Der Codex Sinaiticus soll komplett ins Internet
Der Codex Sinaiticus aus dem vierten Jahrhundert gilt als eine der ältesten Bibelhandschriften der Welt. Eine der insgesamt 400 wertvollen Pergament-Seiten wurde am Abend in Leipzig der Öffentlichkeit präsentiert. Anlass ist ein Großprojekt: Wissenschaftler aus England, Russland und Deutschland wollen die weltweit verstreuten Teile des Codex Sinaiticus zusammenführen und eine Internet-Edition herausbringen.
Fotografin: "So, und jetzt würde ich Sie bitten, dass Sie ihm das Original in die Hand geben."
Foto-Termin im Keller der Universitätsbibliothek Leipzig. Direktor Ulrich Johannes Schneider und Pater Justin vom Katharinen-Kloster am Berg Sinai blicken etwas unsicher in die Kamera.
Fotografin: "Ruhig höher nehmen …"
Die Fotografin von dpa interessiert sich allerdings weniger für die beiden Herren, sondern für ein Pergament, das vor ihnen liegt: den Codex Sinaiticus.
Schneider: "Wissen Sie, dass ich das das erste Mal in der Hand halte?"
Behutsam hebt Bibliotheksdirektor Schneider das dünne Blatt für die Kamera nach oben. Seine kräftigen Hände sind in weiße Stoffhandschuhe gehüllt. Die Heilige Schrift aus dem vierten Jahrhundert soll keinen Schaden nehmen.
"Wir zeigen eine Seite des Codex Sinaiticus – anlässlich eines internationalen Projektes, das der Erschließung dieses Werkes dient."
Zum ersten Mal präsentiert die Universität Leipzig ihre Original-Fragmente des Codex Sinaiticus einer breiten Öffentlichkeit. In dem mehr als 1.600 Jahre alten griechischen Text ist die Heilsgeschichte fast exakt so dargestellt, wie man sie heute aus der Bibel kennt. Nur in Details gibt es Abweichungen. Zur Präsentation sind Wissenschaftler aus Russland und Großbritannien nach Leipzig gereist. Pater Justin ist vom Sinai eingeflogen.
"Es ist mein erster Besuch in Deutschland. Ich folge den Schritten Konstantins von Tischendorf. Er hatte 1844 mein Kloster am Berg Sinai besucht und er brachte von dort einige Seiten des Codex Sinaiticus nach Sachsen mit und zeigte sie hier König August. So kam das Fragment hierher in die Universitätsbibliothek Leipzig."
Konstantin von Tischendorf war evangelischer Theologe und Bibel-Experte des 19. Jahrhunderts. Mehrfach reiste er in den Orient – besessen von der Idee, die ältesten Ausgaben des Neuen Testaments zu finden. Mit Erfolg. In einem Papierkorb des Katharinenklosters entdeckte er 1844 jene Fragmente, die heute in Leipzig liegen. Altgriechische Bibelhandschriften aus dem vierten Jahrhundert. Bibliotheksdirektor Schneider:
"Damals haben ihm die Mönche 43 Blätter übergeben, geschenkt. Er ist dann noch mehrfach hingefahren und hat am Ende eine große Menge desselben Manuskripts mitgenommen. Ob das ein Geschenk war oder ein Verkauf war, darüber gibt es strittige Versionen."
Fest steht nur, dass die Mönche weitere Blätter der Handschrift erst nach zähen Verhandlungen herausrückten. Diesmal gingen die Seiten nicht nach Leipzig sondern nach Sankt Petersburg. Zar Alexander der Zweite hatte bei den Kaufverhandlungen Pate gestanden. Doch in Russland blieben die Originale nicht lange. Der sowjetische Diktator Josef Stalin hatte keinen Sinn für Bibelhandschriften und verkaufte fast alle Seiten nach Großbritannien. Seither wird der Codex Sinaiticus an vier verschiedenen Orten aufbewahrt: In London, Leipzig, sowie Reste in Sankt Petersburg und im Kloster auf dem Sinai. Pater Justin:
"Wir haben die Aufteilung des Manuskripts immer bedauert. Und natürlich fänden wir es gut, wenn wir es komplett zurückbekämen. Aber gleichzeitig hat die Geschichte Verbindungen geschaffen. Verbindungen zwischen unserem Kloster und den anderen Einrichtungen. Und ich finde es bemerkenswert, dass wir nun kooperieren. Vielleicht schaffen wir ja ein Symbol, indem wir zeigen, was man erreichen kann, wenn man seine Meinungsverschiedenheiten beiseite legt, um wichtigere Ziele zu erreichen."
