Der Ausstieg aus dem Ausstieg
Anfang des Jahres verkündete die bürgerliche Koalition unter Ministerpräsident Reinfeldt, in Schweden dürften wieder Atomreaktoren gebaut werden. Ein Beschluss, der kaum Widerstand hervorrief, obwohl sich die Schweden Anfang der 80er-Jahre in einer Volksabstimmung gegen die Kernkraft ausgesprochen haben.
Schweden Ende der 70er-Jahre. Auch im skandinavischen Königreich machen die Kernkraftgegner mobil, fordern die Abschaltung des Atomkraftwerks Barsebäck bei Malmö und den Einstieg in die Sonnen- und Windenergie. Unterstützung kommt vor allem von dänischen, aber auch deutschen Atomkraftgegnern. Der vorausgegangene Unfall im US-Atomkraftwerk Harrisburg, bei dem es zu einer partiellen Kernschmelze gekommen war, lässt auch die Politik in Stockholm nicht unbeeindruckt. Die bürgerliche Regierung gibt dem Druck nach und lässt das Volk über die Zukunft der Atomenergie entscheiden. Die Sozialdemokraten unter ihrem damaligen Vorsitzenden Olof Palme sind nach längerem Zögern ebenfalls dafür:
"Das politische Leben in Schweden ist in den letzten fünf Jahren fast zum Erliegen gekommen. Auch viele gesellschaftliche Entwicklungen sind ins Stocken geraten wegen dieser ewigen Kernkraftdebatte. Eigentlich war ich auch immer der Meinung, dass diese Frage durch die Politik und nicht durch eine Volksabstimmung gelöst werden muss. Aber wir sind nun zu der Einsicht gelangt, dass in der Praxis eine Volksabstimmung der einzige Weg ist, um endlich Klarheit darüber zu erhalten, wie unsere künftige Energiepolitik aussehen soll."
Bekanntlich sprachen sich die Schweden damals gegen die Atomkraft als Energieform der Zukunft aus. Entsprechend beschloss das Parlament in Stockholm 1980, dass keine weiteren Kernkraftwerke mehr gebaut werden dürfen. Sechs Reaktoren befanden sich damals noch im Bau und wurden auch fertig gestellt.
Bis 2000 sollte der Ausstieg abgeschlossen sein, aber je näher diese Frist rückte, um so weniger fühlte sich die Politik ihren damaligen Beschlüssen gegenüber verpflichtet. Anfang Februar 2009 war es schließlich dem heutigen Ministerpräsidenten Fredrick Reinfeldt vorbehalten, nicht ohne Pathos den Ausstieg aus dem Ausstieg zu verkünden:
"Die Regierung hat einen historischen und in der Welt wohl einzigartigen Beschluss über Umwelt-, Klima- und Energiepolitik gefasst. Eine Welt, die in diesen Fragen nach politischer Führung sucht, kann sich an Schweden orientieren. Wir haben den Grundstein dafür gelegt, Arbeitsplätze zu sichern und Wohlstand zu sichern. Wir haben langfristige Voraussetzungen geschaffen, um Investoren nach Schweden zu locken, weil wir Versorgungssicherheit auf dem Energiesektor schaffen. Und außerdem weisen wir den Weg zur künftigen Vermeidung von CO 2."
Dieser von Schwedens Ministerpräsident sogenannte "historische Beschluss" beinhaltet den Bau von wie bisher maximal zehn neuen Atomreaktoren, allerdings ohne staatliche Zuschüsse. Trotzdem waren die Energieriesen des Landes, allen voran das staatliche Unternehmen Vattenfall mit seinem Konzernchef Lars Josefsson sehr zufrieden:
"Vattenfall setzt auf die Kernkraft. Wir sind stolz auf unsere Kompetenz. Gegenwärtig haben wir eine sichere Versorgung, können sogar Strom exportieren. Aber wenn die Regierung zu dem Schluss kommt, dass wir in Schweden neue Anlagen brauchen, etwa um die ältesten Reaktoren zu ersetzen, dann haben wir ein Interesse, daran mitzuwirken."
