Der allerletzte Romantiker
Heute steht er im Schatten von Thomas. Doch das war nicht immer so. Lange Zeit hat der kleine, weil jüngere "große Bruder" eher in seinem Schatten gestanden, im Schatten von Heinrich Mann (1871 bis 1950). Vor allem in der Weimarer Republik galt er als Repräsentant des "deutschen Geistes".
Zu seinem 70. Geburtstag, 1931 also, bescheinigte ihm sein Schriftstellerkollege Rudolf Herzog sogar, ein "Führer seines Volkes" zu sein. Und nach 1933 galt er, zusammen mit Thomas nun freilich, als die Stimme des anderen, besseren Deutschland.
Erst mit seinem Engagement für die Kommunisten und durch sein Nicht-heimisch-werden in Amerika, wohin er sich 1940 flüchtete, sank sein Stern. Bis heute hat er, allen Reanimationsversuchen zum Trotz, seine Strahlkraft von einst nicht wieder erreicht. Eine ungemein faszinierende, weil widersprüchliche und immer unzeitgemäße Figur sei er trotzdem, meint sein neuer Biograph Manfred Flügge. In seinem 500-Seiten-Buch deutet er den Dichter des "Professor Unrats" und des "Untertans" als den "allerletzten Romantiker".
Auf der Basis von neu aufgefundenen und/oder erstmals ausgewerteten Briefen zeichnet er diesen Schriftsteller, der immer für sich in Anspruch nahm, ein engagierter zu sein, ein "Zivilisationsliterat", der in die Öffentlichkeit wirken wollte, als einen Individualisten und Querkopf, der sich trotzdem nur zu gern und meist zu seinem Nachteil vereinnahmen ließ: im Deutschland der dreißiger Jahre von einer literarischen Linken, die das Spielerische seines elaborierten Schreibens nicht verstand; von Frankreich, das ihn im Exil zur intellektuellen Vorzeigefigur in eigener Sache machen wollte, als er längst nicht mehr an Frankreichs Einfluss im Kampf gegen Hitler glauben mochte; von der Sowjetunion, die sein Einzelgängertum verkannte und nicht einsehen wollte, dass er letztlich nur für sich selber stand; sogar noch von der DDR, die seinen Nachruhm bis in die achtziger Jahre stärker verwaltete als die Bundesrepublik und sich mit ihm schmückte, obwohl der sozialistische Realismus nie seine Sache gewesen war.
Flügge arbeitet vor allem die artistischen Züge dieses Autors heraus, für den auch das politische Engagement nur eine Facette seines Künstlertums war. Er stellt ihn als monomanen Träumer dar. Damit rückt er schließlich seinem Bruder Thomas immer näher. Als "unwissende Magier" hatte schon Golo Mann die beiden in einen Topf geworfen. Die These hatte dann Joachim Fest in seinem großen Doppelessay aufgegriffen, das weite Verbreitung fand. Flügge schließt sich dieser Lesart an und spitzt sie zu. Er stellt Heinrich Mann vor der Folie des gegenwärtigen Mythos um die Familie Mann dar. Dabei zeigt sich, dass Heinrich gewissermaßen die andere Seite von Thomas verkörpert, dass er diesem voranging, dass er diesem als Antipode diente: In der Auseinandersetzung mit dem politischen Humanisten Heinrich wurde der unpolitische Thomas selbst zu jenem Zivilisationsliteraten, als den er Heinrich auf dem Höhepunkt ihres Bruderzwists beschrieben hatte.
Dennoch gerät Heinrich nie aus dem Blickfeld. Seine Irrungen und Wirrungen, Wendungen und Verwandlungen sind in sich spannend und schlüssig. Flügge, der ein großer Frankophiler und Frankreichkenner ist, verfolgt vor allem die Frankreichbindung Heinrichs mit viel Einfühlungsvermögen und Gespür. Stilistisch elegant, souverän über seinen materialreichen Stoff verfügend, erzählt er letztlich ein deutsches Leben aus jener Zeit, da produktive künstlerische Mächte und verhängnisvollste politische Gegenmächte am tiefsten ineinander griffen. In sie alle war auch Heinrich Mann intensiv involviert.
