Der Aufstiegskampf
Fortuna Köln hat schon bessere Zeiten gesehen. Bis auf ein Jahr in der Ersten Liga klebte der Verein förmlich in der Zweiten fest. Seit dem Abstieg aus der Zweiten Liga ging es immer weiter runter. Das möchte eine Faninitiative nun ändern. Auch in Leipzig engagieren sich Fans für ihren Fußballklub. Doch auch hier ist die Rückkehr zu altem Ruhm beschwerlich.
FC Lok Leipzig
Die Stimmung ist gigantisch im maroden Bruno-Plache-Stadion in Leipzig. Die Fan-Chöre sind so laut, dass man denken könnte, hier spielt die Bundesliga. Doch in Wahrheit kicken zwei Landesligisten gegeneinander. Der 1. FC Lok Leipzig gegen Dresden Laubegast.
„Ob Norden, Süden oder Westen.
Aus Leipzig kommen nur die Besten.“
Ein Fan-Block wirft in hohem Bogen Papierschlangen auf das Spielfeld. Fahnen in Blau-Gelb werden geschwenkt – die Farben Leipzigs. Unter den 3.500 Zuschauern im Stadion sind fast nur Lok-Fans. Einer von ihnen ist Marko Hofmann.
„Der erste FC Lok war die ersten zehn Minuten arg unter Bedrängnis. Ich würde fast behaupten, Laubegast ist mehr vor unserem Tor gewesen in dieser ersten Halbzeit als beim Hinspiel.“
Hofmann kommentiert jedes Spiel des 1. FC Lok live. Der Student betreibt das Fan-Radio Lok-Ruf. Er sitzt auf der Pressetribüne mit dem Mikrophon in der Hand. Vor ihm der Laptop mit der mobilen Internetverbindung.
„Also, wir machen das seit Ende 2004. Da waren zehn oder 15 Spiele in der dritten Kreisklasse gespielt. Und es kam so, dass viele interessiert waren: Was macht Lok? Und manche sagten, Mensch könnten wir nicht eine Aufstellung haben, und wie die Tore fallen. Und da hat einer gesagt: Ich schicke SMS und mache das immer. Das Problem war nur, wenn 20 Tore fallen: Der kam mit dem SMS schicken nicht hinterher. Und da sagte einer: Mensch, wir können doch auch ein Radio machen.“
Bei jedem Spiel hören Hofmann etwa 3.000 Fans über das Internet zu. Der Student erhält Hörerpost aus Ecuador und den USA. Wie alle Lok-Fans betont auch Hofmann die ruhmreiche Geschichte des Vereins.
Vorgänger des FC Lok war der VfB Leipzig – und der wurde 1903 der erste deutsche Fußball-Meister. In der DDR schmückte Lok der Titel „Fußball-Leistungszentrum“. Die besten Spieler aus dem Großraum Leipzig wurden an den Verein delegiert. 1968 stieß auch Rainer Lisiewicz dazu.
„Wir waren die erste DDR-Mannschaft, die englische Mannschaften aus dem Pokal-Wettbewerb gekippt haben. Es gab vorher glaube ich auch keine bundesdeutsche, also, das weiß ich noch.“
Der FC Lok schaffte es zwar nie zum DDR-Meister. Dafür wurde er dreimal Vize, gewann viermal den FDGB-Pokal und stand 1974 als Halbfinalist im UEFA-Cup. Motto: Wer spielt besser als die Brasilianer? Nur die Leipziger Eisenbahner!
Rainer Lisiewicz: „Meine erfolgreiche Zeit war das erste Mal 1973, wo wir unter anderem gegen Fortuna Düsseldorf gespielt haben, viele englische Mannschaften, Ipswitch Town, Tottenham Hotspur. Da sind wir dann leider ausgeschieden im Halbfinale. Wir hatten immer das Glück, dass wir das erste Spiel auswärts hatten. Und gegen Tottenham war es umgedreht. Da mussten wir zuerst zu Hause antreten. Und auch nicht unter Flutlicht. Da mussten wir schon nachmittags spielen. Also denkbar ungünstige Bedingungen von der Psyche her.“
„Jetzt fällt die Entscheidung mit dem nächsten Leipziger.“
(Radiokommentator 1987)
1987 spielt Lok Leipzig im Europacup Halbfinale. Elfmeterschießen gegen Bordeaux.
„Und es ist René Müller selber, der diesen Elfmeter treten wird. Und er läuft an. Schießt. Tooor.“
(Radiokommentator 1987)
Das 6:5 gegen Bordeaux war der letzte große internationale Erfolg des FC Lok. Nach der deutschen Wiedervereinigung ging es abwärts. Der Verein wurde wieder in VfB umbenannt. Dann stieg er langsam ab – trotz eines Zwischenspiels in der ersten Bundesliga.
Rainer Lisiewicz: „Es kamen viele Leute aus den alten Bundesländern, die das Sagen hatten: Trainer, Spieler. So richtig interessiert hat mich das Ganze eigentlich nicht mehr. Und das hat sich dann verstärkt mit der ersten Insolvenz.“
Die erste Insolvenz war 1999. Doch auch danach machte der Verein durch teure Trainer- und Spielereinkäufe noch Schulden. 2003 folgte die zweite Insolvenz. Sie endete mit der Zwangsauflösung. Ein Kapitel Leipziger Fußballgeschichte wäre zu Ende gewesen. Wenn nicht eine Fan-Initiative den 1. FC Lok neu gegründet hätte.
„Ob Norden, Süden, Osten, Westen.
Aus Leipzig kommen nur die Besten.
Schon weil man hier Lok Leipzig hat,
Leipzig ist die schönste Stadt!“
Ganz unten fingen sie 2004 wieder von vorne an – in der letzten Liga. Zum ersten Spiel gegen Eintracht Großdeuben kamen 13.000 Zuschauer. Lok siegte 8 zu 0. Ex-Spieler Rainer Lisiewicz wurde als Trainer auserkoren.
