Der Denker, die Stadt und allerlei Reklame
Der Briefwechsel des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) stellt ein einzigartiges Zeugnis der europäischen Gelehrtenrepublik im Übergang vom Barock zur frühen Aufklärung dar. Er umfasst mit rund 15.000 Briefen an 1100 Korrespondenten alle wichtigen Bereiche der Wissenschaften. Vom UNESCO-Programm "Memory of the World" ist die Leibniz-Korrespondenz nun als Bestand der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover in das Weltregister der UNESCO aufgenommen worden.
Über Seidenraupenzucht und die philosophischen Probleme der sogenannten Theodizee, über die Vorzüge einer Expedition nach Ägypten, über "Unendlichkeit" und "Glückseligkeit", aber auch zu Erbfolgeregelungen in Europas Königshäusern belehrte und befragte Gottfried Wilhelm Leibniz die Empfänger seiner zahllosen Briefe. Mit dieser Korrespondenz darf der Philosoph, Naturforscher und Diplomat als zentrale Figur jenes Netzwerks gelten, das im Rückblick auf das 17. Jahrhundert als "Gelehrtenrepublik" bezeichnet wird. Der Name verpflichtet, das Kulturerbe will gepflegt sein – und das kostet. Etwa, wenn auf dem antiquarischen Markt bislang unbekannte Schreiben des Universalgelehrten auftauchen.
"Bei der antiquarischen Ergänzung steht der Gedanke im Vordergrund, dass mit diesen Erwerbungen zum einen das Objekt gesichert werden kann und zweitens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, was ja bei Dingen im Privatbesitz oft nur eingeschränkt möglich ist."
Als Bibliothekar kennt Thomas Fuchs sich bestens aus mit dem Leibniz-Nachlass. Er überschaut auch die Arbeit an der Leibniz-Edition, die seit Jahrzehnten von Akademien in Berlin und Potsdam, Hannover und Münster herausgegeben wird. Die Reihe der "historischen und sprachwissenschaftlichen Schriften" allerdings konnte bislang noch nicht in Angriff genommen werden, dafür fehlt das Geld.
Macht nichts, solange der Kulturetat in Hannover noch für neue Namensschilder reicht: Die Landesbibliothek muss zwar auf manche Neuanschaffung verzichten, verleiht aber neuerdings jede Menge Spielfilm-DVDs – und heißt seither "Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek". Warum auch nicht? Denn seit Jahren schon vergibt der Presse Club einen "Leibniz-Ring". 2006 durfte ein Filmregisseur die Auszeichnung entgegennehmen: Sönke Wortmann, in dessen ja durchaus nicht zu verachtendem Werk vermutlich so viel Philosophie steckt wie in dem längst sprichwörtlichen Leibniz-Keks aus urhannöverscher Produktion.
Dieser Reklamerummel, dieser gedankenlose Umgang mit dem Namen "Leibniz" als bloßem Aushängeschild hat Tradition: So wurde das vom Bombenkrieg zerstörte Wohnhaus des Gelehrten, an dem Gottfried Benn 1935 noch die "großartige Raumempfindung des 16. Jahrhunderts" bewundert hatte, einfach nur als historisierende Fassade wiedererrichtet – und nicht einmal am ursprünglichen Ort, denn da stand mittlerweile ein Parkhaus.
Werbewirksam hat sich jüngst auch die Universität auf Leibniz besonnen, als kostengünstiges Alibi. Denn seit sie den Universalgelehrten zum Namenspatron erkoren hat, gibt es Bestrebungen, ausgerechnet das Fach Philosophie einzusparen. Eine bittere Pille – die das selten klebrige Bonbon eines hannoverschen Finanzdienstleisters nur um so unverdaulicher macht: Ein Globalisierungsgewinner, der sich besser auf digitale Nomaden als auf Leibnizsche Monaden verstehen dürfte, der Unternehmer, dessen Firma vor allem als Namensgeber der hannoverschen Fußballarena bekannt geworden ist, stiftet jährlich 200.000 Euro für eine Leibniz-Professur, das Land und die Stadt Hannover zahlen denselben Betrag dazu. Ein für diese stattliche Ablösesumme eingekaufter Denker aus der allerersten Liga –Wunschkandidat war Peter Sloterdijk – soll nach dem Willen des Sponsors "die Marke Leibniz-Stadt" voranbringen, soll nicht etwa an der Uni lehren, sondern als "Organisationstalent" im Rathaus sein Büro beziehen oder – wie es neuerdings heißt – in repräsentativer Umgebung in den Herrenhäuser Gärten. Schön, das sich eine Republik leistet, was bislang englischem Landadel vorbehalten war – den "Schmuckeremit" für den Schlosspark.
Wer so etwas braucht? Die Studenten sicher nicht, denn über die berichtet Günter Mensching, derzeit noch Philosophieprofessor in der "Leibniz-Stadt" Hannover:
"Es gibt gerade Interesse bei Ingenieuren, wir haben Zulauf von Ingenieuren – aber die wollen keine Ingenieursphilosophie haben, sondern die wollen wirklich etwas von Leibniz hören, die wollen was von Spinoza hören, die wollen was von Thomas von Aquin hören oder von Aristoteles."
