30-Jährige nach wie vor lebt. Bevor sie sich aber ganz für die Musik entschied, hat sie Kunst und Politikwissenschaften studiert.

"Ich haben meine 'humanité' gemacht, wie man bei uns sagt, ich habe studiert, um etwas über die Welt zu lernen, um den Geist zu formen, um später sagen zu können: ja, ich entspreche jetzt den 'elitären' Kriterien, ich bin sozusagen 'intelligent'. Wenn man das einmal gemacht hat, dann ist man beruhigt und hat Lust, andere Dinge zu entdecken - sich selbst, die 'echte' Welt."

Zur "echten" Welt gehört für Camille vor allem auch die Freiheit, sich musikalisch absolut nicht einschränken zu lassen, weder in der Sprache, noch im Musikstil. Auf ihren ersten beiden Alben singt sie auf Französisch. Für das aktuelle - Music Hole - hat sie sich vor allem für englische Texte entschieden.

"...aber immer mit dem Französischen als Untertext im Song, als kleinem 'Lichtstrahl'. Wenn man das versteht, umso besser, wenn nicht, ist es lustig, denn man fragt sich: was sagt sie da wohl."

Pop, Bossa Nova, Klassik, Jazz und Alltags-Geräusche, die sie zu kleinen, audiophonen Geschichten verarbeitet - das ist Camilles Musik.

"Man hört andauernd Melodien, ich bin sensibel für so was, und kreiere dann Songs passend zu Worten, die ich gelesen habe, oder Erfahrungen, die ich gemacht habe. Ich liebe es zu spielen. Wir sind alle sehr vielschichtige Persönlichkeiten - schränken uns aber viel zu sehr ein. Und ich habe eben Lust, meine Stimme auf die unterschiedlichste Art und Weise zu nutzen."

Liedauszug:
"Mein zuhause hat keine Tür, keinen Schornstein, keinen Schlüssel. Wenn du mich ausrauben willst - es gibt nichts zu holen.
Zuhause, das ist kein Hafen, Zuhause ist - wo es weh tut...."


Das Experimentieren mit dem eigenen Körper als Klangobjekt steht auch auf "Music Hole" wieder im Vordergrund. Als Unterstützung hat sie dafür neben dem Jazz-Pianisten Jamie Cullum auch die beiden Brasilianischen Beatbox-Künstler Marcelo Preto und Fernando Barba eingeladen, Mitglieder einer Körper-Percussion-Band.

"Sie machen Geräusche mit ihren Mündern, mit den Füßen, den Händen, sie schlagen sich auf die Brust, das ist unglaublich, was da herauskommt..."

Im vergangenen Jahr hat Camille auch ihre erste Kino-Erfahrung gemacht: Sie lieh dem Charakter Colette in dem Animationsfilm "Ratatouille" ihre Stimme. Kino, Schauspielerei und Gesang - ja klar, das gehöre unmittelbar zusammen, sagt die Französin dazu.

"Ich es habe nicht von unserem Herrn, aber ich weiß, ich habe es von meinem Bruder, meiner Schwester, meinem Vater, mir selbst", heißt es in Camilles Lied "Gospel with no Lord". Was? Die Liebe zur Kunst?

""Ich habe mir nie diese Frage gestellt. I got it, it, ich weiß nicht, die Lust zu leben, zu singen, die Kraft, was immer du willst..." (lachen)