Der amerikanische Bildungstraum

Die amerikanische Hochschullandschaft ist vielfältig und bunt. Von Elite-Universitäten für Besserbetuchte bis zu Community Colleges für Berufstätige reicht die Palette. Ulrich Schreiterer gibt einen Einblick in die amerikanische akademische Welt und analysiert ihre Bedeutung.
Allein die Zahlen lassen uns Harvard unglaublich erscheinen: 45.600 Dollar kostet das Studium pro Jahr, die Universität verfügte - vor der Finanzkrise - über 32 Milliarden-Dollar Stiftungsvermögen, die Abschlussquote liegt über 95 Prozent. Es gibt aber auch Zahlen, die bei uns weniger bekannt sind: Gar keine Studiengebühren muss seit kurzem bezahlen, wessen Eltern weniger als 60.000 Dollar pro Jahr verdienen. Wer unter 120.000 Dollar im Jahr verdient, muss nicht mehr als zehn Prozent seines Jahreseinkommens für den Besuch der Eliteuniversität aufbringen.

Amerika ist anders. Das zeigt Ulrich Schreiterer nicht nur anhand von Statistiken und Zahlen. Sein Ziel ist es, den amerikanischen Hochschulsektor mit all seinen Eigenarten als Ganzes darzustellen. Die Hauptthese: Wohl nirgends sonst auf der Welt gibt es so viele unterschiedliche Bildungseinrichtungen, nirgendwo sonst ist die Hochschullandschaft so bunt. Staatliche Hochschulen existieren neben gemeinnützigen privaten Eliteuniversitäten, auf Gewinn ausgerichtete kommerzielle Institutionen neben lokalen Community Colleges, an denen meist berufstätige Studierende, die oft aus ärmeren oder sozial schwachen Schichten kommen, einzelne Kurse oder Kurspakete belegen, um sich weiter zu qualifizieren.

Das Herzstück des bunten amerikanischen Bildungssystems, daran lässt Schreiterer keinen Zweifel, ist das College, die meist vierjährige Anfangsphase der Hochschulausbildung, die zum Bachelor führt. Wer das amerikanische Bildungssystem durchschauen will, ja, wer überhaupt die amerikanische Gesellschaft verstehen will, der muss vor allem diese Einrichtung betrachten, die sich mit nichts in unserem deutschen System vergleichen lässt.

Für untere soziale Schichten ist der Besuch des Colleges die Eintrittskarte zum gesellschaftlichen Aufstieg. Für die Besserbetuchten ist der Name des Colleges das Aushängeschild, mit dem man sich brüstet - bei Verwandten, Freunden, dem zukünftigen Arbeitgeber.

Aber die Bedeutung der Collegeausbildung geht über Fragen nach Geld, Gebühren und Status weit hinaus. Hier zeigt sich der inhaltliche Kern der amerikanischen Bildungsphilosophie. Was wollen wir lernen? Was für Menschen wollen wir ausbilden?

Die Collegeausbildung ist ein breit angelegtes Studium generale, dessen Ziel es ist, die Studierenden zu ausgeglichenen, kompetenten Mitgliedern der Gesellschaft zu machen, denen alle Berufswege offenstehen. Mit dem fachspezifischen deutschen Bachelorabschluss hat der amerikanische B.A. deswegen wenig zu tun.

Das amerikanische Bildungssystem, ist so eng mit gesellschaftlichen und politischen Strukturen verbunden, dass es hoffnungslos wäre, es einfach auf Deutschland oder Europa übertragen zu wollen. Lernen aber kann man von Schreiterers klug differenzierender Analyse natürlich doch etwas für die hiesige Hochschuldebatte: Was soll Hochschulbildung leisten? Welche Qualifikationen sollten Studierende mitbringen, um im Leben und im Beruf erfolgreich zu sein? Wie durchlässig wollen wir unsere Gesellschaft für berufliche Quereinsteiger und Querdenker machen?

Das sind Fragen, die in den USA anders beantwortet werden als bei uns. Schreiterers Buch ist eine wichtige Hilfe, um über sie nachzudenken.

Rezensiert von Sibylle Salewski

Ulrich Schreiterer. Traumfabrik Harvard: Warum amerikanische Hochschulen so anders sind
Campus Verlag. Frankfurt/Main 2008
266 Seiten, € 24,90