Der doppelte Figaro halbiert

Von Jörn Florian Fuchs · 13.06.2011
Das ist schon ein bisschen dreist. Da streifen gleich zwei Figaros durchs Haus für Mozart, doch der Komponist von "I due Figaro" heißt nicht Mozart, sondern Saverio Mercadante. Hat sich da etwa jemand am heiligen Sohn Salzburgs vergriffen? Tatsächlich! Mercadante schrieb eine Fortsetzung der Opernposse von Mozart und Da Ponte, allerdings sind die Verwicklungen und Liebeswirren hier noch bunter und komplizierter.
Im Zentrum steht eine Intrige Figaros, er will seinen Dienstherrn Almaviva über den Tisch ziehen und ihm einen 'würdigen' Ehemann fürs Töchterchen vermitteln. Der angebliche Adlige entpuppt sich jedoch als armer Schlucker, außerdem steht Diener Cherubino ebenso aufs Grafenmädel. Cherubino spielt sein eigenes Spielchen, nimmt vorübergehend die Identität Figaros an – drei Opernstunden später löst sich mit einem sanften dramaturgischen Knall alles auf und der Graf hat Einsehen mit den Liebenden und Intrigierenden (und dem Publikum): Sein Gnadenakt sorgt fürs einigermaßen glückliche Ende.

Keine Gnade ließ Riccardo Muti walten, der mit dem Cherubini-Jugendorchester einmal mehr auf leidlich gepflegten Schönklang setzte. Wenn am Ende des ersten Akts das Ensemble von einem anschwellenden Fluss singt, liefert Muti dazu ein orchestrales Bächlein. Das ist zumindest gut für die sehr jungen Sänger, die eh schon bemerkenswerte Kondition brauchen, da Muti auf wirklich kein Da Capo verzichten will. Am überzeugendsten waren Antonio Poli als erst grummeliger, dann versöhnlicher Graf Almaviva und Eleonora Buratto als zauberhaft kesse Susanna.

"I due Figaro" wurde 1826 geschrieben, genau 40 Jahre nach Mozarts Oper. Mercadante zitiert reichlich und beim Komödiantischen bietet er praktisch nur Arienware von der Stange. Wenn es aber intimer, ernster, trauriger wird, dann verblassen die Vorbilder und die Musik bekommt Tiefe und Eigenständigkeit – und Muti dirigiert regelrecht mitfühlend. Richtig übel sind leider die Rezitative, da klimpert ein Schlafmützencembalo gelangweilt vor sich hin. Auch Regisseur Emilio Sagi mag es gern gediegen. Eine Art Pergola steht auf der Bühne, erst sonnig beleuchtet, später im Mondenschein.

Bei den Kostümen griff man tief in die Klamottenkiste und holte Rüschiges, Pailletten, Fransiges hervor. Die Frauen sind anmutig, die Männer schneidig. Oft versammeln sich Damen und Herren artig an einem großen Tisch, was natürlich auch nur eine Variante von Rampentheater ist. Kulinarische Köstlichkeiten werden hereingebracht und rasch wieder abgeräumt. Ständig huscht Dienstpersonal herum, man kichert, albert, lästert. Mit diesen Nebenfiguren versucht Sagi, etwas Leben in die Bude zu bekommen, was ihm letztlich nicht gelingt. Im Vergleich zu Mozart ist Mercadantes doppelter Figaro sowieso nur ein halber. Riccardo Muti wollte ja eigentlich den Glanz Neapels nach Salzburg bringen, doch "I due Figaro" wirbelte höchstens eine Prise Archivstaub auf.

Wirkliche Höhepunkte gab es dagegen im Konzertprogramm. Heuer sorgten zwei Matineen mit Kammermusik von Hasse, Pergolesi oder Porpora für sonnige Stimmung – exzellent dargeboten von Il Giardino Armonico und dem Ensemble Matheus. Da hörte man, wie spritzig barockig die alten Meister wirklich sein können. Auch René Jacobs' Auftritt mit der Berliner Akademie für Alte Musik wurde zum Triumph, man spielte Händels Serenata "Aci, Galatea e Polifemo". Die schöne Galatea wird vom bösen Riesen Polifemo verfolgt, aus Eifersucht tötet dieser ihren Geliebten Aci. Der wird schlussendlich in ein säuselndes Gewässer verwandelt, an dessen Ufern sich Galatea niederlässt.

Technisch nicht immer ganz präzise, dafür mitreißend temperamentvoll gehen Jacobs und die Musiker zu Werke, nach Mutis dreistündigem Mercadante wirkte Händels Achtzigminüter wie Traubenzucker und das singende Protagonisten-Trio schuf mittels Gesten und Mimik eine Art Mini-Inszenierung, die ohne Bühnenbild und Regisseur auskam. Sunhae Im erfreute mit eleganten vokalen Bögen, Marcos Fink war ein klangschön orgelnder Riese, nur Vivica Genaux kämpfte ein wenig mit Galateas Koloraturen.

Heute Morgen dann in der Felsenreitschule noch einmal Riccardo Muti mit den Cherubini-Musikern. Am Ende von Mutis fünfjähriger Amtszeit in Salzburg stand passenderweise Cherubinis "Requiem" auf dem Programm – ein groß besetztes, kraftvolles Wunderwerk der geistlichen Literatur jener Zeit, das die Bewunderung Beethovens fand und zu seiner Beerdigung erklang.

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