Rainer Lisiewicz: „Da kam das Angebot. Elfte Liga. Aber ich habe gar nicht lange überlegt. Bei mir schwirrte alles schon im Kopf durcheinander. Was kannst Du machen? Du musst versuchen, ein paar gute Spieler zu kriegen. Und den Plan hatte ich eigentlich im Kopf schon drin, mit meiner Frau gesprochen und gesagt: Ich mache das. Und was dann hier ablief, das war ja sensationell.“
Seit der Neugründung haben immer mindestens 2.000 Fans die Spiele im Bruno-Plache-Stadion besucht. An der Tribüne hängt ein Schild mit der Aufschrift: „Die guten Zeiten kommen wieder“. Beim Spiel gegen Dresden Laubegast tut sich der Verein allerdings schwer. Lokruf-Kommentator Hofmann wirkt zerknirscht.
„1. FC Lok mit ungeahnten Schwächen bei der Spielentwicklung gerade in der Kontersituation. Da kommen sie nicht richtig rein.“
Erst in der 75. Minute fällt das 1:0 für Lok Leipzig. Bis weit über das Bruno-Plache-Stadion hinaus hallt der Jubel.
„Erster FC Lok Leipzig: Eins.
Laubegast: Null.
Danke. Danke. Danke, Danke, Danke.
Bitte. Bitte. Bitte, Bitte, Bitte.
L-O-K. L-O-K. L-O-K.“
Das Spiel beobachtet auch Vereins-Präsident Steffen Kubald. Stiernackiger Typ. Breite Schultern. Eigentlich niemand, der groß Emotionen zeigt. Doch die Stimmung im Stadion lässt ihn lächeln.
„Wir haben mal nie gedacht, dass das so ein Ballon wird. Also dass wir mal so viel machen müssen und so viel Zuspruch haben. Das hat von uns niemand erwartet. Jetzt ist es einfach nur schön.“
Bei der Neugründung des FC Lok war Kubald die treibende Kraft. Er will die Fußball-Mannschaft wieder zu altem Ruhm führen.
„Wir haben ein Konzept, in dem 2019 Erste Bundesliga steht. Da schmunzele ich immer selber ein bisschen drüber. Realistisch ist für mich – sagen wir mal – dass wir die Oberliga schaffen. Dann hätten wir ein Jahr wieder gewonnen. Und dass wir dann sehen, was mit der Regionalliga wird und wie es dann weitergeht.“
Doch der Clubchef hat ein Problem. Zu den Fans des FC Lok gehören auch Rechtsextreme und Hooligans. Eine Minderheit, gewiss. Doch sie sorgt immer wieder für Schlagzeilen. So bildeten die Ultras des FC Lok bei einem A-Jugendspiel gegen den FC Sachsen Leipzig ein Hakenkreuz im Fan-Block. Bei einem Pokalspiel gegen Aue vergangenes Jahr bewarfen Lok-Anhänger Polizisten mit Pflastersteinen. 39 Einsatzkräfte wurden in Leipzig so schwer verletzt, dass sich sogar DFB-Präsident Theo Zwanziger öffentlich entschuldigte.
„Das ist ein Skandal. Wir nehmen das nicht hin. Wir haben hier in der Tat eine radikale Grundhaltung. Polizeibeamte in dieser Art zu verfolgen, das ist wirklich unglaublich. Und wenn es einem nicht gelingt, diese radikalen Gruppen von den anderen zu trennen – und dazu gehört auch die Vereinsverantwortung – dann wird es dort keinen Fußball mehr geben.“
Die Drohung wirkte. Lange hatte der FC Lok sein Problem mit Hooligans klein geredet. Nach dem Spiel gegen Aue griff Präsident Kubald durch.
„Also, es gibt seit dem 10. Februar vorigen Jahres 25 Hausverbote bis jetzt, die wir durchgeführt haben. Und wir arbeiten auch dran, wer sich nicht an die Regeln hält und dem 1. FC Lok schadet, kriegt von uns Hausverbot. Und sollte es möglich sein, werden wir uns die Geldstrafen auf zivilrechtlichem Weg wieder zurückholen.“
Die Internetseite ziert jetzt der Slogan: „Echte Lok-Fans sind friedlich“. Zudem kümmert sich ein Fan-Projekt um gewaltbereite Jugendliche. Doch manche Sport-Experten fürchten, der Verein werde die Krawallmacher nie los. Zu den Skeptikern gehört auch Walter Weiz – langjähriger Fußballreporter beim MDR-Hörfunk.
„Ich glaube ganz einfach – wir haben es jüngst gesehen bei einem Spiel in Borna – dass immer noch Leute im Umfeld sind, die diesem 1. FC Lokomotive schaden, die auch nicht zu kontrollieren sind. Ich glaube ganz einfach nicht, auch mit dem Präsidenten Steffen Kubald, der ja selbst aus dieser verruchten Hooligan-Szene kommt, dass man das schaffen kann. Dass auch Sponsoren anklopfen wollen, weil ihnen das einfach zu gefährlich ist.“
Bis 1992 war Kubald bei Lok-Spielen selbst in Prügeleien verwickelt. Er dürfte der erste Ex-Hooligan sein, der es zum Vereinspräsidenten geschafft hat. Menschen ändern sich, sagt er und verweist gern auf den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer. Trotzdem taugt Kubalds Vergangenheit nicht gerade zum Vorbild. Da ist es gut, dass er Trainer Lisiewicz hat. Dieser findet für die Krawall-Fans stets deutliche Worte:
„Auf gut deutsch gesagt, uns kotzt das an, wie die sich benehmen. Aber wir wissen auch, dass es eine verschwindend geringe Gruppe ist. Letztes Beispiel in Borna: Ich bin dann selbst zu den Fans gegangen und habe versucht, die zu beruhigen. Ich habe da in Gesichter geguckt: 14- bis 18-jährige Jungs. Die – ich habe nicht mal Gewalt gesehen – mir zugeschrien haben: Auf-, auf-, aufsteigen wir. Und da habe ich gesagt: Ne, mit Euch steigen wir nicht auf, wenn ihr jedes Mal ausrastet.“
Zurück beim Spiel gegen Dresden Laubegast. Die Stimmung ist ausgelassen, alle bleiben friedlich. Am Ende steht es 1:0.
