Der amerikanische Schindler

Wellen auf dem Atlantik: Der dokumentarische Roman erinnert an Varian Fry, der Nazi-Verfolgten bei der Flucht in die USA half.
Wellen auf dem Atlantik: Der dokumentarische Roman erinnert an Varian Fry, der Nazi-Verfolgten bei der Flucht in die USA half. © picture-alliance/ dpa
Varian Fry ist weitgehend vergessen. Als junger Journalist rettete er Anfang der 1940er-Jahre rund 2000 Verfolgte aus dem besetzten Frankreich, indem er sie mit US-Notvisa versorgte. Heinrich und Golo Mann, Hannah Arendt oder Max Ernst verdanken ihm ihr Leben. Ein spannender Stoff, den Eveline Hasler packend, wenn auch etwas sprunghaft erzählt.
Am Potsdamer Platz in Berlin wurde kürzlich eine kleine Straße nach ihm benannt, in Ausstellungen über deutsche Emigranten wird er erwähnt. Aber sonst ist er weitgehend vergessen. Varian Fry, der "amerikanische Schindler", dem Heinrich und Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel, Hannah Arendt und Max Ernst ihr Leben verdanken. Eveline Hasler erzählt in einem dokumentarischen Roman die Geschichte dieses Mannes, der auf eigene Faust 2000 Menschen aus dem besetzten Frankreich rettete.

1940 kam der 33-jährige Journalist mit einer Empfehlung der Präsidentengattin Eleanor Roosevelt nach Marseille, um bedrohte Künstler mit Notvisa auszustatten. Schon nach wenigen Tagen hatte sich unter den Tausenden von Nazi-Verfolgten die Nachricht von dem rettenden Engel aus den USA verbreitet. Unterstützt von einer jungen Bildhauerin, einer amerikanischen Millionärin und dem Berliner Ökonomen Albert Hirschman ging Fry ans Werk.

Er besorgte echte und falsche Visa, ließ einen Koffer voller tschechischer Blanko-Pässe fälschen, organisierte geheime Kletterrouten durch die Pyrenäen nach Spanien und trieb Schiffspassagen auf. Ein Jahr lang kümmerte er sich um Geldquellen, wimmelte Gestapo-Spitzel ab, verbreitete Mut und Hoffnung - bis ihn die Polizei der mit den Deutschen kollaborierenden Vichy-Regierung auswies.

Eveline Hasler arbeitet mit recherchierten Fakten, sie hält sich an die Erinnerungsbücher von Walter Mehring, der deutschen Widerständlerin Lisa Fittko, die Walter Benjamin über die Pyrenäen geschleust hat, oder an die Memoiren von Varian Fry selbst. Und sie stützt sich auf Gespräche mit Überlebenden. Wie in ihren bisherigen Romanen vermischt sie auch hier Fakten unterhaltsam mit Fiktivem.

Stärke entfaltet der Roman im Atmosphärischen: bei konspirativen Treffen im Hotel Splendide, wo man vor Naziagenten am Nebentisch nie sicher war oder am Morgen vor der Tour über den Bergpass, als Alma Mahler mit zwölf Koffern antrat. Am eindrucksvollsten aber sind die Szenen um Fred und Gussie, die sich nach der Deportation ihrer Eltern aus Danzig quer durch Europa alleine nach Südfrankreich durchgeschlagen hatten, sich mit Clownsnummern über Wasser hielten, bis der eine in einer jüdischen Kinderkolonie Unterschlupf fand und der andere zur rechten Hand Varian Frys wurde.
Eigentümlich blass bleibt der Roman in der Schilderung seiner Hauptakteure, zumal auch noch zwei tapfere Krankenschwestern im weit entfernten Jura eine Rolle spielen, die mit der Truppe um Varian Fry nichts zu tun haben. Eveline Hasler springt von Figur zu Figur, von einem Schauplatz zum anderen. Eben war man noch am Hafen in Marseille, wo das einzige Fluchtschiff von den Behörden entdeckt wird, schon gerät man mit flüchtenden jüdischen Kindern in den Hinterhalt in den Schweizer Bergen.

So sprunghaft es auch ist, das Buch ist immer wieder packend erzählt und verliert bis zum Schluss nicht an Spannung. Das liegt an der menschlichen Größe derjenigen, von denen es berichtet, von Tapferkeit und der Kraft der Hoffnung in einem der finstersten Kapitel der Geschichte.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Eveline Hasler: Mit dem letzten Schiff - Der gefährliche Auftrag von Varian Fry
Nagel & Kimche, Zürich 2013
224 Seiten, 19,90 Euro