Der deutsche Fußball und die Vergangenheit
"Die Welt zu Gast bei Freunden" heißt das Motto der Fußballweltmeisterschaft im nächsten Jahr in Deutschland. DFB-Präsident Theo Zwanziger ist erleichtert, dass er jetzt, nachdem der Termin zum 100. Verbandsjubiläum verpasst wurde, endlich diese Studie vorweisen kann.
Groß war der öffentliche Druck auf die in der Vergangenheit an ihrer eigenen Geschichte oft wenig interessierte Frankfurter-Fußballzentrale schon im Inland geworden. Zu groß wäre er geworden, wenn die ausländischen Gäste nächstes Jahr vor dem WM-Endspiel in Berlin vielleicht mal ein bisschen genauer nach der Geschichte des Olympiastadions und der deutschen Kicker gefragt hätten, und die Funktionäre wieder Antworten schuldig geblieben wären.
DFB-Präsident Theo Zwanziger: "Man kann ja einen Fehler machen, aber man sollte ihn nicht zweimal machen. Der zweite, wichtige Zeitpunkt war natürlich ´Die Welt zu Gast bei Freunden´. Wenn wir diesen Zeitpunkt verpasst hätten, dann - muss ich ganz offen sagen -, dann hätte uns durchaus harte Kritik erreichen können. "
Theo Zwanziger, Jahrgang 45, steht nach der Buchpräsentation in der Mercedes-Zentrale in Berlin neben Nils Havemann, dem Autor von "Fußball unterm Hakenkreuz". Der Jurist Zwanziger, der im Krieg seinen Vater verlor, trägt einen schwarzen Anzug und ist den Tränen nah. Bis in die allerjüngste Vergangenheit wurde Felix Linnemann, letzter DFB-Präsident vor der schritt weisen Auflösung des Verbands nach der Machtübernahme durch die Nazis 1933, von den DFB-Funktionären noch als "intellektueller Kopf" gefeiert. Obwohl Wissenschaftler wie der Historiker Hubert Dwertmann oder der Politologe Arthur Heinrich längst herausgefunden hatten, dass Linnemann, im Dritten Reich einflussreicher Kriminalbeamter, NSDAP- und SS-Mitglied, als Vorbereiter am Mord an über 20.000 Sinti und Roma beteiligt war, wollte der DFB davon nichts wissen. Man ignorierte Quellen; übernahm die Aussagen Linnemanns, der sich in seinem Entnazifizierungsverfahren als argloser Sportsmann dargestellt hatte, blauäugig und ungeprüft in die eigene Chronik. Havemann stellt diese Fakten über Linnemann, vom DFB nun auch offiziell abgesegnet, in seinem Buch jetzt noch einmal dar.
Havemann: "Die Person Linnemann war 1933 an der Gleichschaltung des deutschen Sports beteiligt. Sein Ziel war es, den DFB zu erhalten und aus diesem Grund hat er alles getan, was man ihm von oben angeordnet hat, mit dem Ziel, dass der DFB in seinen gewohnten Bahnen arbeiten konnte. "
Havemanns Charakterisierung Linnemanns trifft die Geisteshaltung vieler deutsche Fußballer unter dem Hitler-Regime ziemlich präzise. Zwar waren die meisten nicht so tief wie der spätere Leiter des Fachamtes Fußball von der mörderischen, menschenverachtenden Nazi-Ideologie überzeugt, doch machten sich viele als feige Mitläufer und Profiteure der verbrecherischen Diktatur ebenfalls schuldig. In vorauseilendem Gehorsam wurden jüdische Sportler, sogar noch bevor die Nazis entsprechende Gesetze erließen, aus den Vereinen ausgeschlossen.
Auch Innenminister Schily, für den Sport zuständig und bei der Buchpräsentation ebenfalls anwesend, ist von Havemanns Erkenntnissen erschüttert.
Otto Schily: "Es gibt da 1941 einen Film ´Das große Spiel´, an dem Trainer und Spieler der damaligen Nationalmannschaft beteiligt waren. Und kann man leider nicht ganz übersehen, fällt da auch ein Schatten auf Sepp Herberger, der sich da in die Propaganda zum Teil hat einspannen lassen. "
Auf das NSDAP-Mitglied Sepp Herberger hatte der DFB bisher nichts kommen lassen. Der Trainer der legendären Weltmeisterelf von 1954, die den kriegsbesiegten Deutschen durch ihren überraschenden Titelgewinn wieder neues Selbstbewusstsein einhauchte, galt bisher als unantastbar. Trotz kritischer Stimmen, die ihm wenig politisches Rückgrat bescheinigten, hielt man dem kauzigen Trainer immer zugute, vielen Fußballern durch die auch noch im Krieg stattfindenden Spiele der Nationalmannschaft die Front so lange wie möglich erspart zu haben. Herberger vertrat nach dem Krieg – wie viele andere Sportler und Funktionäre auch - die selbst entlastende und bequeme These, Sport und Politik seien damals zwei völlig verschiedene Welten gewesen, die nichts miteinander zu tun gehabt hätten.