„Wir haben es geschafft. Da muss doch die Relegation drin sein. Ich gebe ab an René und bedanke mich fürs Zuhören. René, übernimm‘ bitte.“
Marko Hofmann, Live-Kommentator beim Internetradio Lok-Ruf, verabschiedet sich von seinen Hörern. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Die Stimme: heißer, aber euphorisch.
„Bei dem Spiel und den Ereignissen. Schwacher Schiedsrichter, schwache Mannschaftsleistung. Und diese Bedeutung des Spiels. Da muss man einfach alles geben. Auf dem Platz und auch oben. Das Sinnlose ist, dass mich das Mikrophon hört, auch wenn ich leise spreche. Aber dadurch, dass es so laut ist, rede ich selbst so laut.“
Hofmann packt das Mikrofon ein. Ob der FC Lok wirklich aufsteigen wird, entscheidet sich am 15. und 21. Juni. Dann finden die Relegationsspiele statt. Hofmann wird wieder live kommentieren. Wie bei jedem Spiel. Für ihn steht fest: Auch wenn sie manchmal Schwächen zeigt, die Lok hat noch Dampf.
Fortuna Köln
100 Fußballfans stehen Schlange vor einem weißen Container. Im Container, der Geschäftstelle von Fortuna Köln, ist Alexander gleich Erster.
Alexander. „Mein allererstes Fußballspiel, was ich als kleiner Junge mitbekommen habe, war mit meinem Papa, war bei Fortuna Köln, und dann sind wir viel zu Fortuna gegangen. Und dann ging es ja ein bisschen abwärts, dann war es ein bisschen aus der Mode gekommen und wir sind gar nicht mehr hingegangen, aber was sich in letzter Zeit tut, das ist doch ganz schön.“
Ein Jahr spielte Fortuna Köln Erste Bundesliga, 26 in der Zweiten. Bernd Schuster war hier mal Trainer, Toni Schumacher löste ihn ab. Den wiederum entließ Fortuna-Mäzen Löring in einer Halbzeitpause, legendär sein damaliger Ausspruch: „Ich als Verein musste doch reagieren.“ Jean Löring, hier haben alle immer nur „Schäng“ gesagt, war ein volkstümlicher Mann mit despotischen Zügen. Von 67 bis 2001 hielt sein Geld die Fortuna am Leben. 2000 stieg Fortuna ab in die Regionalliga. Löring war pleite. Fortuna insolvent.
Präsident seit 2006 ist Klaus Ulonska. Der 65-Jährige hat gute Kontakte zum FC, und, fast noch wichtiger, nach ganz oben.
„Ich bin eigentlich sehr gläubig, und da hab ich mich meinen beiden Pfarrern gesprochen, weil ich ja nicht evangelisch bin und nicht katholisch, sondern kölsch-katholisch. Und sowohl der evangelische als auch der katholische Pfarrer ham gesagt, dass könnte man ruhig machen: Für die Fortuna beten.“
Der Präsident eilt hinaus. Unter seinen Arm hat er einen Fußball aus Porzellan geklemmt: eine Spardose zum Spendensammeln.
Ulonska: „Jetzt gehen wir ins Stadion, ich muss ja jetzt noch meine Mannschaft per Handschlag ... so, wir treffen uns am Marathontor ... hallo mein Schatz ... gnädige Frau ich grüße Sie.“
Ulonska kommt keine drei Schritte voran, ohne jemanden zu begrüßen. Große und kleine Fans gehen den schmalen Weg vom Parkplatz zum Südstadion. Auch Sebastian und Michael.
Sebastian: „Natürlich spielt auch n gewisser Lokalpatriotismus mit und dementsprechend hab ich mich entschieden, den Verein irgendwie zu unterstützen, damit er wenigstens in die zweite Liga hochkommt, dass die alten Duelle gegen den FC wieder stattfinden.“
Sebastian und Michael haben sich auf der Internetseite deinfussballclub.de angemeldet und bereit erklärt, 39 Euro 95 im Jahr zu bezahlen. Michael:
„Es ist einfach ne Sache der Verbundenheit mit dem Verein, mir geht’s gar nicht so darum, dass ich was entscheiden möchte.“
30 Euro für den Verein, knapp zehn Euro für die Betreiber der Internetplattform. Es ist das Prinzip der beliebten Fußballmanagerspiele. Als demokratische Co-Trainer und Manager dürfen sogenannte „user“ wie Sebastian später per Internet mitbestimmen: über Spielereinkäufe, Trikotdesign, Freundschaftsspiele. Das Projekt hat große Euphorie entfacht, aber Sebastian und Michael bleiben skeptisch.
„Ja, ich glaub, das Mitbestimmen ist dann ja eh Dilettantentum, muss ich ganz ehrlich sagen. Also ich glaub nicht, dass dann einer von uns dann mehr Ahnung hat als ein Team, dass sich dann zusammensetzt und überlegt, wer zu der Mannschaft passen würde.“
Richtig los geht deinfussballclub.de erst, wenn insgesamt 30.000 Unterstützer unterschrieben haben. Erst dann werden die knapp 40 Euro fällig. So käme fast eine Million für den Verein zusammen. Seit Anfang April haben sich 6000 User angemeldet. Die meisten aus Köln, aus ganz Deutschland, Europa, einige aus Übersee.
„Manage Fortuna Köln zurück in die Bundesliga!
Mache gemeinsam mit Sönke Wortmann das „Wunder von Köln“ möglich!“
Regisseur Wortmann ist Mitbegründer und prominentes Werbegesicht.
