Der Beobachter
Die Bildserien des Düsseldorfer Fotokünstlers Thomas Struth bewegen sich zwischen Dokument und Interpretation, sozialer Studie und gesellschaftspolitischer Mission. Das Kunsthaus Zürich zeigt einen Überblick.
Sie stehen in Scharen auf dem blank polierten Boden und starren andachtsvoll ergriffen in die Luft, geradeso, als geschähe dort, wohin sie schauen, ein Wunder, eine Offenbarung.
Es ist, auch wenn er nicht zu sehen ist, ein nackter Mann, an dessen Körper sich die Blicke heften: Michelangelos Marmor-"David" in Florenz, und die Museumsbesucher, die Thomas Struth dort fotografiert hat, verstellen uns fast den Weg in seine Züricher Schau. Knapp zwölf Meter lang zieht sich das Panorama aus vier riesigen Farbfotos die Wand entlang, und der Besucher fühlt sich ein wenig ertappt: So ähnlich wie diese Touristenscharen wird er sich gleich selbst benehmen.
Audience, also Publikum, nennt Struth die Serie von 2004, eine Fortsetzung jener Museumsbilder, mit denen er berühmt geworden ist und auf denen er Betrachter beim Betrachten von Kunst aufs Korn genommen hat, nur dass damals auch die Kunstwerke selbst noch mit im Bild waren. Das Museum ist für Struth ein besonderer Ort, an dem Menschen sich verwandeln wie sonst nur in der Kirche.
"Das hat so diesen Freiraum an Reflexion und Kontemplation, der ansonsten im Leben der meisten Leute heutzutage wenig Platz hat. Früher waren ja die Museen viel leerer als heute, das heißt, daraus kann man irgendwie schließen, dass mehr Leute so einen Zustand suchen."
Thomas Struth ist ein bedächtiger Mensch, viel und weit gereist, ein geduldiger Beobachter. Seine Serien entwickelt er mit langem Atem über viele Jahre. Zunächst sind das Architekturfotografien von zentralsymmetrischer Klarheit und entlarvender Präzision. Menschenleere Straßenzüge und Stadträume: Düsseldorf und Köln, Rom, Paris, New York, auch staubige Slums in der peruanischen Hauptstadt Lima. In asiatischen Metropolen kommen die Menschen unvermeidlich mit ins Bild, Struth nimmt das Gewimmel hin.
Gebaute Strukturen sind in seinen Augen ohnehin ein Ausdruck, wie er sagt, des "kollektiven Unbewussten", ein Mittel der sozialen und kulturellen Diagnose. Das macht diese Aufnahmen, neben ihrer reinen Ästhetik, aufschlussreich und lesbar, ganz ähnlich wie Struths Familienporträts aus aller Welt, deren personelle Konstellationen sich auch als sozialpsychologische Verhaltensstudien entziffern lassen.
Und dann, in einem anderen Raum, stehen wir plötzlich mitten im Paradies, umgeben von den großen Dschungelbildern, die seit 1998 entstehen. Dichtes Grün, wohin man blickt: Äste, Blätter, Flechtwerk, Ranken, triebhaftes Wachstum, tropische Natur. Dass wir den komplexen Detailreichtum optisch nicht verarbeiten können, ist das Thema dieser Bilder. Zuviel für die Augen, eine visuelle Überflutung.
"Wenn man unter den Bildern steht, dann sagt man nicht: Da ist ein dicker Ast, da ist ein dünner Ast, da sind noch mehr Blätter. Sondern man ist rein in diesem Betrachtungsprozess und spürt im Grunde genommen die Bewegung der eigenen Augen und man wird sehr bewusst über den eigenen Atem und die eigene Präsenz."
Struths jüngste Arbeiten beschäftigen sich mit einem ähnlichen Phänomen. Ambitionierte Industriefotografie auf den ersten Blick: sorgfältig komponiert, detailscharf, riesige Formate.
Im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, auf gigantischen Schiffswerften, im Kennedy Space Center, einem israelischen Laserlaboratorium und andernorts verfolgt Struth ein Projekt, das nichts weniger als eine "Geschichte des menschlichen Ehrgeizes" erzählen will. Es schwankt zwischen der Bewunderung technischer Höchstleistungen und dem Zweifel an der menschlichen Hybris: Dargestellt sind technisch wie visuell hochkomplexe Gebilde, die ein Einzelner nicht mehr durchschauen und kaum mehr kontrollieren kann.
Geradezu atemberaubend aktuell ist das Bild vom Bau einer wuchtigen Bohrinsel, die vor einer lieblichen Bergkette im seichten Wasser ihrer südkoreanischen Werft dümpelt. Es ist das Dokument einer faszinierenden Kulturleistung einerseits, doch was passieren kann, wenn solch ein Monster losgelassen wird, erleben wir derzeit im Golf von Mexiko.
Ja klar, sagt Struth auf die Frage, ob seine Arbeit gesellschaftskritisch zu verstehen sei. Und so ist jedes dieser Fotos zugleich die Verheißung von Fortschritt und menschlichem Glück, aber auch das Menetekel einer potenziellen Katastrophe, für deren Folgen wir bezahlen.
Apropos bezahlen: Wer das Bild der Bohrinsel kaufen will, muss eine gute viertel Million Euro investieren. Aber so ist sie nun einmal, die Welt: Das eine ist der Preis des Fortschritts, das andere der des Ruhms.