Manfred Flügge: Heinrich Mann. Eine Biographie
Rowohlt-Verlag, Reinbek 2006, 448 Seiten
Erst mit seinem Engagement für die Kommunisten und durch sein Nicht-heimisch-werden in Amerika, wohin er sich 1940 flüchtete, sank sein Stern. Bis heute hat er, allen Reanimationsversuchen zum Trotz, seine Strahlkraft von einst nicht wieder erreicht. Eine ungemein faszinierende, weil widersprüchliche und immer unzeitgemäße Figur sei er trotzdem, meint sein neuer Biograph Manfred Flügge. In seinem 500-Seiten-Buch deutet er den Dichter des "Professor Unrats" und des "Untertans" als den "allerletzten Romantiker".
Auf der Basis von neu aufgefundenen und/oder erstmals ausgewerteten Briefen zeichnet er diesen Schriftsteller, der immer für sich in Anspruch nahm, ein engagierter zu sein, ein "Zivilisationsliterat", der in die Öffentlichkeit wirken wollte, als einen Individualisten und Querkopf, der sich trotzdem nur zu gern und meist zu seinem Nachteil vereinnahmen ließ: im Deutschland der dreißiger Jahre von einer literarischen Linken, die das Spielerische seines elaborierten Schreibens nicht verstand; von Frankreich, das ihn im Exil zur intellektuellen Vorzeigefigur in eigener Sache machen wollte, als er längst nicht mehr an Frankreichs Einfluss im Kampf gegen Hitler glauben mochte; von der Sowjetunion, die sein Einzelgängertum verkannte und nicht einsehen wollte, dass er letztlich nur für sich selber stand; sogar noch von der DDR, die seinen Nachruhm bis in die achtziger Jahre stärker verwaltete als die Bundesrepublik und sich mit ihm schmückte, obwohl der sozialistische Realismus nie seine Sache gewesen war.
Flügge arbeitet vor allem die artistischen Züge dieses Autors heraus, für den auch das politische Engagement nur eine Facette seines Künstlertums war. Er stellt ihn als monomanen Träumer dar. Damit rückt er schließlich seinem Bruder Thomas immer näher. Als "unwissende Magier" hatte schon Golo Mann die beiden in einen Topf geworfen. Die These hatte dann Joachim Fest in seinem großen Doppelessay aufgegriffen, das weite Verbreitung fand. Flügge schließt sich dieser Lesart an und spitzt sie zu. Er stellt Heinrich Mann vor der Folie des gegenwärtigen Mythos um die Familie Mann dar. Dabei zeigt sich, dass Heinrich gewissermaßen die andere Seite von Thomas verkörpert, dass er diesem voranging, dass er diesem als Antipode diente: In der Auseinandersetzung mit dem politischen Humanisten Heinrich wurde der unpolitische Thomas selbst zu jenem Zivilisationsliteraten, als den er Heinrich auf dem Höhepunkt ihres Bruderzwists beschrieben hatte.
Dennoch gerät Heinrich nie aus dem Blickfeld. Seine Irrungen und Wirrungen, Wendungen und Verwandlungen sind in sich spannend und schlüssig. Flügge, der ein großer Frankophiler und Frankreichkenner ist, verfolgt vor allem die Frankreichbindung Heinrichs mit viel Einfühlungsvermögen und Gespür. Stilistisch elegant, souverän über seinen materialreichen Stoff verfügend, erzählt er letztlich ein deutsches Leben aus jener Zeit, da produktive künstlerische Mächte und verhängnisvollste politische Gegenmächte am tiefsten ineinander griffen. In sie alle war auch Heinrich Mann intensiv involviert.
Manfred Flügge: Heinrich Mann. Eine Biographie
Rowohlt-Verlag, Reinbek 2006, 448 Seiten