„Ja, Sönke Wortmann ist ein gutes Aushängeschild nach außen, aber ansonsten hat das für uns keine Bewandtnis. Ob das nun Sönke Wortmann ist oder Lady Bitch Ray oder wer auch immer gerade über die Bildschirme tingelt.“
Die kölschen Fußballlieder sind karnevalstauglich, oder war es umgekehrt? Sebastian und Michael betreten das Stadion, tauchen in das Gedränge unter dem Wellblechdach der Haupttribüne. Bratwurstduft, das Kölsch kostet zwei Euro. Die Mitglieder von deinfussballclub tragen rote T-Shirts mit der Aufschrift „Co-Trainer“, die „normalen“ Fans Fortuna-Trikots und Schals.
„Mein Name ist Dirk Daniel Stöveken.
Also im September letzten Jahres sind wir auf die Idee gekommen, das Projekt in Deutschland zu starten und haben dann die letzten sechs Monate mit der Planung uns beschäftigt, wie das auf der Internetseite auszusehen hat, wer das ganze unterstützt, und ham dann Sönke Wortmann als Paten gewinnen können und letztendlich auch die Fortuna, die bei diesem Projekt dabei ist, nun.“
Stöveken hat das Projekt initiiert. Jetzt steht er auf dem Platz. Blonde Haare, Dreitagebart, ein Surfertyp.
„Zugegebenermaßen muss ich dazu sagen, dass das nicht unsere Grundidee gewesen ist, sondern die Idee ist logischerweise aus England gekommen, wo es seit vierzehn Monaten dieses Projekt gibt, diese Idee ham wir sozusagen übernommen für Deutschland und auf den deutschen Markt adaptiert. Viele, viele Änderungen, das heißt: wir ham uns im Vorfeld auf den Verein festgelegt, um halt auch zu gewährleisten, dass die Mittel, die durch die User erwirtschaftet werden, tatsächlich auch beim Verein ankommen und nicht für Schuldentilgung oder ähnliches draufgehen.“
Schnell fiel die Wahl dann auf die inzwischen schuldenfreien Kölner.
„Also grundsätzlich gibt es zwei Säulen: Unsere Mitglieder werden in dem Verein, also in dem Fall Fortuna Köln, Management-Funktion übernehmen, das heißt: alle täglichen Managemententscheidungen, die in dem Club anstehen, werden von den Fans getroffen. Ob es jetzt ein Freundschaftsspiel ist, ob's drum geht, ne neue Anlage für das Stadion zu kaufen oder neue Vereinshymne und so weiter.
Zweite Säule ist die Säule des Co-Trainers, das heißt, die Mitglieder stimmen kurz vor den Spieltagen über ihre Aufstellung ab, daraus wird eine maßgebliche Aufstellung generiert, die wird letztendlich dann dem Trainer vorgelegt und der Trainer muss dann in Korrespondenz und in Kontroversen auch mit den Mitglieder dann seine Startelf festlegen.“
Das letzte sportliche Wort spricht natürlich weiterhin der Trainer, macht Stöveken klar. Eine Entscheidung aber haben sie schon per Internet getroffen: für ein Fortuna-Maskottchen.
Präsident Ulonska geht mit seinem Porzellanfußball unter dem Arm durch das Marathontor über die Tartanbahn. Das Spiel beginnt gleich.
Die Anzeigetafel: defekt. Auf der Nordkurve steht: niemand. In der Südkurve eine Handvoll Fans vor dem Bierwagen. Nur die Haupttribüne mit den Sitzplätzen ist rappelvoll. 2200 Zuschauer insgesamt.
Fortuna muss heute unbedingt gewinnen, gleichzeitig der direkte Konkurrent um den Aufstieg verlieren. Doch schon in der elften Minute rappelt es, der Gegner trifft.
Der Präsident hat’s nicht gesehen Mit seiner Fußballspardose geht er die Sitzreihen entlang, Hinter seinem Rücken fällt der Ausgleich – ein Traumtor. Ulonska verpasst auch, wie ein Fortune wegen Meckerns vom Platz fliegt, derweil schüttelt er wirklich jede Hand. Knufft selbst die schweren Rottweiler des Sicherheitsdienstes. Zum Schluss der erlösende Siegtreffer zum 2:1.
Und weil Konkurrent verliert, spielt Fortuna am nächsten Sonntag gegen Leverkusen. Aufstiegsendspiel. Das Wunder von Köln, es könnte wahr werden.
Trainer Matthias Mink steht nach dem Abpfiff auf dem Platz und ist glücklich. Hinter ihm hüpft seine Mannschaft vor der Tribüne, feiert mit den Fans.
Seine Jungs haben in Unterzahl und bei großer Hitze das Spiel noch gedreht, auch deswegen möchte der Trainer das Projekt deinfussballclub differenziert betrachten.
„Ich denke mal, es sind zweierlei Paar Schuhe, die sich da entwickelt haben, zum einen hat sich die Mannschaft unglaublichweiter entwickelt, man muss sehen, dass wir jetzt achtmal in Folge gewonnen haben und dass das ne unglaublich eindrucksvolle Serie ist, und die zweite Geschichte ist sicherlich die Plattform.“
Was er nicht sagt: Nicht die User sondern er hat die Mannschaft trainiert, die Taktik bestimmt.
„Nichtsdestotrotz hab ich nach n paar Tagen Bedenkzeit auch ganz klar gesagt, das ist ne tolle Erfahrung für mich als Trainer und ich hoff, und das ist der entscheidende Punkt, dass sie dem Verein viel, viel Positives bringt, und mir die Möglichkeit, mich sportlich auch weiterzuentwickeln.“
Eine Woche später. Die Kölner treffen zweimal die Torlatte, einmal den Pfosten, aber auch nur einmal ins Tor. 1:1 gegen Leverkusen. Fortuna verpasst den ersten Aufstieg nach 35 Jahren um ein einziges Tor. Auch das ist Fußball.
Die Saison ist zuende, 5841 Co-Trainer haben sich bis zum Schlusspfiff. angemeldet. Zwar wird Fortuna Köln auch in der nächsten Saison wieder in der Verbandsliga spielen, aber Trainer und Mannschaft, Tausende Co-Trainer und ihr Präsident sind sicher: Das Wunder von Köln ist bloß verschoben.
