Der brodelnde Berg

Weltweit gibt es rund 500 aktive Vulkane, doch keiner hat die Geschichte der Menschheit derart beeinflusst wie der Vesu. Der "majestätische Verbrecher", wie Gerhart Hauptmann ihn nannte, ist die Geburtsstätte der modernen Vulkanologie und der meistbesuchte Berg der Welt. Dieter Richter hat die Geschichte dieses Berges zusammengefasst.
"Der Vesuv. Geschichte eines Berges." - Das Buch ist, wie sich vermuten lässt, etwas für Leute, die an Erdkunde interessiert sind. Doch der Titel ist bei weitem untertrieben. Das Buch ist viel mehr, nämlich auch etwas für Italien-Fans, die planen, demnächst die Gegend um Neapel zu besuchen. Und dazu empfiehlt es sich für alle Leser mit Interesse an Historie, Literatur und Philosophie.

Tatsächlich: das hier ist ein kleines Kompendium. Es beginnt mit einem Kapitel über Erdgeschichte. Wann und warum ist der Vesuv entstanden etc., danach geht es um die großen Katastrophen, die der Berg seinen Anwohnern bescherte. Vor allem natürlich um die letzten Tage von Pompeji im Jahre 79 und um den Ausbruch von 1631, wo es mehrere Tausend Opfer gegeben hat, Neapel aber verschont geblieben ist. Gott sei Dank und um ein Haar. Jedes Mal kommen Zeitzeugen zu Wort, dazu Literaten und Historiker. Es folgt ein Abschnitt über die philosophischen Debatten, die der brodelnde Vulkan immer wieder angezettelt hat, von der Antike bis in die Neuzeit. "Warum lässt ein gütiger Vater im Himmel diese Katastrophen zu?" oder "Ist die Natur eine Gottheit ’jenseits von gut und böse’"? – Über solche und ähnliche Fragen zerbrechen sich Tacitus und Marc Aurel, Kant und Voltaire in Dieter Richters Buch die Köpfe. Und Goethe, der den rauchenden Krater des Vesuvs höchst selbst erklettert hat.

Dieter Richter schreibt auch über Neapel und den Vesuv von heute, das dürfte besonders Reiselustige interessieren. Der fürchterliche Riese raucht nicht mehr, dafür ist er jetzt täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. "Der Massentourismus hat den Berg banalisiert", stellt Richter fest und macht uns eher neugierig auf das alljährliche Fest des Heiligen Gennaro. Gennaro ist der Patron von Neapel. Der Legende nach hat er 1631 die Stadt vor der Katastrophe bewahrt, der Vesuv war damals wieder ausgebrochen und hatte in den umliegenden Orten schon tausende Opfer unter Lava, Gesteinsbrocken und glühender Asche begraben.

Das Buch endet mit einem Ausblick: "Was haben wir in Zukunft vom Vesuv zu erwarten, wie gefährlich ist er heute noch?" Eine berechtigte Frage, denn der Vulkan ist keineswegs erloschen. Aber seine Magma-Kammern liegen in 10.000 Meter Tiefe, und der Auswurf-Schlot ist mit Gestein verstopft. Wenn sich dort unten etwas tun würde, hätte man genügend Zeit, die Anwohner zu evakuieren. "Gegenwärtig ist keine Gefahr im Verzug", vermeldet der Leiter des osservatorio del vesuvio in Neapel, "aber mehr wissen wir nicht: der Berg kann in 30, 300 oder auch erst in 3000 Jahren wieder ausbrechen". – Diese Aussicht schreckt die Neapolitaner offensichtlich nicht, "sie haben sich im Laufe der Jahrhunderte mit dem Alptraum versöhnt, unter einem kolossalen Ofen zu leben."

Ein Buch über Geologie und Vulkanforschung, Literatur, Geschichte, und Philosophie: ein ziemlicher Spagat. Dieter Richter ist von Haus aus Literaturwissenschaftler, demnach sind ihm Philosophie und Geschichte nicht ganz fremd. In Sachen Geologie und Vulkanforschung ist er vermutlich ein fröhlicher Dilletant. Aber ein Dilletant im Goetheschen Sinne: das, was er schreibt, ist die Frucht gelehrter Liebhaberei. Richter hat sich ausführlich mit Erdgeschichte und Vulkanologie beschäftigt und reicht sein Wissen nunmehr an den Leser weiter. In Texten von seltener Qualität. Schlicht und klar formuliert mit wunderbar plausiblen Bildern, ein Geologe vom Fach hätte es auf keinen Fall besser machen können.
Ein rundherum gelungenes Buch, man liest es mit Gewinn und mit Genuss.

Rezensiert von Susanne Mack

Dieter Richter: Der Vesuv. Geschichte eines Berges
Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2007
224 Seiten, 24,50 Euro.
Der brodelnde Berg
Ein Badehaus in Pompei
Ein Badehaus in Pompei© AP Archiv