Der Arzt, die Mafia und der Holocaust

23.04.2010
Der Kriminalschriftsteller Josh Bazell hat bisher genau ein Buch geschrieben, aber das ist bei Publikum und Kritik sofort eingeschlagen. "Schneller als der Tod" heißt der Roman um einen New Yorker Assistenzarzt mit Vergangenheit als Mafiakiller.
"Ich bin also auf dem Weg zur Arbeit und bleibe stehen, um einer Taube zuzuschauen, die im Schnee mit einer Ratte kämpft, und irgend so ein Dödel will mich ausrauben. Mit Knarre natürlich."

Die ersten Sätze des Romans geben die Marschrichtung vor. "Schneller als der Tod" ist ein Krimi der knallharten Sorte. Sein Held Peter Brown beherrscht mehrere Kampfstile, ist eiskalt, brutal und effektiv. Ein Dödel – eine harmlose deutsche Übersetzung für das Wort "fuckhead" im Original -, der ihn mit einer billigen Pistole in der Hand ausrauben will, ist kein ernstzunehmender Gegner.

"Ich umfasse seinen Ellbogen und reiße ihn hoch, sodass die Bänder krachen wie Sektkorken. Schnuppern wir einen Augenblick an der Rose namens Ellbogen. Elle und Speiche, die beiden Unterarmknochen, funktionieren unabhängig voneinander und können Rotationsbewegungen ausführen. Schaut der Handteller nach oben, liegen Elle und Speicher nebeneinander. Wendet man ihn nach unten, kreuzen sie sich zu einem X."

Man lernt viel über menschliche Anatomie in diesem Krimi-Hörbuch. Peter Brown ist Assistenzarzt in einem New Yorker Krankenhaus. Er weiß, wohin er schlagen muss, damit es seinem Gegner wirklich weh tut. Peter Brown war früher ein Killer im Dienste der Mafia, einer seiner Spitznamen war "Bärentatze". Nun will er ein normales Leben führen. Josh Bazell erzählt seine Geschichte auf zwei Zeitebenen. Die eine spielt in der Gegenwart. Peter begegnet im Krankenhaus einem Mafioso, der unheilbar an Krebs erkrankt ist. Die beiden erkennen sich, Peters neue Identität gerät in Gefahr. Immer wieder schneidet Bazell zurück in die Vergangenheit. Peter heißt noch Pietro, seine geliebten Großeltern, bei denen er aufgewachsen ist, werden ermordet. Er schwört Rache, trainiert besessen und sucht den Kontakt zur Mafia, denn in ihren Reihen vermutet er den Killer. Um aufgenommen zu werden, muss er selbst töten.

"Ich hob sein Schießeisen auf, eine schicke Glock, und schoss, nachdem ich gemerkt hatte, dass keine Sicherung dran war, die vier Arschlöcher nacheinander in den Kopf. Ich nahm ihnen die Brieftaschen ab, um zu sehen, wer sie waren, und beim Filzen fand ich meine 45er bei dem Mann mit dem Schlagring. Na klar, etwas so Hässliches taucht immer wieder auf."

Christoph Maria Herbst trifft den lässigen, zynischen Tonfall des Romans. Er variiert wenig mit der Stimme und findet doch so viele Nuancen, dass man ihm gern fast sieben Stunden lang zuhört. Auch wenn Peter Brown Gefühl zeigt, rutscht Herbst nie in die Nähe der Sentimentalität. In den Momenten von Wut und Verzweiflung bleibt er knapp, klar, beherrscht. Die Mörder seiner Großeltern hat Peter schnell erledigt. Doch er will mehr über die liebenswertesten Menschen wissen, die er je kennen gelernt hat. Sie waren polnische Juden und haben Auschwitz überlebt. Er besucht das ehemalige Vernichtungslager.

"Dort, in den großen, verfallenen römischen Bädern mit Todesfabrik, weinen selbst die Europäer. Die Traurigkeit dieser Stätte ist förmlich zu hören, ein Kratzen, das durch die Ohren eindringt."

In diesem Moment ist der Roman plötzlich ganz realistisch. Auch die medizinischen Details sind keine Fantasie, ebenso wenig die ekelhaften Zustände im amerikanischen Gesundheitswesen. Josh Bazell beschreibt den irrwitzigen Alltag von Ärzten, die nur mit Aufputschmitteln ihre Arbeit überstehen. Und Patienten, die an falschen Diagnosen und mangelhafter Pflege zugrunde gehen. Um politische Korrektheit kümmert sich Bazell kein bisschen.

"Anscheinend haben wir sämtliche Pflegekräfte der Karibik, der Philippinen und Südostasiens aufgebraucht und sind jetzt auch mit Osteuropa schon ziemlich durch. So findet die Gemeinschaft weißer Herrenmenschen, die Nietzsches Schwester in Paraguay begründet hat, wenigstens Arbeit, wenn sie aus dem Urwald wieder hervorkommt."

Es gibt keine Auflockerungen oder Atempausen durch Musik. Christoph Maria Herbst nimmt die Hörer unter Dauerfeuer. In den überzeichneten Gewaltdarstellungen bekommt die Geschichte etwas Comichaftes, im Stil der düsteren graphic novels von Frank Miller, aus denen das blutige Rot als einzige Farbe hervor sticht. Die eiskalt vorgetragenen medizinischen Fakten erinnern an "American Psycho" von Bret Easton Ellis, einen stilprägenden Roman der 90er-Jahre. Doch Peter Brown hat auch romantische Seiten. Als er eine rumänische Musikerin kennen lernt, ist es um ihn geschehen.

"Sie legte den Kopf schräg und kniff ein Auge zu. – Weißt du, dass ich Rumänin bin? – Nein, ich weiß gar nichts von dir. – Eine Rumänin und ein Amerikaner, das geht wahrscheinlich nicht gut. – Mein Gefühl sagt mir was ganz anderes. – Geht mir auch so, sagte sie."

Alle Charaktere außer Peter spricht Christoph Maria Herbst am Rande der Karikatur. Mit Ausnahme der Rumänin namens Magdalena, die den Killer schließlich bekehrt. Mafiathriller, Liebesgeschichte, Arztroman und Holocausterinnerung – es ist unglaublich, was dieses Hörbuch zusammen bringt. Dass es funktioniert, liegt am präzisen Stil Josh Bazells, für den Christoph Maria Herbst die perfekte Stimme ist.

Besprochen von Stefan Keim

Josh Bazell: Schneller als der Tod
Gesprochen von Christoph Maria Herbst, 6 CDs
408 Minuten, Der Hörverlag