Immerhin hat die Stadt ihr Sommermärchen: Deinfussballclub.de
Die Stimmung ist gigantisch im maroden Bruno-Plache-Stadion in Leipzig. Die Fan-Chöre sind so laut, dass man denken könnte, hier spielt die Bundesliga. Doch in Wahrheit kicken zwei Landesligisten gegeneinander. Der 1. FC Lok Leipzig gegen Dresden Laubegast.
„Ob Norden, Süden oder Westen.
Aus Leipzig kommen nur die Besten.“
Ein Fan-Block wirft in hohem Bogen Papierschlangen auf das Spielfeld. Fahnen in Blau-Gelb werden geschwenkt – die Farben Leipzigs. Unter den 3.500 Zuschauern im Stadion sind fast nur Lok-Fans. Einer von ihnen ist Marko Hofmann.
„Der erste FC Lok war die ersten zehn Minuten arg unter Bedrängnis. Ich würde fast behaupten, Laubegast ist mehr vor unserem Tor gewesen in dieser ersten Halbzeit als beim Hinspiel.“
Hofmann kommentiert jedes Spiel des 1. FC Lok live. Der Student betreibt das Fan-Radio Lok-Ruf. Er sitzt auf der Pressetribüne mit dem Mikrophon in der Hand. Vor ihm der Laptop mit der mobilen Internetverbindung.
„Also, wir machen das seit Ende 2004. Da waren zehn oder 15 Spiele in der dritten Kreisklasse gespielt. Und es kam so, dass viele interessiert waren: Was macht Lok? Und manche sagten, Mensch könnten wir nicht eine Aufstellung haben, und wie die Tore fallen. Und da hat einer gesagt: Ich schicke SMS und mache das immer. Das Problem war nur, wenn 20 Tore fallen: Der kam mit dem SMS schicken nicht hinterher. Und da sagte einer: Mensch, wir können doch auch ein Radio machen.“
Bei jedem Spiel hören Hofmann etwa 3.000 Fans über das Internet zu. Der Student erhält Hörerpost aus Ecuador und den USA. Wie alle Lok-Fans betont auch Hofmann die ruhmreiche Geschichte des Vereins.
Vorgänger des FC Lok war der VfB Leipzig – und der wurde 1903 der erste deutsche Fußball-Meister. In der DDR schmückte Lok der Titel „Fußball-Leistungszentrum“. Die besten Spieler aus dem Großraum Leipzig wurden an den Verein delegiert. 1968 stieß auch Rainer Lisiewicz dazu.
„Wir waren die erste DDR-Mannschaft, die englische Mannschaften aus dem Pokal-Wettbewerb gekippt haben. Es gab vorher glaube ich auch keine bundesdeutsche, also, das weiß ich noch.“
Der FC Lok schaffte es zwar nie zum DDR-Meister. Dafür wurde er dreimal Vize, gewann viermal den FDGB-Pokal und stand 1974 als Halbfinalist im UEFA-Cup. Motto: Wer spielt besser als die Brasilianer? Nur die Leipziger Eisenbahner!
Rainer Lisiewicz: „Meine erfolgreiche Zeit war das erste Mal 1973, wo wir unter anderem gegen Fortuna Düsseldorf gespielt haben, viele englische Mannschaften, Ipswitch Town, Tottenham Hotspur. Da sind wir dann leider ausgeschieden im Halbfinale. Wir hatten immer das Glück, dass wir das erste Spiel auswärts hatten. Und gegen Tottenham war es umgedreht. Da mussten wir zuerst zu Hause antreten. Und auch nicht unter Flutlicht. Da mussten wir schon nachmittags spielen. Also denkbar ungünstige Bedingungen von der Psyche her.“
„Jetzt fällt die Entscheidung mit dem nächsten Leipziger.“
(Radiokommentator 1987)
1987 spielt Lok Leipzig im Europacup Halbfinale. Elfmeterschießen gegen Bordeaux.
„Und es ist René Müller selber, der diesen Elfmeter treten wird. Und er läuft an. Schießt. Tooor.“
(Radiokommentator 1987)
Das 6:5 gegen Bordeaux war der letzte große internationale Erfolg des FC Lok. Nach der deutschen Wiedervereinigung ging es abwärts. Der Verein wurde wieder in VfB umbenannt. Dann stieg er langsam ab – trotz eines Zwischenspiels in der ersten Bundesliga.
Rainer Lisiewicz: „Es kamen viele Leute aus den alten Bundesländern, die das Sagen hatten: Trainer, Spieler. So richtig interessiert hat mich das Ganze eigentlich nicht mehr. Und das hat sich dann verstärkt mit der ersten Insolvenz.“
Die erste Insolvenz war 1999. Doch auch danach machte der Verein durch teure Trainer- und Spielereinkäufe noch Schulden. 2003 folgte die zweite Insolvenz. Sie endete mit der Zwangsauflösung. Ein Kapitel Leipziger Fußballgeschichte wäre zu Ende gewesen. Wenn nicht eine Fan-Initiative den 1. FC Lok neu gegründet hätte.
„Ob Norden, Süden, Osten, Westen.
Aus Leipzig kommen nur die Besten.
Schon weil man hier Lok Leipzig hat,
Leipzig ist die schönste Stadt!“
Ganz unten fingen sie 2004 wieder von vorne an – in der letzten Liga. Zum ersten Spiel gegen Eintracht Großdeuben kamen 13.000 Zuschauer. Lok siegte 8 zu 0. Ex-Spieler Rainer Lisiewicz wurde als Trainer auserkoren.