Zu dem neuen Energiekonzept der Regierung gehört auch, dass der Erdölverbrauch bis 2020 auf null reduziert werden und der Anteil erneuerbarer Energien die Hälfte des Verbrauchs betragen soll. Was Schweden vor allem durch einen massiven Ausbau der Windenenergie erreichen will. Ehrgeizige Ziele, die sofort den Widerstand der Opposition herausforderten: Sozialdemokraten, Linke und Grüne betonten postwendend, dass sie am Ausstieg aus der Kernenergie festhalten würden, wenn sie bei den Reichstagswahlen in gut einem Jahr an die Macht kämen. Doch sie vertreten eine Minderheitenposition: Deutlich über 50 Prozent der Bevölkerung sind mit der energiepolitischen Wende der Regierung einverstanden und für einen Ausbau der Kernenergie. Vor allem in den betroffenen Kommunen wie dem gut zwei Autostunden nördlich von Stockholm gelegenen Östhammar, wo das Atomkraftwerk Forsmark betrieben wird, war die Zustimmung groß:
"Auch wenn wir künftig mehr mit erneuerbaren Energiequellen arbeiten, spiele die Kernkraft weiter eine wichtige Rolle, betont Gustaf Johansson. Für ihn gehe es vor allem um Versorgungssicherheit und deswegen sei das eine gute Entscheidung."
Eine wirklich gute Nachricht sei das gewesen, meint Linda Bergman, sie gebe ihr Vertrauen in die Zukunft. Es zeige sich doch, sagt sie, dass wir die Kernkraftwerke bräuchten.
Und für Stig Hallin war es auch schön zu hören, vor allem für die, die dort arbeiten. Die Kommune Östhammar profitiere, weil weiter gut ausgebildete Leute hierher ziehen würden.
Dabei hätten die Schweden Grund genug, der Kernkraft weniger wohlwollend gegenüber zu stehen. In den letzten Jahren hatte es an allen drei Standorten immer wieder Pannen gegeben. Meist kleinere zwar, trotzdem war die Häufung auffallend.
Einen Störfall der Stufe zwei auf der Internationalen Bewertungsskala für Nukleare Ereignisse, kurz INES, wurde im Sommer 2006 im AKW Forsmark festgehalten. Damals hatte ein Kurzschluss außerhalb des Kraftwerks zu einer Schnellabschaltung des Reaktors geführt. Danach hätte das Notkühlsystem anspringen müssen, um die Nachwärme des Reaktors abzuführen, aber nur zwei der vier Dieselgeneratoren sprangen an. Angeblich soll die Belegschaft rund 20 Minuten keinen Überblick über den Zustand des Reaktors gehabt haben. Eine akute Gefährdung habe zu keiner Zeit bestanden, so der Betreiber Vattenfall. Für Lars-Olof Höglund stellt sich die Sache etwas dar. Er hat zwischen 1976 und 1988 für den schwedischen Energieriesen gearbeitet und in dieser Zeit den Bau des Atomkraftwerks betreut. Vattenfall und Höglund sind dann im Streit auseinandergegangen. Nur mit viel Glück, so sagt er heute, sei Forsmark 2006 dem Gau entkommen:
"Vier von diesen Notstromsystemen haben den gleichen Fehler gehabt. Wenn das Netz von außen weggefallen wäre, wenn alle vier Dieselgeneratoren nicht angegangen wären, dann hätten wir die Anlage nicht kühlen können. Dann hätten wir eine Kernschmelze bekommen."
