Der "Alle-mal-malen-Mann"

Von Christian Fischer · 01.09.2005
Viele Bonner kennen Jan Loh nur als den "Alle-mal-malen-Mann". Loh zieht jeden Abend durch die Kneipen der ehemaligen Hauptstadt und zeichnet die Kneiperbesucher in wenigen Minuten.
Jan Loh: "So. Dann wollen wir mal. "

Kalter Regen fällt auf die Straßen Bonns und das schüttere, graue Haar des Stadtmalers. Sein klappriges Fahrrad trägt ihn durch die Nacht. Es ist Samstagabend, kurz nach neun, und die meisten Leute bleiben lieber zu Hause. Nur im Taccos, da ist schon was los.

Die Brille des Stadtmalers beschlägt. Verschiedene, mit blinkenden Plastik- Teufelshörnern bewehrte Gruppen aufgeregter Frauen feiern Junggesellenabschiede.

Der alte Stadtmaler mit seinem zerschlissenen Jackett, der viel zu weiten Anzughose und dem gebückten Gang könnte ihr Großvater sein. Dann sagt er, was er immer sagt:

Jan Loh: "Euch alle mal malen? Ihr braucht nicht stillhalten. "

Alle mal malen, das ist sein Spruch, seine Parole. In Bonn nennt ihn jeder nur den "Alle-mal-malen-Mann". Seinen richtigen Namen, Jan Loh, kennt kaum jemand. Sein "Malen" ist dabei eigentlich ein Zeichnen, mit Block und Bleistift fertigt er in fünf Minuten schnelle Skizzen an. Die Junggesellin jedenfalls möchte ein Porträt, alle unterschreiben, für nur sechs Euro. Und eine Widmung hat Jan Loh gratis dazugeschrieben, draußen rezitiert er sie noch einmal:

Jan Loh: "Wir wünschen der lieben Sabrina und dem lieben Robbie eine wundervolle Ehezeit in Liebesherzglückseligkeit. Ist das schön? "

30 Jahre lang hat Jan Loh Presseauswertungen für die Regierung gemacht, ohne einen Tag zu fehlen. Nebenbei bildete er sich weiter: Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte. Jetzt ist die Regierung in Berlin und Jan Loh seit acht Jahren Maler. Jeden Abend sucht er die immergleichen Gaststätten und Kneipen auf, zieht er unermüdlich durch die Bundesstadt.

Jan Loh: "Es macht Spaß, ist erfrischend und man lernt sehr viele Menschen kennen dadurch. Und es springt auch etwas Geld dabei heraus. "

Wahrlich: Jeder kennt den Stadtmaler. Und allerorten findet sich an diesem Abend der eine oder andere, der sich von ihm zeichnen lässt. Einige porträtiert er zum dritten, vierten und sogar zehnten Mal.

Jan Loh: "Brauchst nicht in Pose – trink ruhig weiter... "

Wenn er zeichnet, grinst Jan Loh, breit über beide Wangen. Auf dem Papier: Dünne Striche erst, unsichere Konturen. Bald werden sie plastisch; Gesichter, Körper entstehen auf dem Block. Doch irgendwann, mittendrin, ist plötzlich Schluss. Sorgsam rollt er das Bild zusammen und fixiert es mit einem Stück Klebeband. Viele, die vorher schon einen Blick auf ihr Abbild erhaschten, rollen es jedoch flugs wieder auf. Und lächeln.

Peter Stamm: "Die Bilder sind im Prinzip so beschaffen, dass man die Leute erkennt, die entweder einen Bart oder eine Brille haben. Wenn du die nicht hast, weißt du auch nicht genau, wer jetzt auf dem Bild drauf ist. "

Peter Stamm lässt sich trotzdem regelmäßig zeichnen. Einige seiner vielen Stammkunden widmeten Jan Loh eine Webseite, alle-mal-malen.de. Über hundert seiner Bilder sind dort zu sehen, alle sehen ähnlich aus, um nicht zu sagen: gleich. Männer und Frauen unterscheiden sich manchmal nur durch Haarlängen, die Körperhaltung ist beharrlich grade und auch aus dem Gesichtsausdruck spricht kaum jemals mehr als heiteres Wohlgefühl.

Peter Stamm: "Darum geht’s ja auch nicht. Keiner lässt sich malen, weil er denkt: Es kommt ein Bild dabei raus, was ich mir gerne an die Wand hänge. "

Aber worum geht es dann? Wieso lassen sich die Menschen wieder und wieder von Jan Loh zeichnen? Vielleicht, weil der Stadtmaler auch ein unerhörter Charmeur ist:

Jan Loh: "Was bist du heute Abend schön. "
Frau: "Ja, ich bin auch ungeschminkt. "

Möglicherweise sehen die Bilder also alle gleich aus, weil die Menschen in den Augen des Stadtmalers alle gleich schön sind.

Jan Loh: "Jeder ist schön, das hören die Leute besonders gerne. Etliche mögen sich nicht. Ich sag denen aber dann, die Natur oder der Herrgott, je nach Auffassung, machen nur schöne Menschen. Es gibt nur Schöne, aber hässliche Geschmäcker. Und dann freuen sich die Leute: Ich bin doch schön, nur der Geschmack ist hässlich. "

Jan Lohs Geschäftsgeheimnis, das sind nicht die Bilder, sondern ermunternde und mitunter weise Worte im Trubel der Nacht. Er ist deshalb längst nicht mehr nur der verschrobene alte Mann, der durch die Bars zieht und alle mal malen möchte. Er ist zu einem Teil der Stadt geworden, ein vertrauter Fixpunkt im Nachtleben, und für viele das personifizierte Heimatgefühl.

Kneipenbesucher: "Es wäre sehr leer in Bonn, wenn er nicht mehr durch die Gaststätten wandern und seine Dienste anbieten würde. "

Kneipenbesucherin: "Irgendwie würde mir was fehlen, wenn er nicht mehr hier rumlaufen würde. "

Kneipenbesucher: "Er ist ein Original, er gehört zu dieser Stadt einfach dazu. "

Die Bürger dieser Stadt – mittlerweile hat Jan Loh sie fast alle gemalt. Und alle sehen sie gleich aus. Aber darauf kommt es gar nicht an. Sondern darauf, dass der Stadtmaler immer da sein wird – und freundlich seine Dienste anbietet:

Jan Loh: "Alle mal malen hier? "