Rainer Lisiewicz: „Da kam das Angebot. Elfte Liga. Aber ich habe gar nicht lange überlegt. Bei mir schwirrte alles schon im Kopf durcheinander. Was kannst Du machen? Du musst versuchen, ein paar gute Spieler zu kriegen. Und den Plan hatte ich eigentlich im Kopf schon drin, mit meiner Frau gesprochen und gesagt: Ich mache das. Und was dann hier ablief, das war ja sensationell.“
Seit der Neugründung haben immer mindestens 2.000 Fans die Spiele im Bruno-Plache-Stadion besucht. An der Tribüne hängt ein Schild mit der Aufschrift: „Die guten Zeiten kommen wieder“. Beim Spiel gegen Dresden Laubegast tut sich der Verein allerdings schwer. Lokruf-Kommentator Hofmann wirkt zerknirscht.
„1. FC Lok mit ungeahnten Schwächen bei der Spielentwicklung gerade in der Kontersituation. Da kommen sie nicht richtig rein.“
Erst in der 75. Minute fällt das 1:0 für Lok Leipzig. Bis weit über das Bruno-Plache-Stadion hinaus hallt der Jubel.
„Erster FC Lok Leipzig: Eins.
Laubegast: Null.
Danke. Danke. Danke, Danke, Danke.
Bitte. Bitte. Bitte, Bitte, Bitte.
L-O-K. L-O-K. L-O-K.“
Das Spiel beobachtet auch Vereins-Präsident Steffen Kubald. Stiernackiger Typ. Breite Schultern. Eigentlich niemand, der groß Emotionen zeigt. Doch die Stimmung im Stadion lässt ihn lächeln.
„Wir haben mal nie gedacht, dass das so ein Ballon wird. Also dass wir mal so viel machen müssen und so viel Zuspruch haben. Das hat von uns niemand erwartet. Jetzt ist es einfach nur schön.“
Bei der Neugründung des FC Lok war Kubald die treibende Kraft. Er will die Fußball-Mannschaft wieder zu altem Ruhm führen.
„Wir haben ein Konzept, in dem 2019 Erste Bundesliga steht. Da schmunzele ich immer selber ein bisschen drüber. Realistisch ist für mich – sagen wir mal – dass wir die Oberliga schaffen. Dann hätten wir ein Jahr wieder gewonnen. Und dass wir dann sehen, was mit der Regionalliga wird und wie es dann weitergeht.“
Doch der Clubchef hat ein Problem. Zu den Fans des FC Lok gehören auch Rechtsextreme und Hooligans. Eine Minderheit, gewiss. Doch sie sorgt immer wieder für Schlagzeilen. So bildeten die Ultras des FC Lok bei einem A-Jugendspiel gegen den FC Sachsen Leipzig ein Hakenkreuz im Fan-Block. Bei einem Pokalspiel gegen Aue vergangenes Jahr bewarfen Lok-Anhänger Polizisten mit Pflastersteinen. 39 Einsatzkräfte wurden in Leipzig so schwer verletzt, dass sich sogar DFB-Präsident Theo Zwanziger öffentlich entschuldigte.
„Das ist ein Skandal. Wir nehmen das nicht hin. Wir haben hier in der Tat eine radikale Grundhaltung. Polizeibeamte in dieser Art zu verfolgen, das ist wirklich unglaublich. Und wenn es einem nicht gelingt, diese radikalen Gruppen von den anderen zu trennen – und dazu gehört auch die Vereinsverantwortung – dann wird es dort keinen Fußball mehr geben.“
Die Drohung wirkte. Lange hatte der FC Lok sein Problem mit Hooligans klein geredet. Nach dem Spiel gegen Aue griff Präsident Kubald durch.
„Also, es gibt seit dem 10. Februar vorigen Jahres 25 Hausverbote bis jetzt, die wir durchgeführt haben. Und wir arbeiten auch dran, wer sich nicht an die Regeln hält und dem 1. FC Lok schadet, kriegt von uns Hausverbot. Und sollte es möglich sein, werden wir uns die Geldstrafen auf zivilrechtlichem Weg wieder zurückholen.“
Die Internetseite ziert jetzt der Slogan: „Echte Lok-Fans sind friedlich“. Zudem kümmert sich ein Fan-Projekt um gewaltbereite Jugendliche. Doch manche Sport-Experten fürchten, der Verein werde die Krawallmacher nie los. Zu den Skeptikern gehört auch Walter Weiz – langjähriger Fußballreporter beim MDR-Hörfunk.
„Ich glaube ganz einfach – wir haben es jüngst gesehen bei einem Spiel in Borna – dass immer noch Leute im Umfeld sind, die diesem 1. FC Lokomotive schaden, die auch nicht zu kontrollieren sind. Ich glaube ganz einfach nicht, auch mit dem Präsidenten Steffen Kubald, der ja selbst aus dieser verruchten Hooligan-Szene kommt, dass man das schaffen kann. Dass auch Sponsoren anklopfen wollen, weil ihnen das einfach zu gefährlich ist.“
Bis 1992 war Kubald bei Lok-Spielen selbst in Prügeleien verwickelt. Er dürfte der erste Ex-Hooligan sein, der es zum Vereinspräsidenten geschafft hat. Menschen ändern sich, sagt er und verweist gern auf den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer. Trotzdem taugt Kubalds Vergangenheit nicht gerade zum Vorbild. Da ist es gut, dass er Trainer Lisiewicz hat. Dieser findet für die Krawall-Fans stets deutliche Worte:
„Auf gut deutsch gesagt, uns kotzt das an, wie die sich benehmen. Aber wir wissen auch, dass es eine verschwindend geringe Gruppe ist. Letztes Beispiel in Borna: Ich bin dann selbst zu den Fans gegangen und habe versucht, die zu beruhigen. Ich habe da in Gesichter geguckt: 14- bis 18-jährige Jungs. Die – ich habe nicht mal Gewalt gesehen – mir zugeschrien haben: Auf-, auf-, aufsteigen wir. Und da habe ich gesagt: Ne, mit Euch steigen wir nicht auf, wenn ihr jedes Mal ausrastet.“
Zurück beim Spiel gegen Dresden Laubegast. Die Stimmung ist ausgelassen, alle bleiben friedlich. Am Ende steht es 1:0.
