Der Datenumschlagplatz

Von Sven Töniges |
Mit Frankfurt verbinden wir die Banken und den Flughafen, nur wenige wissen allerdings, dass sich hier auch der größte Umschlagplatz für Daten befindet: Der Internetknoten „De-Cix“, über den Abermillionen Menschen kommunizieren – von Lateinamerika bis Korea.
Wer das Internet besuchen möchte, muss nach Frankfurt-Fechenheim. Hanauer Landstraße, kurz hinter der A 661: ein etwas ödes Gewerbegebiet. Eine Billig-Waschstraße gibt es hier, einen Babymarkt, eine Fast-Food-Kette aus Kentucky – und den größten Internetknotenpunkt der Welt.

Wer gerade eine E-Mail bekommen oder geschrieben hat, dessen Daten sind mit großer Wahrscheinlichkeit eben durch den Frankfurter Osten gerauscht.

Gleich hinter der Ausfahrt Frankfurt-Ost knubbeln sich die Datenautobahnen dieser Welt. Ein Gutteil des deutschen Internetverkehrs kommt hier vorbei – in einem riesigen Rechenzentrum mit 10.000 Quadratmeter Rechenfläche, sitzt der German Commercial Internet Exchange, kurz: De-Cix. Ein Hochsicherheitsgebiet.

„Hier sehen wir die Sicherungsanlagen, da haben wir eine Kamera, da noch mal eine Kamera, darüber einen Infrarotscheinwerfer...“

Sagt Arnold Nipper, als Technischer Leiter der Herr des Knotens.

„Guten Tag ... Ich bin angemeldet.“

Selbst Arnold Nipper muss sich in die Hände der Security begeben, wenn er seine Wirkungsstätte besuchen will. Ein Sicherheitsmann hinter schwerem Glas nimmt die Personalausweise an sich. Dann geht es einen Gang entlang, bis zu einer Glasschleuse.

„Das ist die sogenannte Personenvereinzelungsanlage. Die Person geht rein, muss sich durch Fingerabdruck identifizieren, dann geht die Schleuse wieder auf. Hier befindet sich auch eine Waage drin, wenn man also Gerätschaften mitnimmt, muss man das hier voranmelden.“

Eine Personenvereinzelungsanlage mit Sicherheitswaage – das gab es 1995 noch nicht, als Arnold Nipper und seine Mitarbeiter den ersten deutschen Internetknoten aufbauten. Der hätte damals in jede Handtasche gepasst.

„1995 war die Infrastruktur, war das Gerät über das wir die Daten ausgetauscht haben, na sagen wir, schuhkartongroß, da waren dann zehn Steckplätze dran, wo man sich anschließen konnte.“

Denn noch war das Internet eine streng hierarchische Veranstaltung. Schickte man Daten von einem zum einem anderen Rechner in Deutschland, musste das Datenpaket einen Umweg über die USA nehmen.

„Und da sind wird dann auf die Idee gekommen und haben gesagt, okay, lasst uns auch hier in Deutschland einen Internetknotenpunkt aufbauen, dann brauchen wir unsere Daten nicht zweimal über den Atlantik schicken, sondern können die direkt austauschen. Das spart uns Kosten, weil der Datenverkehr über die internationalen Leitungen war immens teuer damals, und außerdem erhöht es die Performanz, weil die Strecken kürzer werden und die Daten damit schneller fließen können.“

17 Jahre später: Es wird laut. Und kühl. Arnold Nipper ist unterwegs zum Herzstück des De-Cix, inzwischen ein Tochterunternehmen des Internet-Branchenverbands „eco“. Es geht über lange Gänge mit Metallschiebetüren, darüber das wütende Getose der Klimaanlage. Arnold Nipper zeigt an die Decke.

„Was wir hier oben sehen, sind jede Menge Datenleitungen, das sind keine Stromleitungen, sondern da befinden sich eben Kupferkabel drunter. Und in den gelben befinden sich Glasfaserleitungen.“

Der Sicherheitsmann öffnet eine der Schiebetüren. Ein Raum mit vielen grauen Kästen, in manchen blinken fröhlich gelbe und grüne Dioden. Hier also schlägt das Herz des deutschen Internet-Verkehrs.

Sven Töniges: „Hier stehen wir vor dem Allerheiligsten?“

Arnold Nipper: „Ja, hier stehen wir vor dem Cage 5A, in dem sich ein Raum des De-Cix befindet.“

Selbst mit energieeffizienter Klimatechnik ist die Stromrechnung saftig: Der Verbrauch des gesamten Rechenzentrum ist so hoch wie der einer 100.000-Einwohner-Stadt. Und was passiert, wenn beim De-Cix der Strom einmal ausfällt? Dann, so, erklärt Arnold Nipper, springen sofort große Dieselaggregate im Keller an und sorgen für einen nahtlose Stromversorgung.

Aber zurück zum Allerheiligsten, dem De-Cix-Schrein, dem Cage 5A:

„Jetzt gehen wir mal in den Kaltgang rein und betrachten uns den Schrank hier ... Also das ist ein sogenannter Switch, das ist ein Spezialrechner, dessen Aufgabe nichts anderes ist, als Daten über ein Glasfaserpärchen zu empfangen und über den neuen Port wieder rauszuschicken.“

Sven Töniges: „Also wir sehen einen dicken Wust von gelben Kabeln, die in kleinere, schmalere gelbe Kabel münden...“

Arnold Nipper: „Also es ist kein Wust. Ich finde, es ist sehr aufgeräumt. Das dicke gelbe Kabel, das sind zehn Glasfaserkabel, die wir dann bündeln.“

Sven Töniges: „Was würde passieren, wenn ich jetzt meine Schere zücken und dieses Kabel durchtrennen würde?“

Arnold Nipper: „Wenn sie dieses Kabelbündel durchtrennen würden, würde man acht mal zehn GB Datenverkehr abschneiden. Der Datenverkehr würde für einen kurzen Moment stocken, dann aber gleich weiter fließen.“

Redundanz ist da das Stichwort: Strukturen wie der De-Cix sind redundant angelegt. Wenn sein Herz, der Core-Switch ausfällt, springt ein baugleicher Ersatz ein, der ständig im Stand-By-Modus mitschlummert.

Auch der dramatisch gestiegene Datenverkehr im Internet konnte den Knotenpunkt bislang nicht in die Knie zwingen. Derzeit wächst der Datendurchsatz am De-Cix jährlich um 80 Prozent, sagt Arnold Nipper. Für die nächsten Wochen rechnet man in Frankfurt fest mit dem Erreichen der Spitzenmarke von zwei Terabit pro Sekunde. Die Autobahn 661, draußen vor der Tür in Frankfurt-Fechenheim, wäre bei soviel Verkehr dicht. Auf der Datenautobahn ist dagegen noch viel Luft nach oben, sagt Arnold Nipper:

„Mit der Technik, wie wir es bis jetzt aufgebaut haben, skaliert das Ganze bis mindestens 40 Terabit. Also aus unserer technischen Sicht könnte das Internet noch weiter wachsen, in dem Maße, wie es bislang gewachsen ist.“


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