Der Dichter der Düsternis drängt zum Licht
Hartmut Binder ist einer jener Literaturwissenschaftler, die jedes Detail an ihren Gegenständen interessiert, jede kleinste Alltagsbegebenheit im Leben des Autors, um den es ihnen geht. Bei Binder ist dies seit jeher Franz Kafka, sein "Kafka-Handbuch" von 1979 ist immer noch ein Standardwerk.
Das großformatige, voluminöse und reich bebilderte Buch, das er jetzt herausbringt, geht jedoch über die wissenschaftliche Akribie noch weit hinaus: es ist vor allem sinnlich überwältigend. Binder widmet sich ausgiebig einem scheinbar entlegenen Kapitel der Kafka-Biographie: seinen frühen Reisen in die Schweiz und an die oberitalienischen Seen.
Man bringt Kafka, den düsteren, kargen, enigmatischen Dichter aus Prag, normalerweise kaum mit dem Süden in Verbindung - dies ist eine erste Irritation, die lange anhält und von Binders Materialien immer neu geschürt wird. Doch auch bei ihm gab es, in bewährter deutscher Sehnsuchts- und Dichtertradition, einen Drang nach Süden.
Die Reiseaufzeichnungen Kafkas werden in der großen Kritischen Kafka-Ausgabe des S. Fischer-Verlages eher am Rande behandelt, deswegen ist Binders Band durchaus ein eigenständiger Beitrag zur Kafka-Forschung mit neuen Materialien, vor allem bisher unbekannten Texten Max Brods, der Kafka zweimal in den Süden begleitete. Aber es ist vor allem eine Reise in die Kulturgeschichte, mit vielen anschaulichen Bildern und zeitgenössischen Quellen und Dokumenten.
Kafka hielt sich 1909 in Riva am Gardasee auf, ein geheimnisvoller Urlaub, weil es dabei auch um eine Frauengeschichte geht, von der man kaum etwas weiß. Er besuchte während dieses Aufenthalts aber auch die Flugwoche in Brescia, die zu einem Essay mit dem Titel "Die Aeroplane in Brescia" führte. Binder zeichnet minuziös nach, was während Kafkas Anwesenheit auf dem Flugfeld geschah.
Besonders beeindruckend sind aber die Dokumente, die er zu Kafkas Reise im Jahr 1911 versammelt: über München, Zürich, Luzern, Lugano, Mailand, Stresa, dem Vierwaldstätter See und der Rigi. Binder rekonstruiert die Reiserouten, beschreibt die Fahrpläne und trägt vor allem viele farbige Ansichtskarten und anderes authentisches Bildmaterial zusammen. Die Bildsequenzen sind chronologisch angelegt und zeichnen dadurch die Ferienerfahrungen Kafkas nach.
Aber auch für sein literarisches Werk sind diese Reisen bedeutsam: man liest den Roman "Der Verschollene" und den Erzählkomplex um den "Jäger Gracchus" nach der Lektüre und dem Betrachten dieses Buches mit ganz neuen Augen.
Erstaunlich ist übrigens auch, dass dieser Prachtband im deutschsprachigen Verlag Vitalis in Prag erschienen ist - er hat die Prager deutschsprachige Literatur als Schwerpunkt, ist an eine Buchhandlung angeschlossen und war vor fünf Jahren angesichts einer Flutkatastrophe an der Moldau fast vernichtet.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Hartmut Binder: Mit Kafka in den Süden. Eine historische Bilderreise in die Schweiz und zu den oberitalienischen Seen. Mit mehr als 250 farbigen Abbildungen
Vitalis Verlag, Prag 2007
414 Seiten. 79,90 Euro.
Man bringt Kafka, den düsteren, kargen, enigmatischen Dichter aus Prag, normalerweise kaum mit dem Süden in Verbindung - dies ist eine erste Irritation, die lange anhält und von Binders Materialien immer neu geschürt wird. Doch auch bei ihm gab es, in bewährter deutscher Sehnsuchts- und Dichtertradition, einen Drang nach Süden.
Die Reiseaufzeichnungen Kafkas werden in der großen Kritischen Kafka-Ausgabe des S. Fischer-Verlages eher am Rande behandelt, deswegen ist Binders Band durchaus ein eigenständiger Beitrag zur Kafka-Forschung mit neuen Materialien, vor allem bisher unbekannten Texten Max Brods, der Kafka zweimal in den Süden begleitete. Aber es ist vor allem eine Reise in die Kulturgeschichte, mit vielen anschaulichen Bildern und zeitgenössischen Quellen und Dokumenten.
Kafka hielt sich 1909 in Riva am Gardasee auf, ein geheimnisvoller Urlaub, weil es dabei auch um eine Frauengeschichte geht, von der man kaum etwas weiß. Er besuchte während dieses Aufenthalts aber auch die Flugwoche in Brescia, die zu einem Essay mit dem Titel "Die Aeroplane in Brescia" führte. Binder zeichnet minuziös nach, was während Kafkas Anwesenheit auf dem Flugfeld geschah.
Besonders beeindruckend sind aber die Dokumente, die er zu Kafkas Reise im Jahr 1911 versammelt: über München, Zürich, Luzern, Lugano, Mailand, Stresa, dem Vierwaldstätter See und der Rigi. Binder rekonstruiert die Reiserouten, beschreibt die Fahrpläne und trägt vor allem viele farbige Ansichtskarten und anderes authentisches Bildmaterial zusammen. Die Bildsequenzen sind chronologisch angelegt und zeichnen dadurch die Ferienerfahrungen Kafkas nach.
Aber auch für sein literarisches Werk sind diese Reisen bedeutsam: man liest den Roman "Der Verschollene" und den Erzählkomplex um den "Jäger Gracchus" nach der Lektüre und dem Betrachten dieses Buches mit ganz neuen Augen.
Erstaunlich ist übrigens auch, dass dieser Prachtband im deutschsprachigen Verlag Vitalis in Prag erschienen ist - er hat die Prager deutschsprachige Literatur als Schwerpunkt, ist an eine Buchhandlung angeschlossen und war vor fünf Jahren angesichts einer Flutkatastrophe an der Moldau fast vernichtet.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Hartmut Binder: Mit Kafka in den Süden. Eine historische Bilderreise in die Schweiz und zu den oberitalienischen Seen. Mit mehr als 250 farbigen Abbildungen
Vitalis Verlag, Prag 2007
414 Seiten. 79,90 Euro.