Der Arme hat immer das Nachsehen

Der Arzt und Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, Enfant terrible in Sachen Gesundheit, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Missstände in diesem Bereich geht. Sein Lieblingsthema: die Zweiklassenmedizin, in der die privat Versicherten besser behandelt werden als die gesetzlich Versicherten, und dies, obwohl sie sich aus dem solidarischen System verabschiedet haben und nicht für Einkommensschwache, Arbeitslose, Behinderte und chronisch Kranke mitbezahlen. In Lauterbachs Augen eine völlig unbegründete Ungerechtigkeit.
Sein Lieblingsfeind: die Lobbyisten und ihre Blockadepolitik, die jede Reform zum Reförmchen verkommen lassen. Ihnen hat der umtriebige Professor, der mittlerweile als SPD-Abgeordneter im Budestag sitzt, schon früh den Kampf angesagt und hat, wenn immer möglich öffentlich über ihre Taktiken gesprochen. Das war wohltuend, weil ungewöhnlich. Es hat dafür gesorgt, dass Karl Lauterbach aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken ist.

Zumindest in Sachen Gesundheitspolitik. Hier ist sein Standpunkt, dass in diesem Land gelingt nichts, solange die Macht der Lobbyisten, also die der Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung und der privaten Gesundheitskassen, ungebremst fortherrscht. Die Zweiklassenmedizin sei damit unverrückbar festgelegt. Zwei Klassen mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten also in einem demokratischen Land. Das hat Potential, Aufbruchs- wenn nicht sogar Revolutionspotential.

Mit seinem Buch "Der Zweiklassenstaat - Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren" hat Karl Lauterbach jetzt nachgelegt und seine Zwei-Klassen-Theorie auf ein breiteres Spektrum ausgedehnt. Nicht nur in Sachen Gesundheit gibt es laut Lauterbach Unterschiede zwischen Arm und Reich, sondern auch wenn es um Bildung, Pflege und Rente geht. In vier Kapitel unterteilt, belegt der Gesundheitsexperte akribisch seine Thesen, zitiert Studien und will so zeigen:

Kinder aus sozialschwachen Schichten hätten hierzulande unabhängig von ihrem Intellekt nur geringe Chancen, ein Gymnasium und später eine Hochschule zu besuchen. Schlecht ausgebildet, müssten sie dann niedrig qualifizierte Arbeit erledigen und damit ihre Gesundheit eher gefährden als die besser Gebildeten und würden daher öfter krank werden. Als Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen seien sie dann schließlich die Leidtragenden der Zweiklassenmedizin und deshalb schlechter versorgt.

Dies wiederum hätte eine geringere Lebenserwartung zur Folge. Erreichten sie trotz allem ein hohes Alter, so hätten sie dann unter einer schlechteren Pflege zu leiden, da sie sich nur die Grundversorgung leisten könnten. Zudem erkrankten Kinder aus bildungsarmen Schichten im Alter eher an Demenz, da ihnen die geistige Anregung in Kindheitstagen fehle.

Von der Wiege bis zur Bahre gehe es den Armen in Deutschland schlechter als den Reichen und Privilegierten in diesem Land. Sie seien Opfer eines rundum vom Staat unterstützten ungerechten Systems. Denn Entscheidungsträger seien vor allem die Privilegierten und daher werde sich an diesem Misstand auch langfristig nichts ändern.

Das ist harter Tobak. Und dennoch, der große öffentliche Widerspruch, die Empörung der Angegriffenen gegen Lauterbachs provokante These blieb bislang aus. Woran liegt das? Wohl daran, dass vieles, was Karl Lauterbach beschreibt, unstrittig ist.

Die Gesundheitsreform etwa sieht vor, dass gesetzlich Versicherte den Beitragssatz, einen Sonderbeitrag und demnächst zusätzlich eine Kopfpauschale zahlen müssen, um das Solidarsystem weiter betreiben zu können. Anders die privat Versicherten, die nach wie vor nicht direkt an dieser Finanzierung beteiligt werden und, der Alltag zeigt es längst, eine bessere Versorgung erhalten und bevorzugt von den Spezialisten in Klinik und Praxis behandelt werden. Warum? Weil Privatpatienten für die Ärzte laut staatlich verordneter Gebührenordnung lukrativer sind als gesetzlich Versicherte.

Auch in Sachen Bildung kann man Lauterbachs Vorwurf nach PISA nicht widersprechen. Hat diese Studie doch gezeigt, dass Kinder aus ärmeren Schichten und/oder mit Migrationhintergrund im deutschen Bildungssystem benachteiligt sind.

Trotzdem bleibt beim Lesen dieser Kampfschrift für Gerechtigkeit ein leicht fader Nachgeschmack zurück. Das liegt vor allem an der allzu einseitigen Grenzziehung - hier die guten Armen als Opfer, da die bösen Reichen als Täter - die auf Dauer doch recht kurz greift. Das zeigt letztendlich vor allem eins: Der Sozialdemokrat Karl Lauterbach will mit seinem Buch das Thema Zweiklassenstaat für seine Partei besetzen, denn damit lassen sich recht einfach Wahlen gewinnen.


Rezensiert von Kim Kindermann


Karl Lauterbach, Der Zweiklassenstaat - Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren
Rowohlt Berlin, 2007, 208 Seiten, 14,90 Euro
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