Service:
Die Ausstellung ist im Kunsthaus Zürich bis zum 12. September 2010 zu sehen, danach in Düsseldorf, London und Porto.
Es ist, auch wenn er nicht zu sehen ist, ein nackter Mann, an dessen Körper sich die Blicke heften: Michelangelos Marmor-"David" in Florenz, und die Museumsbesucher, die Thomas Struth dort fotografiert hat, verstellen uns fast den Weg in seine Züricher Schau. Knapp zwölf Meter lang zieht sich das Panorama aus vier riesigen Farbfotos die Wand entlang, und der Besucher fühlt sich ein wenig ertappt: So ähnlich wie diese Touristenscharen wird er sich gleich selbst benehmen.
Audience, also Publikum, nennt Struth die Serie von 2004, eine Fortsetzung jener Museumsbilder, mit denen er berühmt geworden ist und auf denen er Betrachter beim Betrachten von Kunst aufs Korn genommen hat, nur dass damals auch die Kunstwerke selbst noch mit im Bild waren. Das Museum ist für Struth ein besonderer Ort, an dem Menschen sich verwandeln wie sonst nur in der Kirche.
"Das hat so diesen Freiraum an Reflexion und Kontemplation, der ansonsten im Leben der meisten Leute heutzutage wenig Platz hat. Früher waren ja die Museen viel leerer als heute, das heißt, daraus kann man irgendwie schließen, dass mehr Leute so einen Zustand suchen."
Thomas Struth ist ein bedächtiger Mensch, viel und weit gereist, ein geduldiger Beobachter. Seine Serien entwickelt er mit langem Atem über viele Jahre. Zunächst sind das Architekturfotografien von zentralsymmetrischer Klarheit und entlarvender Präzision. Menschenleere Straßenzüge und Stadträume: Düsseldorf und Köln, Rom, Paris, New York, auch staubige Slums in der peruanischen Hauptstadt Lima. In asiatischen Metropolen kommen die Menschen unvermeidlich mit ins Bild, Struth nimmt das Gewimmel hin.
Gebaute Strukturen sind in seinen Augen ohnehin ein Ausdruck, wie er sagt, des "kollektiven Unbewussten", ein Mittel der sozialen und kulturellen Diagnose. Das macht diese Aufnahmen, neben ihrer reinen Ästhetik, aufschlussreich und lesbar, ganz ähnlich wie Struths Familienporträts aus aller Welt, deren personelle Konstellationen sich auch als sozialpsychologische Verhaltensstudien entziffern lassen.
Und dann, in einem anderen Raum, stehen wir plötzlich mitten im Paradies, umgeben von den großen Dschungelbildern, die seit 1998 entstehen. Dichtes Grün, wohin man blickt: Äste, Blätter, Flechtwerk, Ranken, triebhaftes Wachstum, tropische Natur. Dass wir den komplexen Detailreichtum optisch nicht verarbeiten können, ist das Thema dieser Bilder. Zuviel für die Augen, eine visuelle Überflutung.
"Wenn man unter den Bildern steht, dann sagt man nicht: Da ist ein dicker Ast, da ist ein dünner Ast, da sind noch mehr Blätter. Sondern man ist rein in diesem Betrachtungsprozess und spürt im Grunde genommen die Bewegung der eigenen Augen und man wird sehr bewusst über den eigenen Atem und die eigene Präsenz."
Struths jüngste Arbeiten beschäftigen sich mit einem ähnlichen Phänomen. Ambitionierte Industriefotografie auf den ersten Blick: sorgfältig komponiert, detailscharf, riesige Formate.
Im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, auf gigantischen Schiffswerften, im Kennedy Space Center, einem israelischen Laserlaboratorium und andernorts verfolgt Struth ein Projekt, das nichts weniger als eine "Geschichte des menschlichen Ehrgeizes" erzählen will. Es schwankt zwischen der Bewunderung technischer Höchstleistungen und dem Zweifel an der menschlichen Hybris: Dargestellt sind technisch wie visuell hochkomplexe Gebilde, die ein Einzelner nicht mehr durchschauen und kaum mehr kontrollieren kann.
Geradezu atemberaubend aktuell ist das Bild vom Bau einer wuchtigen Bohrinsel, die vor einer lieblichen Bergkette im seichten Wasser ihrer südkoreanischen Werft dümpelt. Es ist das Dokument einer faszinierenden Kulturleistung einerseits, doch was passieren kann, wenn solch ein Monster losgelassen wird, erleben wir derzeit im Golf von Mexiko.
Ja klar, sagt Struth auf die Frage, ob seine Arbeit gesellschaftskritisch zu verstehen sei. Und so ist jedes dieser Fotos zugleich die Verheißung von Fortschritt und menschlichem Glück, aber auch das Menetekel einer potenziellen Katastrophe, für deren Folgen wir bezahlen.
Apropos bezahlen: Wer das Bild der Bohrinsel kaufen will, muss eine gute viertel Million Euro investieren. Aber so ist sie nun einmal, die Welt: Das eine ist der Preis des Fortschritts, das andere der des Ruhms.
Service:
Die Ausstellung ist im Kunsthaus Zürich bis zum 12. September 2010 zu sehen, danach in Düsseldorf, London und Porto.