In einem internen Bericht des Kraftwerks, der wie auch immer an die Öffentlichkeit gelangte, war von einem "Verfall der Sicherheitskultur" die Rede. Als dann Anfang 2007 Vattenfall einräumen musste, dass an der Betonwand des Reaktors in Forsmark eine defekte Gummidichtung monatelang unentdeckt geblieben war, wurde die Internationale Atomenergiebehörde IAEA beauftragt, die Sicherheit vor Ort zu überprüfen. Übrigens von der staatlichen schwedischen Aufsichtsbehörde SKI, die damit Vorwürfe entkräften wollte, sie arbeite zu eng mit der Atomindustrie zusammen. Großen Eindruck bei der Bevölkerung hinterließ das alles nicht. In einer kurz darauf veröffentlichten Meinungsumfrage sprachen sich fast 60 Prozent für die weitere Nutzung der Atomenergie aus, nur 36 wollten einen Ausstieg:
Wer eine Antwort auf die Frage sucht, warum die Schweden beim Thema Atomkraft und Atommüll so erstaunlich gelassen sind, landet irgendwann in einem Versuchsstollen in Oskarshamn und lauscht den Worten von Jenny Rees. Sie ist Pressesprecherin des für die Endlagerung zuständigen Unternehmens "Svensk Kärnbränslehantering", kurz SKB, und mittlerweile fast so etwas wie eine Reiseleiterin. Fast täglich führt sie Journalisten, Touristen und Einwohner aus der näheren und ferneren Umgebung mit einem Aufzug 400 Meter in die Tiefe und versetzt ihren Besuch mit ein paar Zahlen in Erstaunen, die die geologischen Dimensionen dieses Ortes verdeutlichen:
"Hier unter also simulieren wir die Bedingungen eines Endlagers. es ist ein sehr alter Feld, fast zwei Milliarden Jahre alt. Zum Vergleich: 100.000 Jahre müssten wir verbrauchte Brennstäbe sicher verwahren. Für uns Menschen eine extrem lange Zeit, wir reden von 4000 Generationen. Geologisch betrachtet ist das nur ein kurzer Augenblick."
Es kämen viele Leute aus der Region zu Besuch, fährt Jenny Rees fort, zehn bis 12.000 Menschen im Jahr. Alles sei die Öffentlichkeit zugänglich, auch ein wesentlicher Grund für die hohe Zustimmung. Jeder sei willkommen, sich ein Bild zu machen.
Aber mit zugegebenermaßen aufregenden Fahrten in einen Bergstollen ist es nicht getan. Zuvor mussten die Menschen nicht nur in der näheren Umgebung von der Notwendigkeit eines atomaren Endlagers überzeugt werden. Und gerade in den Anfängen, als mehrere Standorte auf ihre Tauglichkeit überprüft wurden, hätte man große Fehler gemacht, so Saida Engström, die bei SKB für die – wie es etwas umständlich heißt – Gesellschaftskontakte zuständig ist:
"Man kann überhaupt nicht sagen, dass die Zustimmung für unsere Arbeit immer so groß gewesen ist wie heute. Geht man in die 80er-Jahre zurück, so waren alle Kommunen sehr skeptisch, keine wollte ein Endlager bei sich haben. Im großen und ganzen war die Einstellung, das ist ein Problem der Industrie, nicht unser."
Mit Information allein, so Saida Engström, habe man das Klima nicht in seinem Sinne beeinflussen können. Im Gegenteil: die zahlreichen, groß angelegten Treffen, auf denen die Experten von SKB für den Bau von atomaren Endlagern warben, erwiesen sich oft als Fehlschlag. Bis man die Strategie wechselte: Dialog statt Information:
"”Ich glaube wir haben auf Fragen geantwortet, die die Leute gar nicht gestellt haben. Wir wollten über Technik reden, und wie wir das alles machen, wie die Kapseln für die Brennstäbe aussehen, und so weiter. Aber die Fragen, die uns gestellt wurden, hatten mit ganz anderen Sachen zu tun, zum Beispiel können wir noch Elche jagen, wenn hier ein Endlager entsteht. Dann sind Schweden sehr zurückhaltend. Wenn du 100 von ihnen in einem Saal hast, steht keiner auf und stellt Fragen. Wir haben dann kleine Treffen organisiert. Zum Beispiel haben wir das Personal in Kindergärten besucht, haben mit denen beim Mittagessen geredet, sie konnten ihre Fragen stellen. Wir sind zu den Leuten gegangen, nicht die zu uns. In ihrer vertrauten Umgebung fühlten sie sich sicher, und wir waren in der Minderheit.""
