Der bayerische Macho

Von Hans Tschech · 14.07.2009
Die Bayern sind was Besonderes. Darauf legen sie Wert, und der Rest der Republik muss den Stamm vom Alpenrand ertragen - manchmal amüsiert, oft - zumindest im Berliner Politikbetrieb - mit Zähneknirschen.
Der Kern der bayerischen Lebensphilosophie steckt in drei schwer übersetzbaren Worten: "mir san mir", - was in der wörtlichen Übersetzung "wir sind wir" eine Selbstverständlichkeit und sinnlos ist, in seiner bayerischen Bedeutung aber das Fundament einer Weltanschauung darstellt. "Mir san mir", - das ist Ausdruck eines extrem ausgeprägten, unerschütterlichen Selbstvertrauens, tief verwurzelt in jahrhundertealten Traditionen, gewachsen im dröhnenden Gelächter der Stammtische.

Das "mir san mir" ist eine männliche Lebenseinstellung. Zwar hat der Zeitgeist auch vor Bayern nicht Halt gemacht; aber zwischen Alpen und Frankenwald hält sich zäher als anderswo die klassische Rollenverteilung. Der Mann geht sonntags nach der Kirche zum Wirt, die Frau macht daheim den Schweinsbraten und die Knödel. So war es immer – und so soll es bleiben. Politisch hat keiner die bayerische Selbstsicherheit so verkörpert wie Franz Josef Strauß – einer, der auftrumpfte, der hinlangte und deutliche Worte gebrauchte. Dafür haben ihn seine Bayern geliebt, die meisten jedenfalls, und seiner CSU satte Mehrheiten beschert. Danach? Ja – Edmund Stoiber war mächtig und wurde dafür bewundert. Aber er war auch immer der bleichgesichtige Asket, der am Rednerpult aus dem Maßkrug Kamillentee trank. Die barocke Lebensfülle fehlte ihm, das deftig Bayerisch-Katholische, in dem auch private Verfehlungen mit einer frommen Ermahnung im Beichtstuhl und mit einem Augenzwinkern in der Öffentlichkeit verziehen werden. Grübelnde Selbstzweifel, Schuldbewusstsein – das passt nicht zum "mir san mir" - Leben und leben lassen, - das ist die viel gerühmte liberalitas bavariae.

Jetzt haben die Bayern wieder einen, der – vielleicht – in die Fußstapfen des großen Franz Josef treten könnte. Ihr neuer Ministerpräsident ist ein gnadenloser Populist, der mit den Leuten kann und Stimmungen auffängt. Und Horst Seehofer weiß auch, dass es zu Hause als Ausdruck bayerischer Eigenständigkeit gut ankommt, wenn er sich in Berlin querlegt und seiner Kanzlerin das Leben schwer macht. Und: Er schert sich nicht darum, was die "Bunte" über ihn und eine angebliche Freundin in Berlin schreibt. Klar – die Zeiten von Strauß sind vorbei, die Zeiten, in denen Gesetze und demokratische Abläufe für den ungekrönten König von Bayern oft nur lästiges Beiwerk waren. Das ist jetzt alles eine Nummer kleiner, auch weil die Medien längst nicht mehr so zurückhaltend sind wie zu Zeiten von Strauß.

Seehofers sehr persönliches "mir san mir" trägt ihm an der bayerischen Basis bereits hohes Lob ein. "A Hund is er scho", heißt es – und die Titulierung "Hund" ist hier keineswegs eine Beleidigung, sondern ein Ausdruck von Anerkennung. "A Hund" im weiß-blauen Weltbild ist ein Schlitzohr; einer, der es mit den Regeln nicht immer so genau nimmt und letztlich Erfolg hat. So einen bewundert man, und da kann sich der Bewunderte manches erlauben.

Das alles spielt sich – wie gesagt – in einer Männerwelt ab. Gerade deshalb war das Aufsehen so gewaltig, als eine Frau selbstbewusst auftrumpfte, als Gabriele Pauli nicht locker ließ und in der CSU den Sturz des mächtigen Edmund Stoiber einleitete. Die kleine Landrätin gegen den abgehobenen Bayern-, Bundes- und Weltpolitiker. Die hat sich was getraut - und dem bayerischen Macho einen gehörigen Riss in die Lederhose gemacht. Aber sie, die für kurze Zeit ein wirklicher "Hund" in der Männerwelt war, - sie wird als politische Fußnote enden. Ähnlich wie ihr Opfer Edmund Stoiber hat sie die Bodenhaftung verloren. Das "mir san mir" funktioniert politisch nämlich nur, wenn es in der Bevölkerung verwurzelt bleibt. Und die hat ein feines Gespür dafür, ob jemand einer oder eine der Ihren ist oder nur so tut.

Hans Tschech, Journalist, geboren 1943 im Sudetenland. Seit der Kindheit in Bayern. Bis zum Renteneintritt im Mai 2008 42 Jahre beim Bayerischen Rundfunk/Hörfunk. Zunächst in der Nachrichten- und dann in der politischen Redaktion. Von 1986 bis 1989 Korrespondent des BR in London, von 1989 bis 1996 Korrespondent in Washington und von 1996 bis 2001 ARD-Hörfunkkorrespondent für den Nahen Osten und die Palästinensergebiete in Tel Aviv. Von 2001 bis 2008 Leiter der Redaktion Politik und Zeitgeschehen beim BR in München.
Hans Tschech
Hans Tschech© BR / Angelika Zettl