Der Artist des syntaktischen Rundumschlags
Thomas Bernhard, der Sonnenkönig der österreichischen Literatur, wie Elfriede Jelinek sagt, wäre heute 75 Jahre alt geworden. Anlässlich des Jubiläums hat sich der Hörverlag einer Produktion des Hauses aus dem Jahre 1995 besonnen und das Hörbuch "Beton. Ein Selbstgelächter" neu auf den Markt gebracht. Darin erzählt Bernhard die Geschichte eines Scheiterns.
"Wir müssen allein und verlassen sein, wenn wir eine Geistesarbeit angehen wollen,"
spricht Rudolf, der Musikschriftsteller. Seit Jahren beabsichtigt er eine Studie über Mendelssohn-Bartholdy zu schreiben und scheitert schon beim ersten Satz. Schuld daran ist auch seine Schwester, ein amusischer Mensch, dafür aber sehr erfolgreich.
"Als ich erschrocken aufwachte, war es fünf Uhr. Ich stand auf, vergewisserte mich, ob ich auch allein im Hause bin, außer meinem Pulsschlag hörte ich nichts. Ich werde mich beruhigen und anfangen, sagte ich mir. Immer wieder sagte ich mir, ich werde mich beruhigen und anfangen, aber als ich es an die hundertmal gesagt hatte und ganz einfach nicht mehr hatte aufhören können das zu sagen, gab ich auf."
Thomas Bernhard ist ein Meister der Wiederholung. In immer neuen Variationen ordnet er die gleichen Wörter zu neuen Sätzen, ein Artist des syntaktischen Rundumschlags.
"Ich ging in den ersten Stock hinauf, aber ich setzte mich nicht gleich an den Schreibtisch, aus einer Entfernung von etwa acht oder neun Metern durch die offene Tür von dem Neunmeterersterstockzimmer aus, betrachtete ich den Schreibtisch, vor allem, ob auch alles auf meinem Schreibtisch in Ordnung ist. Ja, es ist alles auf meinem Schreibtisch in Ordnung, sagte ich mir. Alles … Ich beobachtete den Schreibtisch so lange, bis ich mich selbst an meinem Schreibtisch sozusagen von hinten sah ... so wie du da sitzt, sagte ich mir, hast du schon ein paar Seiten über Mendelssohn-Bartholdy geschrieben, so sitze ich am Schreibtisch, wenn ich zehn oder elf Seiten geschrieben habe, sagte ich mir."
Der Monolog über die Kunst und das Leben und das immergleiche Thema, wie man anfängt, könnte durchaus eintönig werden. Nicht so bei Thomas Bernhard, nicht so bei Peter Fitz. Der Burgschauspieler ist eine Idealbesetzung für die großen rhetorischen Auftritte. Er stürzt sich in die Wortkaskaden, er pointiert die Bosheiten, mit Lust modelliert er selbst die kleinsten Satzeinheiten. In drei Buchstaben, das Wörtchen "und" vermag er die Paradoxie des Bernhardschen Treibens zu legen.
"Jetzt war sie schon beinahe 24 Stunden aus dem Haus und beherrschte mich immer noch. Ich konnte mich ihr nicht entziehen, ich versuchte es verzweifelt, aber es gelang mir nicht. Ich riss zum drittenmal die Fenster auf, durchlüftete das ganze Haus, bis es die hereingebrochene Kälte zu einem einzigen Eiskasten gemacht hatte, in welchem ich zu erfrieren drohte; hatte ich zuerst die Angst gehabt, ersticken zu müssen, so ängstigte mich jetzt der Gedanke, erfrieren zu müssen. Und alles wegen dieser Schwester, unter deren Einfluss ich zeitlebens zu ersticken und zu erfrieren drohte."
Glänzend offenbart Peter Fitz die ganze Kunst des Erzählers Bernhard, er rhythmisiert diesen Text, als läse er eine Partitur, wie ein Stück Musik dirigiert er den Strom des Erzählens in diesem Buch, das ohne einen einzigen Absatz auskommt.