„Wir haben es geschafft. Da muss doch die Relegation drin sein. Ich gebe ab an René und bedanke mich fürs Zuhören. René, übernimm‘ bitte.“
Marko Hofmann, Live-Kommentator beim Internetradio Lok-Ruf, verabschiedet sich von seinen Hörern. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Die Stimme: heißer, aber euphorisch.
„Bei dem Spiel und den Ereignissen. Schwacher Schiedsrichter, schwache Mannschaftsleistung. Und diese Bedeutung des Spiels. Da muss man einfach alles geben. Auf dem Platz und auch oben. Das Sinnlose ist, dass mich das Mikrophon hört, auch wenn ich leise spreche. Aber dadurch, dass es so laut ist, rede ich selbst so laut.“
Hofmann packt das Mikrofon ein. Ob der FC Lok wirklich aufsteigen wird, entscheidet sich am 15. und 21. Juni. Dann finden die Relegationsspiele statt. Hofmann wird wieder live kommentieren. Wie bei jedem Spiel. Für ihn steht fest: Auch wenn sie manchmal Schwächen zeigt, die Lok hat noch Dampf.
Fortuna Köln
100 Fußballfans stehen Schlange vor einem weißen Container. Im Container, der Geschäftstelle von Fortuna Köln, ist Alexander gleich Erster.
Alexander. „Mein allererstes Fußballspiel, was ich als kleiner Junge mitbekommen habe, war mit meinem Papa, war bei Fortuna Köln, und dann sind wir viel zu Fortuna gegangen. Und dann ging es ja ein bisschen abwärts, dann war es ein bisschen aus der Mode gekommen und wir sind gar nicht mehr hingegangen, aber was sich in letzter Zeit tut, das ist doch ganz schön.“
Ein Jahr spielte Fortuna Köln Erste Bundesliga, 26 in der Zweiten. Bernd Schuster war hier mal Trainer, Toni Schumacher löste ihn ab. Den wiederum entließ Fortuna-Mäzen Löring in einer Halbzeitpause, legendär sein damaliger Ausspruch: „Ich als Verein musste doch reagieren.“ Jean Löring, hier haben alle immer nur „Schäng“ gesagt, war ein volkstümlicher Mann mit despotischen Zügen. Von 67 bis 2001 hielt sein Geld die Fortuna am Leben. 2000 stieg Fortuna ab in die Regionalliga. Löring war pleite. Fortuna insolvent.
Präsident seit 2006 ist Klaus Ulonska. Der 65-Jährige hat gute Kontakte zum FC, und, fast noch wichtiger, nach ganz oben.
„Ich bin eigentlich sehr gläubig, und da hab ich mich meinen beiden Pfarrern gesprochen, weil ich ja nicht evangelisch bin und nicht katholisch, sondern kölsch-katholisch. Und sowohl der evangelische als auch der katholische Pfarrer ham gesagt, dass könnte man ruhig machen: Für die Fortuna beten.“
Der Präsident eilt hinaus. Unter seinen Arm hat er einen Fußball aus Porzellan geklemmt: eine Spardose zum Spendensammeln.
Ulonska: „Jetzt gehen wir ins Stadion, ich muss ja jetzt noch meine Mannschaft per Handschlag ... so, wir treffen uns am Marathontor ... hallo mein Schatz ... gnädige Frau ich grüße Sie.“
Ulonska kommt keine drei Schritte voran, ohne jemanden zu begrüßen. Große und kleine Fans gehen den schmalen Weg vom Parkplatz zum Südstadion. Auch Sebastian und Michael.
Sebastian: „Natürlich spielt auch n gewisser Lokalpatriotismus mit und dementsprechend hab ich mich entschieden, den Verein irgendwie zu unterstützen, damit er wenigstens in die zweite Liga hochkommt, dass die alten Duelle gegen den FC wieder stattfinden.“
Sebastian und Michael haben sich auf der Internetseite deinfussballclub.de angemeldet und bereit erklärt, 39 Euro 95 im Jahr zu bezahlen. Michael:
„Es ist einfach ne Sache der Verbundenheit mit dem Verein, mir geht’s gar nicht so darum, dass ich was entscheiden möchte.“
30 Euro für den Verein, knapp zehn Euro für die Betreiber der Internetplattform. Es ist das Prinzip der beliebten Fußballmanagerspiele. Als demokratische Co-Trainer und Manager dürfen sogenannte „user“ wie Sebastian später per Internet mitbestimmen: über Spielereinkäufe, Trikotdesign, Freundschaftsspiele. Das Projekt hat große Euphorie entfacht, aber Sebastian und Michael bleiben skeptisch.
„Ja, ich glaub, das Mitbestimmen ist dann ja eh Dilettantentum, muss ich ganz ehrlich sagen. Also ich glaub nicht, dass dann einer von uns dann mehr Ahnung hat als ein Team, dass sich dann zusammensetzt und überlegt, wer zu der Mannschaft passen würde.“
Richtig los geht deinfussballclub.de erst, wenn insgesamt 30.000 Unterstützer unterschrieben haben. Erst dann werden die knapp 40 Euro fällig. So käme fast eine Million für den Verein zusammen. Seit Anfang April haben sich 6000 User angemeldet. Die meisten aus Köln, aus ganz Deutschland, Europa, einige aus Übersee.
„Manage Fortuna Köln zurück in die Bundesliga!
Mache gemeinsam mit Sönke Wortmann das „Wunder von Köln“ möglich!“
Regisseur Wortmann ist Mitbegründer und prominentes Werbegesicht.
„Ja, Sönke Wortmann ist ein gutes Aushängeschild nach außen, aber ansonsten hat das für uns keine Bewandtnis. Ob das nun Sönke Wortmann ist oder Lady Bitch Ray oder wer auch immer gerade über die Bildschirme tingelt.“
Die kölschen Fußballlieder sind karnevalstauglich, oder war es umgekehrt? Sebastian und Michael betreten das Stadion, tauchen in das Gedränge unter dem Wellblechdach der Haupttribüne. Bratwurstduft, das Kölsch kostet zwei Euro. Die Mitglieder von deinfussballclub tragen rote T-Shirts mit der Aufschrift „Co-Trainer“, die „normalen“ Fans Fortuna-Trikots und Schals.