In diesem Kreis also wäre Leibniz, der Konstrukteur von Bergwerksanlagen und Erfinder einer Rechenmaschine, mit seiner Philosophie bestens aufgehoben. Und auch das "Weltdokumentenerbe" hätte hier seine interessierten Leser. Aber vielleicht hat ja zumindest der Festredner genau daran gedacht: Wenn in Anwesenheit von Ministerpräsident Christian Wulff und Wissenschaftsminister Lutz Stratmann die UNESCO-Urkunde überreicht wird, will der Leibniz-Biograph Eike Christian Hirsch die Frage stellen "Allein was hilft die Brille in ihrem Futteral, wenn niemand durchsieht?"
"Bei der antiquarischen Ergänzung steht der Gedanke im Vordergrund, dass mit diesen Erwerbungen zum einen das Objekt gesichert werden kann und zweitens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, was ja bei Dingen im Privatbesitz oft nur eingeschränkt möglich ist."
Als Bibliothekar kennt Thomas Fuchs sich bestens aus mit dem Leibniz-Nachlass. Er überschaut auch die Arbeit an der Leibniz-Edition, die seit Jahrzehnten von Akademien in Berlin und Potsdam, Hannover und Münster herausgegeben wird. Die Reihe der "historischen und sprachwissenschaftlichen Schriften" allerdings konnte bislang noch nicht in Angriff genommen werden, dafür fehlt das Geld.
Macht nichts, solange der Kulturetat in Hannover noch für neue Namensschilder reicht: Die Landesbibliothek muss zwar auf manche Neuanschaffung verzichten, verleiht aber neuerdings jede Menge Spielfilm-DVDs – und heißt seither "Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek". Warum auch nicht? Denn seit Jahren schon vergibt der Presse Club einen "Leibniz-Ring". 2006 durfte ein Filmregisseur die Auszeichnung entgegennehmen: Sönke Wortmann, in dessen ja durchaus nicht zu verachtendem Werk vermutlich so viel Philosophie steckt wie in dem längst sprichwörtlichen Leibniz-Keks aus urhannöverscher Produktion.
Dieser Reklamerummel, dieser gedankenlose Umgang mit dem Namen "Leibniz" als bloßem Aushängeschild hat Tradition: So wurde das vom Bombenkrieg zerstörte Wohnhaus des Gelehrten, an dem Gottfried Benn 1935 noch die "großartige Raumempfindung des 16. Jahrhunderts" bewundert hatte, einfach nur als historisierende Fassade wiedererrichtet – und nicht einmal am ursprünglichen Ort, denn da stand mittlerweile ein Parkhaus.
Werbewirksam hat sich jüngst auch die Universität auf Leibniz besonnen, als kostengünstiges Alibi. Denn seit sie den Universalgelehrten zum Namenspatron erkoren hat, gibt es Bestrebungen, ausgerechnet das Fach Philosophie einzusparen. Eine bittere Pille – die das selten klebrige Bonbon eines hannoverschen Finanzdienstleisters nur um so unverdaulicher macht: Ein Globalisierungsgewinner, der sich besser auf digitale Nomaden als auf Leibnizsche Monaden verstehen dürfte, der Unternehmer, dessen Firma vor allem als Namensgeber der hannoverschen Fußballarena bekannt geworden ist, stiftet jährlich 200.000 Euro für eine Leibniz-Professur, das Land und die Stadt Hannover zahlen denselben Betrag dazu. Ein für diese stattliche Ablösesumme eingekaufter Denker aus der allerersten Liga –Wunschkandidat war Peter Sloterdijk – soll nach dem Willen des Sponsors "die Marke Leibniz-Stadt" voranbringen, soll nicht etwa an der Uni lehren, sondern als "Organisationstalent" im Rathaus sein Büro beziehen oder – wie es neuerdings heißt – in repräsentativer Umgebung in den Herrenhäuser Gärten. Schön, das sich eine Republik leistet, was bislang englischem Landadel vorbehalten war – den "Schmuckeremit" für den Schlosspark.
Wer so etwas braucht? Die Studenten sicher nicht, denn über die berichtet Günter Mensching, derzeit noch Philosophieprofessor in der "Leibniz-Stadt" Hannover:
"Es gibt gerade Interesse bei Ingenieuren, wir haben Zulauf von Ingenieuren – aber die wollen keine Ingenieursphilosophie haben, sondern die wollen wirklich etwas von Leibniz hören, die wollen was von Spinoza hören, die wollen was von Thomas von Aquin hören oder von Aristoteles."
In diesem Kreis also wäre Leibniz, der Konstrukteur von Bergwerksanlagen und Erfinder einer Rechenmaschine, mit seiner Philosophie bestens aufgehoben. Und auch das "Weltdokumentenerbe" hätte hier seine interessierten Leser. Aber vielleicht hat ja zumindest der Festredner genau daran gedacht: Wenn in Anwesenheit von Ministerpräsident Christian Wulff und Wissenschaftsminister Lutz Stratmann die UNESCO-Urkunde überreicht wird, will der Leibniz-Biograph Eike Christian Hirsch die Frage stellen "Allein was hilft die Brille in ihrem Futteral, wenn niemand durchsieht?"