"Mit vollem Magen hätte ich ja überhaupt nicht mit meiner Schrift über Mendelssohn-Bartholdy anfangen können, dachte ich, wenn, so nur mit leerem Magen. Der Magen muss leer sein, will ich eine Geistesarbeit wie diese über Mendelssohn-Bartholdy anfangen. Und tatsächlich hatte ich immer nur mit leerem Magen eine Arbeit wie die über Mendelssohn-Bartholdy anfangen können, niemals mit vollem. Wie habe ich nur auf die Idee kommen können, anzufangen nach dem Frühstück! sagte ich mir."
Das Problem des Anfangs – eine hinreißende Parodie auf das Geschäft des Schriftstellers: Peter Fitz bringt sie ebenso hinreißend komödiantisch zu Gehör. Alle Spielarten der Komik von der feinen Ironie bis zum bissigen Humor versteht er meisterhaft zu intonieren.
"Bei einem Menschen wie sie, ist es doch nur die Verlogenheit, wenn sie sagt, ich liebe dich. Oder bin ich der Schauerliche? Zu ihrem Mann hat sie so lange "Ich liebe dich" gesagt, bis der es nicht mehr ausgehalten hat und verschwunden ist."
Es ist nur scheinbar leicht, Thomas Bernhard zu kürzen. Hermann Beil ist dieser Balanceakt klug und behutsam gelungen. Bernhard, dem alle Klassikerverehrung ein Gräuel war, darf durchaus mit diesem Hörbuch zu einem Klassiker werden.
"Denn ich glaube tatsächlich, dass diese Schrift jene ist, von welcher ich sagen kann, dass sie meine gelungenste oder besser noch, die wohl am wenigsten misslungene ist. Ich denke sehr wohl an ihre Veröffentlichung! Aber bevor ich sie veröffentlichen kann, muss ich sie schreiben, dachte ich und bin bei diesem Gedanken in Gelächter ausgebrochen, in eines jener von mir so genannten Selbstgelächter, die ich mir im Laufe des Alleinseins angewöhnt habe."
Thomas Bernhard: Beton. Ein Selbstgelächter
Gelesen von Peter Fitz
Regie und Lesefassung: Hermann Beil
Gekürzte Lesefassung
Hörverlag München 2006
2 CDs, 19.95 Euro
spricht Rudolf, der Musikschriftsteller. Seit Jahren beabsichtigt er eine Studie über Mendelssohn-Bartholdy zu schreiben und scheitert schon beim ersten Satz. Schuld daran ist auch seine Schwester, ein amusischer Mensch, dafür aber sehr erfolgreich.
"Als ich erschrocken aufwachte, war es fünf Uhr. Ich stand auf, vergewisserte mich, ob ich auch allein im Hause bin, außer meinem Pulsschlag hörte ich nichts. Ich werde mich beruhigen und anfangen, sagte ich mir. Immer wieder sagte ich mir, ich werde mich beruhigen und anfangen, aber als ich es an die hundertmal gesagt hatte und ganz einfach nicht mehr hatte aufhören können das zu sagen, gab ich auf."
Thomas Bernhard ist ein Meister der Wiederholung. In immer neuen Variationen ordnet er die gleichen Wörter zu neuen Sätzen, ein Artist des syntaktischen Rundumschlags.
"Ich ging in den ersten Stock hinauf, aber ich setzte mich nicht gleich an den Schreibtisch, aus einer Entfernung von etwa acht oder neun Metern durch die offene Tür von dem Neunmeterersterstockzimmer aus, betrachtete ich den Schreibtisch, vor allem, ob auch alles auf meinem Schreibtisch in Ordnung ist. Ja, es ist alles auf meinem Schreibtisch in Ordnung, sagte ich mir. Alles … Ich beobachtete den Schreibtisch so lange, bis ich mich selbst an meinem Schreibtisch sozusagen von hinten sah ... so wie du da sitzt, sagte ich mir, hast du schon ein paar Seiten über Mendelssohn-Bartholdy geschrieben, so sitze ich am Schreibtisch, wenn ich zehn oder elf Seiten geschrieben habe, sagte ich mir."