Sepp Herberger: "Man war stolz darauf, dass unsere Nationalmannschaft frei geblieben war von jeder Politik. Bei uns galt nur eine Politik; die Politik der guten Leistung. "
Havemann entlarvt auch Sepp Herberger, den großen Helden von Bern und Nachfolger des im Dritten Reich offen als Antisemit auftretenden Reichstrainers Otto Nerz, in "Fußball unterm Hakenkreuz" als Stütze des Systems.
Insgesamt stellt Nils Havemann dem deutschen Fußball in der Zeit zwischen 1933 und 1945 mit seinem Buch ein vernichtendes Zeugnis aus. Unter den gleichgeschalteten Fußballern, die sich lange Zeit gern als Opfer der Umstände aus der Verantwortung stahlen, hatte kaum einer den Mumm, Zivilcourage zu zeigen und sich gegen die mörderischen Verhältnisse im Deutschen Reich zu stellen.
Karl Schmidt: "Zwischen den Leichen sind Menschen herumgeirrt und haben nach Verwandten gesucht. Auch wir."
Etwas abseits, hinter Innenminister Schily und DFB-Chef Zwanziger, steht ein kleiner, grauhaariger Mann und blättert in Nils Havemanns Buch. Als Elfjähriger hatte Karl Schmidt 1943 einen schweren Bombenangriff auf seine Heimatstadt Kassel erleben müssen. Am nächsten Morgen ging er mit seinem Vater ins städtische Fußballstadion. Dort lagen hunderte Leichen. Auch über 60 Jahre später hat Schmidt diese Bilder nicht vergessen. Im DFB ist der 73jährige Schmidt für sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben zuständig.
Karl Schmidt: "Zehn Jahre später habe ich dort in diesem Stadion für den KSV Hessen Kassel Fußball gespielt. Und ich kann Ihnen das Gefühl nicht beschreiben, jedes Mal, wenn dieser Rasen betreten wurde, dann war es, als wenn ich die Füße höher heben musste, als sonst. "
Nils Havemann: Fußball unterm Hakenkreuz
Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz
Campus Verlag, Frankfurt/Main 2005
DFB-Präsident Theo Zwanziger: "Man kann ja einen Fehler machen, aber man sollte ihn nicht zweimal machen. Der zweite, wichtige Zeitpunkt war natürlich ´Die Welt zu Gast bei Freunden´. Wenn wir diesen Zeitpunkt verpasst hätten, dann - muss ich ganz offen sagen -, dann hätte uns durchaus harte Kritik erreichen können. "
Theo Zwanziger, Jahrgang 45, steht nach der Buchpräsentation in der Mercedes-Zentrale in Berlin neben Nils Havemann, dem Autor von "Fußball unterm Hakenkreuz". Der Jurist Zwanziger, der im Krieg seinen Vater verlor, trägt einen schwarzen Anzug und ist den Tränen nah. Bis in die allerjüngste Vergangenheit wurde Felix Linnemann, letzter DFB-Präsident vor der schritt weisen Auflösung des Verbands nach der Machtübernahme durch die Nazis 1933, von den DFB-Funktionären noch als "intellektueller Kopf" gefeiert. Obwohl Wissenschaftler wie der Historiker Hubert Dwertmann oder der Politologe Arthur Heinrich längst herausgefunden hatten, dass Linnemann, im Dritten Reich einflussreicher Kriminalbeamter, NSDAP- und SS-Mitglied, als Vorbereiter am Mord an über 20.000 Sinti und Roma beteiligt war, wollte der DFB davon nichts wissen. Man ignorierte Quellen; übernahm die Aussagen Linnemanns, der sich in seinem Entnazifizierungsverfahren als argloser Sportsmann dargestellt hatte, blauäugig und ungeprüft in die eigene Chronik. Havemann stellt diese Fakten über Linnemann, vom DFB nun auch offiziell abgesegnet, in seinem Buch jetzt noch einmal dar.
