Der Anti-Held
Den modernen Kunsträuber umgibt eine merkwürdige kulturelle Gloriole: Dass die Realität doch reichlich trister ist, weil fies und kriminell, weiß der ehemalige Programmdirektor der Londoner Tate Gallery, Sandy Nairne. Acht Jahre lang ist er zwei gestohlenen Turner-Gemälden nachgejagt und hat jetzt ein Buch darüber geschrieben: "Die leere Wand".
Den Kunstdieb umgibt eine besondere Aura: Die einen liegen ihm zu Füßen, die anderen sind ihm auf den Versen, doch gewachsen ist ihm keiner. Tatsächlich gilt der Kunstdieb als smarter Typ – charmant, elegant, geistreich – als Gentleman-Gangster. Ein gewitzter Räuber, perfekt verkörpert etwa von George Clooney ("Ocean’s Eleven") oder Pierce Brosnan ("Thomas Crown ist nicht zu fassen").
Doch der galante Meisterdieb ist nur Fiktion. Sandy Nairne beschreibt ihn gar als besonders zähes "kulturelles Stereotyp" und einen "populären Mythos", der mit "den harten Fakten" nichts gemein hat. Im Gegenteil: Nach Drogenhandel, Geldwäsche und Waffenschieberei, sei Kunstraub das Big Business, verübt von "profitgierigen, kaltschnäuzigen Verbrechern". So urteilt der ehemalige Programmdirektor der Londoner Tate Gallery in seinem packenden Insider-Bericht über den Diebstahl und die Bemühungen zur Wiederbeschaffung zweier kostbarer Turner-Gemälde.
1994 waren die Bilder – Leihgaben der Tate Gallery – aus der Frankfurter Schirn Kunsthalle geraubt worden. Was folgte waren achteinhalb Jahre Fahndungsarbeit. Als Abgesandter der Tate war Nairne auf die Wiedererlangung der Kunst fokussiert. Er verhandelte mit Versicherungsagenten, beriet sich mit Scotland Yard und der deutschen Polizei, er arbeitete mit verdeckten Ermittlern, saß diversen Trittbrettfahrern auf, wollte einige Male aufgeben und bekam schließlich doch den richtigen Tipp. 2002, nachdem über einen Frankfurter Anwalt ein "Honorar für die erfolgreiche Wiederbeschaffung" in Höhe von 3,5 Millionen Pfund Richtung osteuropäische Unterwelt gezahlt worden war, gelangten beide Gemälde wieder zurück in die Tate.
Dem Leser sträuben sich die Haare, so unfassbar sind die Details, die Sandy Nairne Revue passieren lässt. Etwa, wenn die Übergabe der Bilder an dem veralteten Computersystem einer deutschen Kleinstadtbank scheitert. Oder wenn der Tate-Vermittler in einem Hotel bei Frankfurt wieder und wieder hingehalten wird. Die Nerven aller Beteiligten liegen blank, als der vermittelnde Anwalt einen Turner schließlich übergeben kann. Das zweite Werk folgte endlos lange zweieinhalb Jahre später. Die Diebe wurden übrigens gefasst, die Hintermänner und die Geldempfänger aber nicht.
Sandy Nairne schreibt tage-, bisweilen uhrzeitgenau und baut so große Spannung auf. Seine Sprache klingt nach Polizeibericht und erreicht so ein hohes Maß an Authentizität und Seriosität. Als ehrlicher Chronist verschweigt er zudem nicht die Kritik an seiner Vorgehensweise.
Denn leistet, wer bereit ist, Lösegeld zu zahlen, dem Kunstraub nicht noch Vorschub? Darf man überhaupt mit Verbrechern verhandeln? Solche und andere ethische Fragen behandelt der zweite Teil des Buches. Hier geht es, nicht minder spannend, auch um das heikle Thema Geldwäsche in der Kunstwelt und schließlich die Motive von Kunstdieben. Spätestens hier wird den Lesern dann überdeutlich vor Augen geführt: mit coolen Filmen und dessen Helden hat das nichts zu tun!
Besprochen von Eva Hepper
Sandy Nairne: Die leere Wand. Museumsdiebstahl. Der Fall der zwei Turner-Bilder
Aus dem Englischen von Werner Richter
Piet Meyer Verlag, Wien 2012
320 Seiten, 23,30 Euro
Doch der galante Meisterdieb ist nur Fiktion. Sandy Nairne beschreibt ihn gar als besonders zähes "kulturelles Stereotyp" und einen "populären Mythos", der mit "den harten Fakten" nichts gemein hat. Im Gegenteil: Nach Drogenhandel, Geldwäsche und Waffenschieberei, sei Kunstraub das Big Business, verübt von "profitgierigen, kaltschnäuzigen Verbrechern". So urteilt der ehemalige Programmdirektor der Londoner Tate Gallery in seinem packenden Insider-Bericht über den Diebstahl und die Bemühungen zur Wiederbeschaffung zweier kostbarer Turner-Gemälde.
1994 waren die Bilder – Leihgaben der Tate Gallery – aus der Frankfurter Schirn Kunsthalle geraubt worden. Was folgte waren achteinhalb Jahre Fahndungsarbeit. Als Abgesandter der Tate war Nairne auf die Wiedererlangung der Kunst fokussiert. Er verhandelte mit Versicherungsagenten, beriet sich mit Scotland Yard und der deutschen Polizei, er arbeitete mit verdeckten Ermittlern, saß diversen Trittbrettfahrern auf, wollte einige Male aufgeben und bekam schließlich doch den richtigen Tipp. 2002, nachdem über einen Frankfurter Anwalt ein "Honorar für die erfolgreiche Wiederbeschaffung" in Höhe von 3,5 Millionen Pfund Richtung osteuropäische Unterwelt gezahlt worden war, gelangten beide Gemälde wieder zurück in die Tate.
Dem Leser sträuben sich die Haare, so unfassbar sind die Details, die Sandy Nairne Revue passieren lässt. Etwa, wenn die Übergabe der Bilder an dem veralteten Computersystem einer deutschen Kleinstadtbank scheitert. Oder wenn der Tate-Vermittler in einem Hotel bei Frankfurt wieder und wieder hingehalten wird. Die Nerven aller Beteiligten liegen blank, als der vermittelnde Anwalt einen Turner schließlich übergeben kann. Das zweite Werk folgte endlos lange zweieinhalb Jahre später. Die Diebe wurden übrigens gefasst, die Hintermänner und die Geldempfänger aber nicht.
Sandy Nairne schreibt tage-, bisweilen uhrzeitgenau und baut so große Spannung auf. Seine Sprache klingt nach Polizeibericht und erreicht so ein hohes Maß an Authentizität und Seriosität. Als ehrlicher Chronist verschweigt er zudem nicht die Kritik an seiner Vorgehensweise.
Denn leistet, wer bereit ist, Lösegeld zu zahlen, dem Kunstraub nicht noch Vorschub? Darf man überhaupt mit Verbrechern verhandeln? Solche und andere ethische Fragen behandelt der zweite Teil des Buches. Hier geht es, nicht minder spannend, auch um das heikle Thema Geldwäsche in der Kunstwelt und schließlich die Motive von Kunstdieben. Spätestens hier wird den Lesern dann überdeutlich vor Augen geführt: mit coolen Filmen und dessen Helden hat das nichts zu tun!
Besprochen von Eva Hepper
Sandy Nairne: Die leere Wand. Museumsdiebstahl. Der Fall der zwei Turner-Bilder
Aus dem Englischen von Werner Richter
Piet Meyer Verlag, Wien 2012
320 Seiten, 23,30 Euro