„Mein Name ist Dirk Daniel Stöveken.
Also im September letzten Jahres sind wir auf die Idee gekommen, das Projekt in Deutschland zu starten und haben dann die letzten sechs Monate mit der Planung uns beschäftigt, wie das auf der Internetseite auszusehen hat, wer das ganze unterstützt, und ham dann Sönke Wortmann als Paten gewinnen können und letztendlich auch die Fortuna, die bei diesem Projekt dabei ist, nun.“
Stöveken hat das Projekt initiiert. Jetzt steht er auf dem Platz. Blonde Haare, Dreitagebart, ein Surfertyp.
„Zugegebenermaßen muss ich dazu sagen, dass das nicht unsere Grundidee gewesen ist, sondern die Idee ist logischerweise aus England gekommen, wo es seit vierzehn Monaten dieses Projekt gibt, diese Idee ham wir sozusagen übernommen für Deutschland und auf den deutschen Markt adaptiert. Viele, viele Änderungen, das heißt: wir ham uns im Vorfeld auf den Verein festgelegt, um halt auch zu gewährleisten, dass die Mittel, die durch die User erwirtschaftet werden, tatsächlich auch beim Verein ankommen und nicht für Schuldentilgung oder ähnliches draufgehen.“
Schnell fiel die Wahl dann auf die inzwischen schuldenfreien Kölner.
„Also grundsätzlich gibt es zwei Säulen: Unsere Mitglieder werden in dem Verein, also in dem Fall Fortuna Köln, Management-Funktion übernehmen, das heißt: alle täglichen Managemententscheidungen, die in dem Club anstehen, werden von den Fans getroffen. Ob es jetzt ein Freundschaftsspiel ist, ob's drum geht, ne neue Anlage für das Stadion zu kaufen oder neue Vereinshymne und so weiter.
Zweite Säule ist die Säule des Co-Trainers, das heißt, die Mitglieder stimmen kurz vor den Spieltagen über ihre Aufstellung ab, daraus wird eine maßgebliche Aufstellung generiert, die wird letztendlich dann dem Trainer vorgelegt und der Trainer muss dann in Korrespondenz und in Kontroversen auch mit den Mitglieder dann seine Startelf festlegen.“
Das letzte sportliche Wort spricht natürlich weiterhin der Trainer, macht Stöveken klar. Eine Entscheidung aber haben sie schon per Internet getroffen: für ein Fortuna-Maskottchen.
Präsident Ulonska geht mit seinem Porzellanfußball unter dem Arm durch das Marathontor über die Tartanbahn. Das Spiel beginnt gleich.
Die Anzeigetafel: defekt. Auf der Nordkurve steht: niemand. In der Südkurve eine Handvoll Fans vor dem Bierwagen. Nur die Haupttribüne mit den Sitzplätzen ist rappelvoll. 2200 Zuschauer insgesamt.
Fortuna muss heute unbedingt gewinnen, gleichzeitig der direkte Konkurrent um den Aufstieg verlieren. Doch schon in der elften Minute rappelt es, der Gegner trifft.
Der Präsident hat’s nicht gesehen Mit seiner Fußballspardose geht er die Sitzreihen entlang, Hinter seinem Rücken fällt der Ausgleich – ein Traumtor. Ulonska verpasst auch, wie ein Fortune wegen Meckerns vom Platz fliegt, derweil schüttelt er wirklich jede Hand. Knufft selbst die schweren Rottweiler des Sicherheitsdienstes. Zum Schluss der erlösende Siegtreffer zum 2:1.
Und weil Konkurrent verliert, spielt Fortuna am nächsten Sonntag gegen Leverkusen. Aufstiegsendspiel. Das Wunder von Köln, es könnte wahr werden.
Trainer Matthias Mink steht nach dem Abpfiff auf dem Platz und ist glücklich. Hinter ihm hüpft seine Mannschaft vor der Tribüne, feiert mit den Fans.
Seine Jungs haben in Unterzahl und bei großer Hitze das Spiel noch gedreht, auch deswegen möchte der Trainer das Projekt deinfussballclub differenziert betrachten.
„Ich denke mal, es sind zweierlei Paar Schuhe, die sich da entwickelt haben, zum einen hat sich die Mannschaft unglaublichweiter entwickelt, man muss sehen, dass wir jetzt achtmal in Folge gewonnen haben und dass das ne unglaublich eindrucksvolle Serie ist, und die zweite Geschichte ist sicherlich die Plattform.“
Was er nicht sagt: Nicht die User sondern er hat die Mannschaft trainiert, die Taktik bestimmt.
„Nichtsdestotrotz hab ich nach n paar Tagen Bedenkzeit auch ganz klar gesagt, das ist ne tolle Erfahrung für mich als Trainer und ich hoff, und das ist der entscheidende Punkt, dass sie dem Verein viel, viel Positives bringt, und mir die Möglichkeit, mich sportlich auch weiterzuentwickeln.“
Eine Woche später. Die Kölner treffen zweimal die Torlatte, einmal den Pfosten, aber auch nur einmal ins Tor. 1:1 gegen Leverkusen. Fortuna verpasst den ersten Aufstieg nach 35 Jahren um ein einziges Tor. Auch das ist Fußball.
Die Saison ist zuende, 5841 Co-Trainer haben sich bis zum Schlusspfiff. angemeldet. Zwar wird Fortuna Köln auch in der nächsten Saison wieder in der Verbandsliga spielen, aber Trainer und Mannschaft, Tausende Co-Trainer und ihr Präsident sind sicher: Das Wunder von Köln ist bloß verschoben.
Immerhin hat die Stadt ihr Sommermärchen: Deinfussballclub.de