Eine Bedingung für die Zustimmung zum Endlager sei gewesen, dass dort nur schwedischer Atommüll gelagert werde. Es geht um rund 12.000 Tonnen und nach geltendem Gesetz muss der auch im eigenen Land entsorgt werden. Die Zustimmung in den beiden Standorten, zwischen den dann entschieden wurde, also Oskarshamn und Forsmark, war enorm. Seit 2002 wurden in Oskarshamn im Süden Schwedens jährlich 800 Leute nach ihrer Einstellung zum geplanten Endlager befragt, die Zustimmung lag zuletzt bei über 80 Prozent, gerade mal neun Prozent befürchteten negative Effekte. Entsprechend groß war die Enttäuschung, als SKB vor kurzem bekannt gab, das Endlager vom nächsten Jahr an in Forsmark bauen zu wollen. Dort wiederum brach überwiegend Jubel aus.
Das sei schon eine große Sache, meint dieser ältere Herr aus Östhammar, für alle, die hier wohnen. Natürlich, es werde jetzt mehr Verkehr geben, man müssen jetzt schon ein paar Straßen ausbauen. Aber es würden sich eben auch mehr Unternehmen ansiedeln.
Man sollte sich über die vielen Arbeitsplätze freuen, und dann seien ja so viele Häuser gebaut worden, wer sollte denn sonst darin wohnen, fragt diese Frau, wenn es keine Arbeit gebe.
Kritisch sei die lange Bauzeit und die ganzen Schwertransporte, gibt dieser Mann zu Bedenken, da müsse man sich noch etwas einfallen lassen und die Straßen ausbauen. Vielleicht könne man einiges ja mit dem Schiff transportieren.
Rund zwei Milliarden Euro werden nun investiert, 2020 sollen die ersten Brennstäbe dort gelagert werden. Von einem "Lottogewinn" war in den Medien die Rede. Dass die Entscheidung für das erste atomare Endlager Europas so geräuschlos über die Bühne ging, solle man, so Saida Bergström, aber nicht als Leichtgläubigkeit oder gar mangelndem Interesse der Schweden fehl interpretieren. Verglichen mit Deutschland könne man viele eher von einem großen Verantwortungsbewusstsein sprechen:
"Wir haben eine große Tradition des Pragmatismus, wir reden viel miteinander, anstatt aufeinander loszugehen. Gerade für uns als kleines Land ist es wichtiger, Probleme zu lösen. In Deutschland kann man über diese Fragen ja nicht mal reden, weil sie politisiert worden sind. Natürlich kann und soll man darüber diskutieren, ob Kernkraft die Energieform der Zukunft ist. Aber den Atommüll den gibt es bereits jetzt. Und wenn ich mit deutschen Kernkraftgegner darüber diskutiere, wo der denn hin soll, höre ich auf nur: das wissen wir nicht."
"Das politische Leben in Schweden ist in den letzten fünf Jahren fast zum Erliegen gekommen. Auch viele gesellschaftliche Entwicklungen sind ins Stocken geraten wegen dieser ewigen Kernkraftdebatte. Eigentlich war ich auch immer der Meinung, dass diese Frage durch die Politik und nicht durch eine Volksabstimmung gelöst werden muss. Aber wir sind nun zu der Einsicht gelangt, dass in der Praxis eine Volksabstimmung der einzige Weg ist, um endlich Klarheit darüber zu erhalten, wie unsere künftige Energiepolitik aussehen soll."
Bekanntlich sprachen sich die Schweden damals gegen die Atomkraft als Energieform der Zukunft aus. Entsprechend beschloss das Parlament in Stockholm 1980, dass keine weiteren Kernkraftwerke mehr gebaut werden dürfen. Sechs Reaktoren befanden sich damals noch im Bau und wurden auch fertig gestellt.
