Der Eiertanz des Schein-Zwerges
Die nordafrikanisch-arabischen Gesellschaften entledigen sich mit Verzweiflung und Mut ihrer dummdreisten Despoten und Deutschland steht mit sich selbst beschäftigt daneben, klagt der Publizist Paul-Hermann Gruner.
Das Märchen vom kraftvollen Zwerg stammt nicht aus der Sammlung der Brüder Grimm, aber es kann einen schon etwas grimmen. Es geht so: Es war einmal ein Trümmerhaufen, der sich schämte. Der Trümmerhaufen hatte sein Schicksal kommen sehen, aber sich nicht aufgebäumt gegen seine Führer. Nun war sie sich ihrer Schuld sehr bewusst, diese Halde an Schutt, falschem Ehrgeiz und missbrauchter Treue mitten in Europa.
Die Großmannssucht wurde in den Zwergenstatus gebombt, und der Zwerg nahm die neuen Größenverhältnisse demütig an. Der Zwerg war unverschämt fleißig und brachte es auf wirtschaftlichem Felde bald erneut zu ebensolch unverschämter Größe. Später nahm er auch die Huldigungen darüber dankbar entgegen, dass er sich in Sachen Demokratie, Gewaltenteilung und Solidarität immer mustergültig, besser: musterzwergig benahm. Die Musterzwerge wurden Fleißweltmeister, Exportweltmeister, Patentweltmeister und zählten in manchen Vergleichsbefragungen gar zu den beliebtesten Riesenzwergen weltweit. Geachtet, geschätzt, ja verehrt.
Aber es kam die Zeit, dass die vielen anderen auf dem Globus erwarteten, der kraftvoll-moralische Zwerg möge doch mehr Verantwortung übernehmen. Wer gut sei, solle Gutes tun, schallt es seitdem. Aber der Zwerg duckt sich. Er erinnert sich ohne Unterlass an seine Zeit als böse wütender Wolf, er lebt in Reue. Er weiß, wie schnell man schlecht werden kann, da will er lieber zwergengut bleiben. Und so frisst der Zwergwolf weiter so viel Kreide, dass er sie nun auch im Kopf hat. Aber mit viel Kreide im Kopf ist eben sehr schwer Denken.
Der Zwerg sind natürlich wir Deutsche. Die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist zwar ein Schwergewicht sui generis, aber im weltweiten Kräftespiel des Politischen will dieser Staat nicht wachsen. Er beliefert die gesamte Welt mit Schokoladen, Automobilen, Kettensägen und einem immensen Ausstoß von Literatur und Kunst, aber politisch liefert er für die Weltgemeinschaft leider nur Dürftiges – immer im Vergleich zu dem, was zu recht von uns erwartet wird: von einer gefestigten Demokratie mit schrecklicher Despoten- und wundersamer Revolutionserfahrung sowie einem aufgeklärten, ethisch hohen Selbstanspruch.
Dass es die schwarz-gelbe Bundesregierung und zuvorderst Kanzlerin Merkel und ihr Außenminister Guido Westerwelle geschafft haben, sich mit einem verantwortungspolitischen Eiertanz sondergleichen erneut zum Zwerg zu erklären, ist nachgerade entsetzlich. Die nordafrikanisch-arabischen Gesellschaften entledigen sich mit Verzweiflung und Mut ihrer dummdreisten Despoten und Deutschland steht – mit sich selbst, mit Bahnhöfen, mit E 10, mit Brüderles verplapperten Wahrheiten und der Selbstdemontage der FDP beschäftigt –, gelähmt daneben.
Dieser so wichtige Staat auf der Weltkugel überzeugt weder durch diplomatische Kreativität noch durch völkerrechtliche Initiative noch durch vorbildhaft humanitäre Einmischung. Mit Westerwelle steht die deutsche Außenpolitik – in einer Zeit der Mitgliedschaft unserer Republik im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – nicht selbstbewusst an der Seite politischer Emanzipation und wehrhaft überzeugter Demokratie, sondern zwergig einfältig im Abseits. Man wünscht sich für deutsche Weltinnenpolitik Mut, Fantasie und Konzeption, gebündelt in einer Werte-Strategie, man wünscht sich Köpfe, die wissen, welches Glöcklein weltgeschichtlich grade bimmelt.
Jüngst sagte das US-amerikanische Nachrichtenmagazin "Time" das Wesentliche. Die Deutschen seien ökonomisch das China Europas. Sie könnten auch politisch enorm viel ausrichten, schwärmt "Time", aber: "They don`t want to lead" – Sie wollen nicht führen. Sie wissen nicht, wer sie längst sind. Sie spielen unverantwortlich weiter den politischen Zwerg.