Die Wissenschaftler wollen in Leipzig auch ein gemeinsames Projekt voranbringen. Die Veröffentlichung des gesamten Codex Sinaiticus im Internet. Online sollen die Teile wieder zusammenfinden, die im 19. und 20. Jahrhundert auseinandergerissen wurden.
Schneider: "Der Codex Sinaiticus ist heute überliefert in etwas mehr als 400 Blättern. Es ist nicht nur vom Text her gesehen eine besonders bemerkenswerte Angelegenheit, weil es eben das erste Mal das vollständige Neue Testament enthält, sondern es handelt sich auch um eines der ersten Bücher überhaupt. Ein sogenannter Codex ist eben ein gebundenes Buch. Nicht mehr eine Rolle. Und auch die Benutzung von Pergament war damals im vierten Jahrhundert neu. Damals schrieb man üblicherweise auf Papyrus. Und auch deswegen ist der Codex für uns sehr interessant."
Vier Jahre sind für das Abfotografieren der Seiten und die Veröffentlichung veranschlagt. Zusätzlich zu Standardfotografien werden auch Bilder unter schräg einfallendem Licht gemacht, um die physikalischen Besonderheiten der Pergamente zum Vorschein zu bringen. Multispektralbilder erlauben es zudem, gelöschte Textstellen zu erkennen und alle Korrekturen, die über die Jahrhunderte eingefügt wurden, zu analysieren.
"Das Projekt wird der Forschung sicher einen großen Impuls geben, insofern ja dann erstmals alle Blätter gemeinsam konsultiert werden können. Außerdem wird das Projekt dafür sorgen, dass man über die physische Qualität der Seiten sehr genau Bescheid weiß. Auch alle sonstigen Spuren materieller Art werden lesbar gemacht. Und wir erhoffen uns dadurch auch einen weiteren Forschritt in der Erforschung des Textes und seiner Geschichte."
Ab 2010 sollen Forscher aus aller Welt in den Texten studieren können, ohne dass dafür die hochwertigen Originale aus den Archiven geholt werden müssen. Denn das Pergament ist hoch empfindlich. Die Schreiber verwendeten vor 1.600 Jahren die Häute von Kälbern und Ziegen – das teuerste und beste Pergament, was damals zum Beschreiben erhältlich war.
Foto-Termin im Keller der Universitätsbibliothek Leipzig. Direktor Ulrich Johannes Schneider und Pater Justin vom Katharinen-Kloster am Berg Sinai blicken etwas unsicher in die Kamera.
Fotografin: "Ruhig höher nehmen …"
Die Fotografin von dpa interessiert sich allerdings weniger für die beiden Herren, sondern für ein Pergament, das vor ihnen liegt: den Codex Sinaiticus.
Schneider: "Wissen Sie, dass ich das das erste Mal in der Hand halte?"
Behutsam hebt Bibliotheksdirektor Schneider das dünne Blatt für die Kamera nach oben. Seine kräftigen Hände sind in weiße Stoffhandschuhe gehüllt. Die Heilige Schrift aus dem vierten Jahrhundert soll keinen Schaden nehmen.
"Wir zeigen eine Seite des Codex Sinaiticus – anlässlich eines internationalen Projektes, das der Erschließung dieses Werkes dient."
Zum ersten Mal präsentiert die Universität Leipzig ihre Original-Fragmente des Codex Sinaiticus einer breiten Öffentlichkeit. In dem mehr als 1.600 Jahre alten griechischen Text ist die Heilsgeschichte fast exakt so dargestellt, wie man sie heute aus der Bibel kennt. Nur in Details gibt es Abweichungen. Zur Präsentation sind Wissenschaftler aus Russland und Großbritannien nach Leipzig gereist. Pater Justin ist vom Sinai eingeflogen.
"Es ist mein erster Besuch in Deutschland. Ich folge den Schritten Konstantins von Tischendorf. Er hatte 1844 mein Kloster am Berg Sinai besucht und er brachte von dort einige Seiten des Codex Sinaiticus nach Sachsen mit und zeigte sie hier König August. So kam das Fragment hierher in die Universitätsbibliothek Leipzig."
