Der Ausrottung nur knapp entgangen

Kaum ein anderes Tier wurde in Nordamerika nach der Ankunft der weißen Siedler so gnadenlos verfolgt wie der Wolf. Vier Jahrhunderte Dämonisierung und Bejagung machten den Tieren beinahe den Garaus. Der Bildband "Wilde Wölfe" widmet sich den Wölfen Kanadas und zeigt sie in ihrem Lebensraum zwischen Wald und Meer.
In ihren Mythen verehren die Indianer im Norden des amerikanischen Kontinents den Wolf als Gründungsvater ihres Volkes. Seit Jahrtausenden teilen sich Mensch und Tier die unwegsamen Regenwälder Westkanadas entlang des Pazifiks. Nun ist im Frederking & Thaler Verlag der poetische Bildband "Wilde Wölfe" erschienen - den Küstenwölfen Kanadas zu Ehren. Keine Tabellen, keine Infokästen, keine Grafiken - nichts als Bilder und erzählte Geschichte: Das ist das Konzept des Buches. Mit dem Fotografen Ian McAllister geht es tief hinein in die kanadische Wildnis. Durch die vier Jahreszeiten begleiten wir das Leben der vierfüßigen Jäger in ihrem ganz besonderen Lebensraum zwischen Wald und Meer - von der Geburt der Welpen im Frühling bis zum harten Hungerleben im borealen Winter.

So verrufen Wölfe sind - bei den Weißen, die sie als Viehdiebe und Nahrungskonkurrenten betrachteten - so scheu empfinden die Tiere eigentlich, das stellt der Autor schon im Vorwort klar: Zahllose Nächte musste er im Schlafsack in feuchten Verstecken oder in Bretterverschlägen hoch oben in Baumwipfeln verbringen, um die Fotografien des Buches zusammenzutragen. Denn Wölfe sind nachtaktiv; nur die kurze Zeit der Abend- und Morgendämmerung blieben dem Fotografen, um die Tiere zu porträtieren. Wölfe machen einen Heidenlärm, erzählt Ian McAllister: Oft konnte er die ganze Nacht vor Heulen, Bellen, Nagen und Knurren nicht schlafen - und als die Sonne aufging und er seine Kamera ans Auge hob, verschwand das Rudel wie ein Schatten im Unterholz. Mehrere Jahre brauchte der Autor, um sich mit zwei Gruppen von Tieren so weit bekannt zu machen, dass er die Bilder des Buches zusammentragen konnte: wunderschöne Studien ausdrucksstarker Wolfsgesichter, Familienbilder mit hochkonzentrierten Leittieren und spielenden Welpen und perfekt choreografierten Jagdszenen - nicht einmal vor Bären machen Wolfsrudel bei der Jagd Halt.

Lebendig schildert der Autor seine Begegnungen mit den Tieren - und lässt reichlich wissenschaftlichen Background einfließen. Dabei bezieht er sich vor allem auf ein aktuelles Forschungsprojekt, das Wissenschaftler und Angehörige der indianischen "First Nations" im Bemühen ein tieferes Verständnis der wilden Jäger zusammenbringt. Die Küstenwölfe Westkanadas stellen eine eigene Unterart dar. Sie sind etwas kleiner als Festlandwölfe und ihr kurzes, raues Fell ist oft dunkel gefärbt, teilweise sogar ganz schwarz. Bei einigen glänzt das Fell rötlich-braun - vor allem um diese roten Wölfe ranken sich die Riten der Indianer. Wölfe können, wenn sie ihr Revier durchstreifen, in seltenen Fällen in einer Nacht über 150 Kilometer zurücklegen. Auch als ausdauernde Schwimmer haben sich die Tiere zur Überraschung der Forscher erwiesen: Unbeeindruckt von starken Strömungen schwimmen sie mehr als zehn Kilometer durchs offene Meer, um auf den vielen Inseln jagen zu können, die der Küste von British Columbia vorgelagert sind.

Natürlich sind die Wolfsbestände Kanadas gefährdet, auch davon erzählt das Buch: Fischfarmen, Holzeinschlag und neue Siedlungen bedrohen die Einsamkeit der Wälder. Und so endet das Buch mit einem Appell: Am bernsteinfarbenen Strahlen von Wolfsaugen werden, so prophezeit der Autor, zukünftige Generationen ablesen können, ob die Menschheit den richtigen Weg eingeschlagen habe.

Besprochen von Susanne Billig

Ian McAllister: Wilde Wölfe. Die letzten ihrer Art in Kanada
Aus dem Englischen von Eva Plorin
Frederking & Thaler 2009
192 Seiten, 39,90 Euro