Havemann: "Die Person Linnemann war 1933 an der Gleichschaltung des deutschen Sports beteiligt. Sein Ziel war es, den DFB zu erhalten und aus diesem Grund hat er alles getan, was man ihm von oben angeordnet hat, mit dem Ziel, dass der DFB in seinen gewohnten Bahnen arbeiten konnte. "
Havemanns Charakterisierung Linnemanns trifft die Geisteshaltung vieler deutsche Fußballer unter dem Hitler-Regime ziemlich präzise. Zwar waren die meisten nicht so tief wie der spätere Leiter des Fachamtes Fußball von der mörderischen, menschenverachtenden Nazi-Ideologie überzeugt, doch machten sich viele als feige Mitläufer und Profiteure der verbrecherischen Diktatur ebenfalls schuldig. In vorauseilendem Gehorsam wurden jüdische Sportler, sogar noch bevor die Nazis entsprechende Gesetze erließen, aus den Vereinen ausgeschlossen.
Auch Innenminister Schily, für den Sport zuständig und bei der Buchpräsentation ebenfalls anwesend, ist von Havemanns Erkenntnissen erschüttert.
Otto Schily: "Es gibt da 1941 einen Film ´Das große Spiel´, an dem Trainer und Spieler der damaligen Nationalmannschaft beteiligt waren. Und kann man leider nicht ganz übersehen, fällt da auch ein Schatten auf Sepp Herberger, der sich da in die Propaganda zum Teil hat einspannen lassen. "
Auf das NSDAP-Mitglied Sepp Herberger hatte der DFB bisher nichts kommen lassen. Der Trainer der legendären Weltmeisterelf von 1954, die den kriegsbesiegten Deutschen durch ihren überraschenden Titelgewinn wieder neues Selbstbewusstsein einhauchte, galt bisher als unantastbar. Trotz kritischer Stimmen, die ihm wenig politisches Rückgrat bescheinigten, hielt man dem kauzigen Trainer immer zugute, vielen Fußballern durch die auch noch im Krieg stattfindenden Spiele der Nationalmannschaft die Front so lange wie möglich erspart zu haben. Herberger vertrat nach dem Krieg – wie viele andere Sportler und Funktionäre auch - die selbst entlastende und bequeme These, Sport und Politik seien damals zwei völlig verschiedene Welten gewesen, die nichts miteinander zu tun gehabt hätten.
Sepp Herberger: "Man war stolz darauf, dass unsere Nationalmannschaft frei geblieben war von jeder Politik. Bei uns galt nur eine Politik; die Politik der guten Leistung. "
Havemann entlarvt auch Sepp Herberger, den großen Helden von Bern und Nachfolger des im Dritten Reich offen als Antisemit auftretenden Reichstrainers Otto Nerz, in "Fußball unterm Hakenkreuz" als Stütze des Systems.
Insgesamt stellt Nils Havemann dem deutschen Fußball in der Zeit zwischen 1933 und 1945 mit seinem Buch ein vernichtendes Zeugnis aus. Unter den gleichgeschalteten Fußballern, die sich lange Zeit gern als Opfer der Umstände aus der Verantwortung stahlen, hatte kaum einer den Mumm, Zivilcourage zu zeigen und sich gegen die mörderischen Verhältnisse im Deutschen Reich zu stellen.
Karl Schmidt: "Zwischen den Leichen sind Menschen herumgeirrt und haben nach Verwandten gesucht. Auch wir."
Etwas abseits, hinter Innenminister Schily und DFB-Chef Zwanziger, steht ein kleiner, grauhaariger Mann und blättert in Nils Havemanns Buch. Als Elfjähriger hatte Karl Schmidt 1943 einen schweren Bombenangriff auf seine Heimatstadt Kassel erleben müssen. Am nächsten Morgen ging er mit seinem Vater ins städtische Fußballstadion. Dort lagen hunderte Leichen. Auch über 60 Jahre später hat Schmidt diese Bilder nicht vergessen. Im DFB ist der 73jährige Schmidt für sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben zuständig.
Karl Schmidt: "Zehn Jahre später habe ich dort in diesem Stadion für den KSV Hessen Kassel Fußball gespielt. Und ich kann Ihnen das Gefühl nicht beschreiben, jedes Mal, wenn dieser Rasen betreten wurde, dann war es, als wenn ich die Füße höher heben musste, als sonst. "
Nils Havemann: Fußball unterm Hakenkreuz
Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz
Campus Verlag, Frankfurt/Main 2005