Der Monolog über die Kunst und das Leben und das immergleiche Thema, wie man anfängt, könnte durchaus eintönig werden. Nicht so bei Thomas Bernhard, nicht so bei Peter Fitz. Der Burgschauspieler ist eine Idealbesetzung für die großen rhetorischen Auftritte. Er stürzt sich in die Wortkaskaden, er pointiert die Bosheiten, mit Lust modelliert er selbst die kleinsten Satzeinheiten. In drei Buchstaben, das Wörtchen "und" vermag er die Paradoxie des Bernhardschen Treibens zu legen.
"Jetzt war sie schon beinahe 24 Stunden aus dem Haus und beherrschte mich immer noch. Ich konnte mich ihr nicht entziehen, ich versuchte es verzweifelt, aber es gelang mir nicht. Ich riss zum drittenmal die Fenster auf, durchlüftete das ganze Haus, bis es die hereingebrochene Kälte zu einem einzigen Eiskasten gemacht hatte, in welchem ich zu erfrieren drohte; hatte ich zuerst die Angst gehabt, ersticken zu müssen, so ängstigte mich jetzt der Gedanke, erfrieren zu müssen. Und alles wegen dieser Schwester, unter deren Einfluss ich zeitlebens zu ersticken und zu erfrieren drohte."
Glänzend offenbart Peter Fitz die ganze Kunst des Erzählers Bernhard, er rhythmisiert diesen Text, als läse er eine Partitur, wie ein Stück Musik dirigiert er den Strom des Erzählens in diesem Buch, das ohne einen einzigen Absatz auskommt.
"Mit vollem Magen hätte ich ja überhaupt nicht mit meiner Schrift über Mendelssohn-Bartholdy anfangen können, dachte ich, wenn, so nur mit leerem Magen. Der Magen muss leer sein, will ich eine Geistesarbeit wie diese über Mendelssohn-Bartholdy anfangen. Und tatsächlich hatte ich immer nur mit leerem Magen eine Arbeit wie die über Mendelssohn-Bartholdy anfangen können, niemals mit vollem. Wie habe ich nur auf die Idee kommen können, anzufangen nach dem Frühstück! sagte ich mir."
Das Problem des Anfangs – eine hinreißende Parodie auf das Geschäft des Schriftstellers: Peter Fitz bringt sie ebenso hinreißend komödiantisch zu Gehör. Alle Spielarten der Komik von der feinen Ironie bis zum bissigen Humor versteht er meisterhaft zu intonieren.
"Bei einem Menschen wie sie, ist es doch nur die Verlogenheit, wenn sie sagt, ich liebe dich. Oder bin ich der Schauerliche? Zu ihrem Mann hat sie so lange "Ich liebe dich" gesagt, bis der es nicht mehr ausgehalten hat und verschwunden ist."
Es ist nur scheinbar leicht, Thomas Bernhard zu kürzen. Hermann Beil ist dieser Balanceakt klug und behutsam gelungen. Bernhard, dem alle Klassikerverehrung ein Gräuel war, darf durchaus mit diesem Hörbuch zu einem Klassiker werden.
"Denn ich glaube tatsächlich, dass diese Schrift jene ist, von welcher ich sagen kann, dass sie meine gelungenste oder besser noch, die wohl am wenigsten misslungene ist. Ich denke sehr wohl an ihre Veröffentlichung! Aber bevor ich sie veröffentlichen kann, muss ich sie schreiben, dachte ich und bin bei diesem Gedanken in Gelächter ausgebrochen, in eines jener von mir so genannten Selbstgelächter, die ich mir im Laufe des Alleinseins angewöhnt habe."
Thomas Bernhard: Beton. Ein Selbstgelächter
Gelesen von Peter Fitz
Regie und Lesefassung: Hermann Beil
Gekürzte Lesefassung
Hörverlag München 2006
2 CDs, 19.95 Euro