Konstantin von Tischendorf war evangelischer Theologe und Bibel-Experte des 19. Jahrhunderts. Mehrfach reiste er in den Orient – besessen von der Idee, die ältesten Ausgaben des Neuen Testaments zu finden. Mit Erfolg. In einem Papierkorb des Katharinenklosters entdeckte er 1844 jene Fragmente, die heute in Leipzig liegen. Altgriechische Bibelhandschriften aus dem vierten Jahrhundert. Bibliotheksdirektor Schneider:
"Damals haben ihm die Mönche 43 Blätter übergeben, geschenkt. Er ist dann noch mehrfach hingefahren und hat am Ende eine große Menge desselben Manuskripts mitgenommen. Ob das ein Geschenk war oder ein Verkauf war, darüber gibt es strittige Versionen."
Fest steht nur, dass die Mönche weitere Blätter der Handschrift erst nach zähen Verhandlungen herausrückten. Diesmal gingen die Seiten nicht nach Leipzig sondern nach Sankt Petersburg. Zar Alexander der Zweite hatte bei den Kaufverhandlungen Pate gestanden. Doch in Russland blieben die Originale nicht lange. Der sowjetische Diktator Josef Stalin hatte keinen Sinn für Bibelhandschriften und verkaufte fast alle Seiten nach Großbritannien. Seither wird der Codex Sinaiticus an vier verschiedenen Orten aufbewahrt: In London, Leipzig, sowie Reste in Sankt Petersburg und im Kloster auf dem Sinai. Pater Justin:
"Wir haben die Aufteilung des Manuskripts immer bedauert. Und natürlich fänden wir es gut, wenn wir es komplett zurückbekämen. Aber gleichzeitig hat die Geschichte Verbindungen geschaffen. Verbindungen zwischen unserem Kloster und den anderen Einrichtungen. Und ich finde es bemerkenswert, dass wir nun kooperieren. Vielleicht schaffen wir ja ein Symbol, indem wir zeigen, was man erreichen kann, wenn man seine Meinungsverschiedenheiten beiseite legt, um wichtigere Ziele zu erreichen."
Die Wissenschaftler wollen in Leipzig auch ein gemeinsames Projekt voranbringen. Die Veröffentlichung des gesamten Codex Sinaiticus im Internet. Online sollen die Teile wieder zusammenfinden, die im 19. und 20. Jahrhundert auseinandergerissen wurden.
Schneider: "Der Codex Sinaiticus ist heute überliefert in etwas mehr als 400 Blättern. Es ist nicht nur vom Text her gesehen eine besonders bemerkenswerte Angelegenheit, weil es eben das erste Mal das vollständige Neue Testament enthält, sondern es handelt sich auch um eines der ersten Bücher überhaupt. Ein sogenannter Codex ist eben ein gebundenes Buch. Nicht mehr eine Rolle. Und auch die Benutzung von Pergament war damals im vierten Jahrhundert neu. Damals schrieb man üblicherweise auf Papyrus. Und auch deswegen ist der Codex für uns sehr interessant."
Vier Jahre sind für das Abfotografieren der Seiten und die Veröffentlichung veranschlagt. Zusätzlich zu Standardfotografien werden auch Bilder unter schräg einfallendem Licht gemacht, um die physikalischen Besonderheiten der Pergamente zum Vorschein zu bringen. Multispektralbilder erlauben es zudem, gelöschte Textstellen zu erkennen und alle Korrekturen, die über die Jahrhunderte eingefügt wurden, zu analysieren.
"Das Projekt wird der Forschung sicher einen großen Impuls geben, insofern ja dann erstmals alle Blätter gemeinsam konsultiert werden können. Außerdem wird das Projekt dafür sorgen, dass man über die physische Qualität der Seiten sehr genau Bescheid weiß. Auch alle sonstigen Spuren materieller Art werden lesbar gemacht. Und wir erhoffen uns dadurch auch einen weiteren Forschritt in der Erforschung des Textes und seiner Geschichte."
Ab 2010 sollen Forscher aus aller Welt in den Texten studieren können, ohne dass dafür die hochwertigen Originale aus den Archiven geholt werden müssen. Denn das Pergament ist hoch empfindlich. Die Schreiber verwendeten vor 1.600 Jahren die Häute von Kälbern und Ziegen – das teuerste und beste Pergament, was damals zum Beschreiben erhältlich war.