Paul-Hermann Gruner, geboren 1959, ist Politikwissenschaftler und Historiker. Seit Beginn der 80er-Jahre tätig als bildender Künstler mit den Schwerpunkten Montage, Installation und Performance. Seit 1996 in der Redaktion des "Darmstaedter Echo", daneben Veröffentlichungen in regionalen und überregionalen Zeitungen, satirische Texte, Buchpublikationen unter anderem zu Sprachpolitik und Zeitgeistkritik.
Die Großmannssucht wurde in den Zwergenstatus gebombt, und der Zwerg nahm die neuen Größenverhältnisse demütig an. Der Zwerg war unverschämt fleißig und brachte es auf wirtschaftlichem Felde bald erneut zu ebensolch unverschämter Größe. Später nahm er auch die Huldigungen darüber dankbar entgegen, dass er sich in Sachen Demokratie, Gewaltenteilung und Solidarität immer mustergültig, besser: musterzwergig benahm. Die Musterzwerge wurden Fleißweltmeister, Exportweltmeister, Patentweltmeister und zählten in manchen Vergleichsbefragungen gar zu den beliebtesten Riesenzwergen weltweit. Geachtet, geschätzt, ja verehrt.
Aber es kam die Zeit, dass die vielen anderen auf dem Globus erwarteten, der kraftvoll-moralische Zwerg möge doch mehr Verantwortung übernehmen. Wer gut sei, solle Gutes tun, schallt es seitdem. Aber der Zwerg duckt sich. Er erinnert sich ohne Unterlass an seine Zeit als böse wütender Wolf, er lebt in Reue. Er weiß, wie schnell man schlecht werden kann, da will er lieber zwergengut bleiben. Und so frisst der Zwergwolf weiter so viel Kreide, dass er sie nun auch im Kopf hat. Aber mit viel Kreide im Kopf ist eben sehr schwer Denken.
Der Zwerg sind natürlich wir Deutsche. Die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist zwar ein Schwergewicht sui generis, aber im weltweiten Kräftespiel des Politischen will dieser Staat nicht wachsen. Er beliefert die gesamte Welt mit Schokoladen, Automobilen, Kettensägen und einem immensen Ausstoß von Literatur und Kunst, aber politisch liefert er für die Weltgemeinschaft leider nur Dürftiges – immer im Vergleich zu dem, was zu recht von uns erwartet wird: von einer gefestigten Demokratie mit schrecklicher Despoten- und wundersamer Revolutionserfahrung sowie einem aufgeklärten, ethisch hohen Selbstanspruch.
Dass es die schwarz-gelbe Bundesregierung und zuvorderst Kanzlerin Merkel und ihr Außenminister Guido Westerwelle geschafft haben, sich mit einem verantwortungspolitischen Eiertanz sondergleichen erneut zum Zwerg zu erklären, ist nachgerade entsetzlich. Die nordafrikanisch-arabischen Gesellschaften entledigen sich mit Verzweiflung und Mut ihrer dummdreisten Despoten und Deutschland steht – mit sich selbst, mit Bahnhöfen, mit E 10, mit Brüderles verplapperten Wahrheiten und der Selbstdemontage der FDP beschäftigt –, gelähmt daneben.
Dieser so wichtige Staat auf der Weltkugel überzeugt weder durch diplomatische Kreativität noch durch völkerrechtliche Initiative noch durch vorbildhaft humanitäre Einmischung. Mit Westerwelle steht die deutsche Außenpolitik – in einer Zeit der Mitgliedschaft unserer Republik im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – nicht selbstbewusst an der Seite politischer Emanzipation und wehrhaft überzeugter Demokratie, sondern zwergig einfältig im Abseits. Man wünscht sich für deutsche Weltinnenpolitik Mut, Fantasie und Konzeption, gebündelt in einer Werte-Strategie, man wünscht sich Köpfe, die wissen, welches Glöcklein weltgeschichtlich grade bimmelt.
Jüngst sagte das US-amerikanische Nachrichtenmagazin "Time" das Wesentliche. Die Deutschen seien ökonomisch das China Europas. Sie könnten auch politisch enorm viel ausrichten, schwärmt "Time", aber: "They don`t want to lead" – Sie wollen nicht führen. Sie wissen nicht, wer sie längst sind. Sie spielen unverantwortlich weiter den politischen Zwerg.
Paul-Hermann Gruner, geboren 1959, ist Politikwissenschaftler und Historiker. Seit Beginn der 80er-Jahre tätig als bildender Künstler mit den Schwerpunkten Montage, Installation und Performance. Seit 1996 in der Redaktion des "Darmstaedter Echo", daneben Veröffentlichungen in regionalen und überregionalen Zeitungen, satirische Texte, Buchpublikationen unter anderem zu Sprachpolitik und Zeitgeistkritik.

Paul-Hermann Gruner© privat