Bis 2000 sollte der Ausstieg abgeschlossen sein, aber je näher diese Frist rückte, um so weniger fühlte sich die Politik ihren damaligen Beschlüssen gegenüber verpflichtet. Anfang Februar 2009 war es schließlich dem heutigen Ministerpräsidenten Fredrick Reinfeldt vorbehalten, nicht ohne Pathos den Ausstieg aus dem Ausstieg zu verkünden:
"Die Regierung hat einen historischen und in der Welt wohl einzigartigen Beschluss über Umwelt-, Klima- und Energiepolitik gefasst. Eine Welt, die in diesen Fragen nach politischer Führung sucht, kann sich an Schweden orientieren. Wir haben den Grundstein dafür gelegt, Arbeitsplätze zu sichern und Wohlstand zu sichern. Wir haben langfristige Voraussetzungen geschaffen, um Investoren nach Schweden zu locken, weil wir Versorgungssicherheit auf dem Energiesektor schaffen. Und außerdem weisen wir den Weg zur künftigen Vermeidung von CO 2."
Dieser von Schwedens Ministerpräsident sogenannte "historische Beschluss" beinhaltet den Bau von wie bisher maximal zehn neuen Atomreaktoren, allerdings ohne staatliche Zuschüsse. Trotzdem waren die Energieriesen des Landes, allen voran das staatliche Unternehmen Vattenfall mit seinem Konzernchef Lars Josefsson sehr zufrieden:
"Vattenfall setzt auf die Kernkraft. Wir sind stolz auf unsere Kompetenz. Gegenwärtig haben wir eine sichere Versorgung, können sogar Strom exportieren. Aber wenn die Regierung zu dem Schluss kommt, dass wir in Schweden neue Anlagen brauchen, etwa um die ältesten Reaktoren zu ersetzen, dann haben wir ein Interesse, daran mitzuwirken."
Zu dem neuen Energiekonzept der Regierung gehört auch, dass der Erdölverbrauch bis 2020 auf null reduziert werden und der Anteil erneuerbarer Energien die Hälfte des Verbrauchs betragen soll. Was Schweden vor allem durch einen massiven Ausbau der Windenenergie erreichen will. Ehrgeizige Ziele, die sofort den Widerstand der Opposition herausforderten: Sozialdemokraten, Linke und Grüne betonten postwendend, dass sie am Ausstieg aus der Kernenergie festhalten würden, wenn sie bei den Reichstagswahlen in gut einem Jahr an die Macht kämen. Doch sie vertreten eine Minderheitenposition: Deutlich über 50 Prozent der Bevölkerung sind mit der energiepolitischen Wende der Regierung einverstanden und für einen Ausbau der Kernenergie. Vor allem in den betroffenen Kommunen wie dem gut zwei Autostunden nördlich von Stockholm gelegenen Östhammar, wo das Atomkraftwerk Forsmark betrieben wird, war die Zustimmung groß:
"Auch wenn wir künftig mehr mit erneuerbaren Energiequellen arbeiten, spiele die Kernkraft weiter eine wichtige Rolle, betont Gustaf Johansson. Für ihn gehe es vor allem um Versorgungssicherheit und deswegen sei das eine gute Entscheidung."
Eine wirklich gute Nachricht sei das gewesen, meint Linda Bergman, sie gebe ihr Vertrauen in die Zukunft. Es zeige sich doch, sagt sie, dass wir die Kernkraftwerke bräuchten.
Und für Stig Hallin war es auch schön zu hören, vor allem für die, die dort arbeiten. Die Kommune Östhammar profitiere, weil weiter gut ausgebildete Leute hierher ziehen würden.
Dabei hätten die Schweden Grund genug, der Kernkraft weniger wohlwollend gegenüber zu stehen. In den letzten Jahren hatte es an allen drei Standorten immer wieder Pannen gegeben. Meist kleinere zwar, trotzdem war die Häufung auffallend.
