Der Deutschland-Tester

Zu Gast: Günter Wallraff, Journalist |
Sein Name ist längst zum Synonym geworden: "Wallraffen" nennt man in Skandinavien die Methode des Aufdeckens von Missständen. Das Original – der Journalist Günter Wallraff – ist berühmt und berüchtigt für seine Undercover-Reportagen: "Ich bin schon mal der Tester der Gesellschaft, der offenlegt, was unterschwellig brodelt."
Bekannt wurde er in den 70er Jahren als "Der Mann, der bei 'Bild'-Zeitung Hans Esser war", er schlüpfte in die Rolle des türkischen Leiharbeiters Ali und erlebte die deutsche Arbeitswelt von "Ganz unten" – so auch der Titel eines seiner erfolgreichsten Bücher.

Der mittlerweile 67-Jährige kann es immer noch nicht lassen: Jüngst schlich er sich als Niedriglöhner in einer Großbäckerei ein, die einen Discounter beliefert oder in Call-Center, um die Unterdrückung der Mitarbeiter und die dubiosen Verkaufsmethoden zu recherchieren. Er tourte als Obdachloser durch die Lande, um die Zustände in Heimen aufzudecken.

Sein neuester Coup: Er ließ sich schwarz anmalen und deckt als vermeintlicher Somalier den alltäglichen Rassismus in Deutschland auf. Eine verstörende Dokumentation, die derzeit unter dem Titel "Schwarz auf Weiß" in den Kinos zu sehen ist. Seine aktuellen Reportagen sind in seinem neuen Buch "Aus der schönen neuen Welt" zusammengefasst.

Seine Beobachtung: Immer mehr Menschen unterwerfen sich einem fragwürdigen System und menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen.

Die Gründe?

"Angst – sie ist beherrschend. Wir leben in einer Zeit, wo die Menschen froh sind, überhaupt Arbeit zu haben. Und das ist ja auch zu verstehen. Man sieht es ja auch daran, dass der Krankenstand so niedrig wie nie zuvor ist. Gleichzeitig steigt aber – statistisch gesehen - die Zahl der psychischen Erkrankungen."

Und Angst mache gefügig, ersticke jegliches Aufmucken, mache resigniert. "Es ist wie Mehltau, der sich über die Gesellschaft legt. Man soll ja nicht sagen, früher war alles besser. Es war anders schlimm. Aber früher gab es das Prinzip Hoffnung, man hoffte, dass sich alles zum Besseren wenden würde. Und es gab mehr Solidarität. Heute ist sich jeder selbst der Nächste, die Menschen sind resignierter, sie glauben nicht, dass sich etwas ändert."

Es seien auch keine Einzelfälle mehr, er beobachte vielmehr eine Verschlechterung der "sozialen Landschaft" in Deutschland.

Genug Gründe für ihn, weiterzumachen: "Das geht weit über einen Job oder Beruf hinaus, es ist fast eine Obsession. Ich trenne auch nicht zwischen Job und Privatem – ich bin ständig verfügbar."

Das Lebensmotto des passionierten Sportlers und Marathonläufers: "Leben als ob es der letzte Tag sei und trotzdem nicht anders leben."

"Der Deutschland-Tester"- Günter Wallraff ist zu Gast bei Gisela Steinhauer – heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.


Informationen im Internet:
Homepage von Günter Wallraff

Literaturhinweis:
Günter Wallraff: "Aus der schönen neuen Welt", Verlag Kiepenheuer & Witsch 2009
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