Der arme Lindner!
Falls Christian Lindner neuer Parteichef der FDP wird, muss er die Liberalen – abseits des in Verruf geratenen Neoliberalismus – neu erfinden, meint der Autor Erik von Grawert-May. Doch auch das sei keine Erfolgsgarantie, da bürgerliche Wählerschichten sich von alten Bürger-Tugenden verabschiedet hätten.
Christian Lindner, würde er neuer Parteichef der Freien Demokraten, wäre nicht zu beneiden. Wo sind die Wähler der Liberalen geblieben? Sie flüchteten, kehrten beispielsweise zur Union zurück. Schlimmer noch, eine typische Klientel der FDP gibt es wahrscheinlich gar nicht mehr. Auch, weil sich längst alle Parteien des Bundestags Liberalität auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Wer wäre nicht für die Verteidigung individueller Freiheitsrechte, wer nicht für mehr Selbstständigkeit, wer nicht gegen die Ausuferung staatlichen Einflusses. Doch was die gelbe Liberalität von der schwarzen, roten oder grünen wesentlich unterscheidet, bringt die FDP nicht mehr überzeugend an den Mann - oder der Unterschied interessiert das Publikum einfach nicht.
Sie müsste, das treibt Christian Lindner schon lange um, sich neu erfinden. Doch einer dem Wort nach neo-liberalen Partei steht die Krisenerfahrung der gesamten Wählerschaft entgegen, da die langandauernde Erschütterung der westlichen Finanzmärkte auf ihre übermäßige Deregulierung zurückgeführt wird. Und die schiebt man gern dem Neoliberalismus in die Schuhe. Dabei bleibt der Begriff völlig verschwommen.
Wer wäre nicht für die Verteidigung individueller Freiheitsrechte, wer nicht für mehr Selbstständigkeit, wer nicht gegen die Ausuferung staatlichen Einflusses. Doch was die gelbe Liberalität von der schwarzen, roten oder grünen wesentlich unterscheidet, bringt die FDP nicht mehr überzeugend an den Mann - oder der Unterschied interessiert das Publikum einfach nicht.
Sie müsste, das treibt Christian Lindner schon lange um, sich neu erfinden. Doch einer dem Wort nach neo-liberalen Partei steht die Krisenerfahrung der gesamten Wählerschaft entgegen, da die langandauernde Erschütterung der westlichen Finanzmärkte auf ihre übermäßige Deregulierung zurückgeführt wird. Und die schiebt man gern dem Neoliberalismus in die Schuhe. Dabei bleibt der Begriff völlig verschwommen.
"Deregulierung stammt NICHT aus dem neoliberalen Werkzeugkasten"
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass deregulierende Maßnahmen gerade nicht aus dessen Werkzeugkasten stammen. Der Ordo-Liberalismus eines Walter Eucken ist zu Recht als Neo-Liberalismus verstanden worden, weil er dem Laissez-faire-Liberalismus des 19. Jahrhunderts einen neuen "Ordo" entgegensetzte.
Diese neue, in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts entworfene Ordnung, die vorschnell des Totalitarismus verdächtigt wurde, sollte helfen, das Laissez-faire-Prinzip einzudämmen. Aber nicht auf Kosten der Freiheit, sondern um diesen neuen "Ordo" zugleich gegen die keynesianisch inspirierten staatlichen Wirtschaftspläne ins Feld zu führen.
Ergebenheitsadressen eines Keynes an die Nationalsozialisten waren von einem Eucken nicht zu erwarten. Schon deshalb konnte er nach dem Krieg zum Begründer der sozialen Marktwirtschaft werden. Sein Entwurf dazu ist von anti-monopolistischem Denken geprägt, genauer von einem Anti-Macht-Denken. Je mehr Konkurrenten, desto mehr halten sie sich gegenseitig in Schach.