Einen Störfall der Stufe zwei auf der Internationalen Bewertungsskala für Nukleare Ereignisse, kurz INES, wurde im Sommer 2006 im AKW Forsmark festgehalten. Damals hatte ein Kurzschluss außerhalb des Kraftwerks zu einer Schnellabschaltung des Reaktors geführt. Danach hätte das Notkühlsystem anspringen müssen, um die Nachwärme des Reaktors abzuführen, aber nur zwei der vier Dieselgeneratoren sprangen an. Angeblich soll die Belegschaft rund 20 Minuten keinen Überblick über den Zustand des Reaktors gehabt haben. Eine akute Gefährdung habe zu keiner Zeit bestanden, so der Betreiber Vattenfall. Für Lars-Olof Höglund stellt sich die Sache etwas dar. Er hat zwischen 1976 und 1988 für den schwedischen Energieriesen gearbeitet und in dieser Zeit den Bau des Atomkraftwerks betreut. Vattenfall und Höglund sind dann im Streit auseinandergegangen. Nur mit viel Glück, so sagt er heute, sei Forsmark 2006 dem Gau entkommen:
"Vier von diesen Notstromsystemen haben den gleichen Fehler gehabt. Wenn das Netz von außen weggefallen wäre, wenn alle vier Dieselgeneratoren nicht angegangen wären, dann hätten wir die Anlage nicht kühlen können. Dann hätten wir eine Kernschmelze bekommen."
In einem internen Bericht des Kraftwerks, der wie auch immer an die Öffentlichkeit gelangte, war von einem "Verfall der Sicherheitskultur" die Rede. Als dann Anfang 2007 Vattenfall einräumen musste, dass an der Betonwand des Reaktors in Forsmark eine defekte Gummidichtung monatelang unentdeckt geblieben war, wurde die Internationale Atomenergiebehörde IAEA beauftragt, die Sicherheit vor Ort zu überprüfen. Übrigens von der staatlichen schwedischen Aufsichtsbehörde SKI, die damit Vorwürfe entkräften wollte, sie arbeite zu eng mit der Atomindustrie zusammen. Großen Eindruck bei der Bevölkerung hinterließ das alles nicht. In einer kurz darauf veröffentlichten Meinungsumfrage sprachen sich fast 60 Prozent für die weitere Nutzung der Atomenergie aus, nur 36 wollten einen Ausstieg:
Wer eine Antwort auf die Frage sucht, warum die Schweden beim Thema Atomkraft und Atommüll so erstaunlich gelassen sind, landet irgendwann in einem Versuchsstollen in Oskarshamn und lauscht den Worten von Jenny Rees. Sie ist Pressesprecherin des für die Endlagerung zuständigen Unternehmens "Svensk Kärnbränslehantering", kurz SKB, und mittlerweile fast so etwas wie eine Reiseleiterin. Fast täglich führt sie Journalisten, Touristen und Einwohner aus der näheren und ferneren Umgebung mit einem Aufzug 400 Meter in die Tiefe und versetzt ihren Besuch mit ein paar Zahlen in Erstaunen, die die geologischen Dimensionen dieses Ortes verdeutlichen:
"Hier unter also simulieren wir die Bedingungen eines Endlagers. es ist ein sehr alter Feld, fast zwei Milliarden Jahre alt. Zum Vergleich: 100.000 Jahre müssten wir verbrauchte Brennstäbe sicher verwahren. Für uns Menschen eine extrem lange Zeit, wir reden von 4000 Generationen. Geologisch betrachtet ist das nur ein kurzer Augenblick."
Es kämen viele Leute aus der Region zu Besuch, fährt Jenny Rees fort, zehn bis 12.000 Menschen im Jahr. Alles sei die Öffentlichkeit zugänglich, auch ein wesentlicher Grund für die hohe Zustimmung. Jeder sei willkommen, sich ein Bild zu machen.
Aber mit zugegebenermaßen aufregenden Fahrten in einen Bergstollen ist es nicht getan. Zuvor mussten die Menschen nicht nur in der näheren Umgebung von der Notwendigkeit eines atomaren Endlagers überzeugt werden. Und gerade in den Anfängen, als mehrere Standorte auf ihre Tauglichkeit überprüft wurden, hätte man große Fehler gemacht, so Saida Engström, die bei SKB für die – wie es etwas umständlich heißt – Gesellschaftskontakte zuständig ist:
"Man kann überhaupt nicht sagen, dass die Zustimmung für unsere Arbeit immer so groß gewesen ist wie heute. Geht man in die 80er-Jahre zurück, so waren alle Kommunen sehr skeptisch, keine wollte ein Endlager bei sich haben. Im großen und ganzen war die Einstellung, das ist ein Problem der Industrie, nicht unser."
