Der Bauherr, das unbekannte Wesen

Von Gerwin Zohlen · 23.08.2013
Die heute so begehrten Gründerzeithäuser wurden von Privatpersonen aus der aufstrebenden Mittelschicht gebaut. Heute müssen sich Architekten bei Projekten mit Gremien aus Rechtsanwälten, Betriebsprüfern und Bankern herumplagen. Das tut der Architektur nicht gut, klagt der Publizist Gerwin Zohlen.
Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger notierte einmal, dass Architekten in der Regel zwar besser verdienen als Dichter. Doch würden sie dafür auch nicht "vom schwelenden Hass all derjenigen verfolgt, die gezwungen sind, in ihren Werken zu hausen." Architektur als fast terroristische Belästigung wahrzunehmen, mag übellaunig sein. Dennoch trifft Enzensberger einen wunden Punkt.

Mir fiel Enzensbergers Sottise wieder ein, als ich in den letzten Wochen fast täglich Schlagzeilen las, die beklagen, dass es den großen Städten an bezahlbaren und schönen Wohnungen mangelt. Und gleichzeitig wird da verlangt, dass der Staat wieder auflegt, was er vor rund 15 Jahren weitgehend eingestellt hat, nämlich den sozialen Wohnungsbau.

Dagegen, was der hervorbrachte, richtete sich Enzensbergers Polemik. Er warf ihm vor, flächendeckend die Umwelt zu verschandeln und den Menschen scheußlich einzukerkern. Und weil Wohnen ein Grundbedürfnis ist, ist der Mensch ja wirklich zu allerlei Kompromissen bereit, passt sich selbst den gemeinsten Zellen und Karnickelställen an.

Nun ist die ästhetische Kritik am Wohnungsbau das eine. Sie ist nicht neu und schlicht richtig, aber auch schon breit in der Gesellschaft angekommen. Heute wird von allen Seiten Remedur gefordert, also schönes Wohnen in komfortablen Straßen, mit dem Bäcker neben der Haustür und der Ostsee vorm Balkon. Aber allzu komfortabel soll der Neubau oder sanierte Altbau auch nicht ausfallen, andernfalls wird der Luxus angeprangert - eben weil er zu hohen Mieten führt.

Mit dem Bauen kann man Schönes hervorbringen und glänzend verdienen, vorausgesetzt jemand bezahlt dafür: der ehemalige Grundstücksbesitzer, der künftige Eigentümer, der Mieter und auch der fürsorgende Staat. Soweit so bekannt.

Und der Bauherr? Wer ist er? Er ist weitgehend unbekannt und über ihn wird nur wenig gesprochen. Warum baut er nicht einfach Mietshäuser wie vor hundert Jahren, die heute noch so begehrt sind?

Architekten vermissen den engagierten Bauherrn. Bei großen Projekten, so klagen sie, säßen ihnen Gremien aus Rechtsanwälten, Betriebsprüfern und Bankern gegenüber, die an Rendite, aber nur wenig an Dauerhaftigkeit, sozialer Bindung oder gar Schönheit der Häuser interessiert seien.

Und hier lohnt ein Blick in die goldenen Zeiten des Städtebaus um die vorletzte Jahrhundertwende. Natürlich gab es auch damals Spekulanten und windige Bauunternehmer. Aber die Substanz, die große Masse der Mietshäuser ist von einer Mittelschicht der Handwerksmeister, Bäcker, Klempner und Installateure, der Rechtsanwälte, Ärzte und Ingenieure errichtet worden. Nicht etwa aus Schönheitsdusel und Repräsentationswahn, sondern knapp und nüchtern zur Altersvorsorge.

Diese soziale Schicht gibt es heute noch immer. Nur trägt sie ihr Vermögen zur Bank, steckt ihre Gelder in Versicherungs-, Pensions- und Immobilienfonds, riskiert viel und verspekuliert sich. Fürs Anlegen sind die Zinsen ungünstig niedrig, nicht aber fürs Bauen.

Warum also soll der Staat wieder in den sozialen Wohnungsbau einsteigen? Wäre es nicht besser, er würde diese Mittelschicht anregen, mit ihrem wohl verdienten Geld wieder Mietshäuser zu bauen? Also, den kleinen und mittleren Bauherrn fördern, der zur Altersvorsorge dann beides schafft, nämlich bezahlbaren Wohnraum sowie Städte, in denen zu leben Spaß macht?

Nachdenken lohnt, denn sicher ist, dass es ohne interessierte Bauherren keine gute Architektur und auch keine guten Städte gibt.


Gerwin Zohlen, Publizist, Architekturkritiker, geb. 1950; Studium der Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Heidelberg. Seit 1982 freier Autor und Publizist für Radio, Zeitung, Fernsehen und Buchverlage.
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