Die Koordination ihrer einzelnen Handlungen geschieht über den Marktpreis und nicht durch Verfügung von oben. Je vollständiger die Konkurrenz, desto wirksamer ihre Gegenmacht gegen totalitäre Versuchungen: die Wettbewerbsordnung gedacht als "Ordo" einer Entmachtung – der Markt entscheidet über die Machtstellung, nicht irgendeine Macht, schon gar nicht die staatliche.
Eine neue FDP, die auf dieses Denken zurückgriffe, dürfte sich nicht scheuen, wieder strengere Regeln gegen die überbordende Macht von Banken und Finanzen zu befürworten und könnte sich dennoch mit Stolz neoliberal nennen.
Diese neue, in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts entworfene Ordnung, die vorschnell des Totalitarismus verdächtigt wurde, sollte helfen, das Laissez-faire-Prinzip einzudämmen. Aber nicht auf Kosten der Freiheit, sondern um diesen neuen "Ordo" zugleich gegen die keynesianisch inspirierten staatlichen Wirtschaftspläne ins Feld zu führen.
Ergebenheitsadressen eines Keynes an die Nationalsozialisten waren von einem Eucken nicht zu erwarten. Schon deshalb konnte er nach dem Krieg zum Begründer der sozialen Marktwirtschaft werden. Sein Entwurf dazu ist von anti-monopolistischem Denken geprägt, genauer von einem Anti-Macht-Denken. Je mehr Konkurrenten, desto mehr halten sie sich gegenseitig in Schach.
Die Koordination ihrer einzelnen Handlungen geschieht über den Marktpreis und nicht durch Verfügung von oben. Je vollständiger die Konkurrenz, desto wirksamer ihre Gegenmacht gegen totalitäre Versuchungen: die Wettbewerbsordnung gedacht als "Ordo" einer Entmachtung – der Markt entscheidet über die Machtstellung, nicht irgendeine Macht, schon gar nicht die staatliche.
Eine neue FDP, die auf dieses Denken zurückgriffe, dürfte sich nicht scheuen, wieder strengere Regeln gegen die überbordende Macht von Banken und Finanzen zu befürworten und könnte sich dennoch mit Stolz neoliberal nennen.
"Eine der neuen FDP würdige gesamteuropäische Aufgabe"
Der antitotalitäre Gestus bezieht sich indessen nicht nur auf eine Nation, sondern auf die Freiheit aller. Er ist gegen Diktaturen auf der ganzen Welt gerichtet. Das wäre eine der neuen FDP würdige, eine gesamteuropäische Aufgabe. Der Begriff der Freiheit, der im Wahlkampf reichlich hohl klang, würde wieder mit Leben erfüllt.
Die Bundesrepublik wäre nicht länger ein Gespenst internationaler Beziehungen, als das ein Journalist der New York Times sie jüngst bezeichnete.
Der arme Lindner! Wo fände er die Wähler, die ihn unterstützten, wenn er das umsetzen wollte. Er fände sie nirgends. Das Bürgertum, dessen Tugenden ein solches Programm tragen könnten, ist uns weitgehend abhandengekommen. Es bedürfte einer geradezu heroischen Haltung, es wieder zu animieren.
Ein ideen-reicher Lindner! Er könnte sich um uns alle verdient machen.
Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor: Preussens Arkadien" (2011). Mehr: www.grawert-may.de
Die Bundesrepublik wäre nicht länger ein Gespenst internationaler Beziehungen, als das ein Journalist der New York Times sie jüngst bezeichnete.
Der arme Lindner! Wo fände er die Wähler, die ihn unterstützten, wenn er das umsetzen wollte. Er fände sie nirgends. Das Bürgertum, dessen Tugenden ein solches Programm tragen könnten, ist uns weitgehend abhandengekommen. Es bedürfte einer geradezu heroischen Haltung, es wieder zu animieren.
Ein ideen-reicher Lindner! Er könnte sich um uns alle verdient machen.
Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor: Preussens Arkadien" (2011). Mehr: www.grawert-may.de

Erik von Grawert-May© privat