Mit Information allein, so Saida Engström, habe man das Klima nicht in seinem Sinne beeinflussen können. Im Gegenteil: die zahlreichen, groß angelegten Treffen, auf denen die Experten von SKB für den Bau von atomaren Endlagern warben, erwiesen sich oft als Fehlschlag. Bis man die Strategie wechselte: Dialog statt Information:
"”Ich glaube wir haben auf Fragen geantwortet, die die Leute gar nicht gestellt haben. Wir wollten über Technik reden, und wie wir das alles machen, wie die Kapseln für die Brennstäbe aussehen, und so weiter. Aber die Fragen, die uns gestellt wurden, hatten mit ganz anderen Sachen zu tun, zum Beispiel können wir noch Elche jagen, wenn hier ein Endlager entsteht. Dann sind Schweden sehr zurückhaltend. Wenn du 100 von ihnen in einem Saal hast, steht keiner auf und stellt Fragen. Wir haben dann kleine Treffen organisiert. Zum Beispiel haben wir das Personal in Kindergärten besucht, haben mit denen beim Mittagessen geredet, sie konnten ihre Fragen stellen. Wir sind zu den Leuten gegangen, nicht die zu uns. In ihrer vertrauten Umgebung fühlten sie sich sicher, und wir waren in der Minderheit.""
Eine Bedingung für die Zustimmung zum Endlager sei gewesen, dass dort nur schwedischer Atommüll gelagert werde. Es geht um rund 12.000 Tonnen und nach geltendem Gesetz muss der auch im eigenen Land entsorgt werden. Die Zustimmung in den beiden Standorten, zwischen den dann entschieden wurde, also Oskarshamn und Forsmark, war enorm. Seit 2002 wurden in Oskarshamn im Süden Schwedens jährlich 800 Leute nach ihrer Einstellung zum geplanten Endlager befragt, die Zustimmung lag zuletzt bei über 80 Prozent, gerade mal neun Prozent befürchteten negative Effekte. Entsprechend groß war die Enttäuschung, als SKB vor kurzem bekannt gab, das Endlager vom nächsten Jahr an in Forsmark bauen zu wollen. Dort wiederum brach überwiegend Jubel aus.
Das sei schon eine große Sache, meint dieser ältere Herr aus Östhammar, für alle, die hier wohnen. Natürlich, es werde jetzt mehr Verkehr geben, man müssen jetzt schon ein paar Straßen ausbauen. Aber es würden sich eben auch mehr Unternehmen ansiedeln.
Man sollte sich über die vielen Arbeitsplätze freuen, und dann seien ja so viele Häuser gebaut worden, wer sollte denn sonst darin wohnen, fragt diese Frau, wenn es keine Arbeit gebe.
Kritisch sei die lange Bauzeit und die ganzen Schwertransporte, gibt dieser Mann zu Bedenken, da müsse man sich noch etwas einfallen lassen und die Straßen ausbauen. Vielleicht könne man einiges ja mit dem Schiff transportieren.
Rund zwei Milliarden Euro werden nun investiert, 2020 sollen die ersten Brennstäbe dort gelagert werden. Von einem "Lottogewinn" war in den Medien die Rede. Dass die Entscheidung für das erste atomare Endlager Europas so geräuschlos über die Bühne ging, solle man, so Saida Bergström, aber nicht als Leichtgläubigkeit oder gar mangelndem Interesse der Schweden fehl interpretieren. Verglichen mit Deutschland könne man viele eher von einem großen Verantwortungsbewusstsein sprechen:
"Wir haben eine große Tradition des Pragmatismus, wir reden viel miteinander, anstatt aufeinander loszugehen. Gerade für uns als kleines Land ist es wichtiger, Probleme zu lösen. In Deutschland kann man über diese Fragen ja nicht mal reden, weil sie politisiert worden sind. Natürlich kann und soll man darüber diskutieren, ob Kernkraft die Energieform der Zukunft ist. Aber den Atommüll den gibt es bereits jetzt. Und wenn ich mit deutschen Kernkraftgegner darüber diskutiere, wo der denn hin soll, höre ich auf nur: das wissen wir nicht."