Der Abgang

Von Sabine Eichhorst |
Als Antje Radcke Parteichefin von Bündnis 90/Die Grünen war, fuhr sie zwar U-Bahn statt Dienstlimousine, doch ihren Alltag prägte die Macht des Jobs. - Ralf Tolksdorf gehörte zur Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens mit Partner in den USA. - Ein Ländereport aus Hamburg über eine Politikerin und einen Wirtschaftsboss nach ihrem Sturz in den ganz normalen Alltag.
Der Tag, an dem die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Antje Radcke, ihren Job verliert, ist ein Sonntag; oder ein Samstag, so genau kann sie sich nicht mehr erinnern.

"Ich weiß vom Drumherum wirklich gar nichts mehr. Nur noch diesen Parteitag, meine Anspannung, die Nervosität vorher."

Antje Radcke, zusammen mit Gunda Röstel die erste weibliche Doppelspitze der Partei, lehnt den Kompromiss der rot-grünen Bundesregierung zum Atomausstieg ab. Mit einer Rede auf dem Parteitag im Juni 2000 will sie die Partei auf ihre Seite bringen - kann sich nicht durchsetzen und gibt ihr Amt auf.

"Alles fing ja damit an, dass Joschka Fischer im 'Spiegel' lancierte, dass die beiden Mädels - dass wir nichts taugen. Und da war auch klar, dass wir uns da nicht lange halten würden, weil wer Fischer zum Feind hat - das ist schon wirklich schwierig, da noch gegen anzukommen."

Der Tag, an dem der kaufmännische Geschäftsführer eines mittelständischen, weltweit operierenden Batterien-Herstellers, Ralf Tolksdorf, seinen Job verliert, ist ein Freitag. Freitag, der 8. Dezember.

"Ich kam wieder aus den USA zurück, hatten wieder Management-Sitzung und es war alles … - völlig frustrierend. Ein Meeting nach dem anderen, keine Vorbereitung, völlig desorganisiert, die wesentlichen Punkte wurden wieder nicht besprochen, es wurden wieder Banalitäten besprochen und in Details sich verfangen."

Ralf Tolksdorf hat eine Firma mit fünf Mitarbeitern zu einem global player mit Partner in den USA und heute 75 Beschäftigten ausgebaut. Doch dann gibt es Differenzen mit den Gesellschaftern über Strategie, Personal, Führung. Tolksdorf kann sich nicht durchsetzen - und legt im Dezember 2006 die Geschäftsführung nieder.

"Das Schreiben selbst ging nachher relativ zügig von der Hand. Der Entscheidungsprozess bis dahin und das Daten und Fakten sammeln, wie die einzelnen Bausteine oder die Argumentationskette aufgebaut werden sollte, das war wesentlich schwieriger als nachher das Schreiben."

Ihre Karrieren verliefen zielstrebig:
Antje Radcke trat 1990 in die SPD ein, wechselte 1993 zu den Grünen, zog im selben Jahr ins Hamburger Landesparlament ein, wurde Fraktionsvorsitzende, Landesvorstandssprecherin, schließlich Bundesparteichefin in Bonn und Berlin.

Ralf Tolksdorf studierte Wirtschaftswissenschaften, ging nach dem Diplom in eine Unternehmensberatung, machte sich selbstständig, arbeitete als Interimsmanager. So kam er auch zu dem Batterien-Hersteller - der ihn nach erfolgreicher Fusion anstellte: als Geschäftsführer in Deutschland und Finanzvorstand in den USA.
Doch jetzt sitzt der Manager zu Haus, hinterm Deich, im Grünen…

"Wobei im Augenblick wir uns in einer unglücklichen oder nicht alltäglichen Situation befinden: Ich habe die Geschäftsführung von meiner Seite aus niedergelegt, aber ich habe noch einen Vertrag. Das bedeutet, dass ich, wie es Usus ist bei Geschäftsführer-Verträgen, eine Laufzeit in dem Vertrag habe, die in der Regel drei Jahre ist. Und der Vertrag hatte gerade eine dreijährige Laufzeit begonnen in 2005. So dass der Vertrag jetzt noch bis 2008 läuft. Ich darf im Augenblick zu keinem Unternehmen gehen, welches mittel- oder unmittelbar in der gleichen Branche oder das gleiche Tätigkeitsspektrum bearbeitet. Weder als angestellter Geschäftsführer, weder als Vorstand, noch als Interimsmanagement-Berater. Ich bin sozusagen ein Langzeit-Urlauber - habe aber nicht die Freiheiten eines Urlaubers. Ich kann nicht ins Ausland fliegen, kann keinen Sprachkurs machen. Ich sitze sozusagen in einem Gefängnis zu Hause und muss damit rechnen, dass ich innerhalb von 24 Stunden Tätigkeiten übernehmen muss."

Jammern auf hohem Niveau?

Antje Radcke spürt nach ihrem Abgang Entzugserscheinungen: keine Öffentlichkeit mehr, keine Mikrophone, keine Kameras; gar nicht so einfach, sich von einem Tag auf den anderen davon zu verabschieden. Da passt es gut, dass ihre Parteigenossen an der Elbe eine Landesvorsitzende suchen. Radcke kandidiert und setzt sich im zweiten Wahlgang mit nur einer Stimme Mehrheit durch.

"Politik war nicht nur mein Leben, weil ich die meiste Zeit damit verbracht habe, sondern weil ich ein sehr politisch denkender Mensch war. Und auch immer gern überall meine Meinung dazu nicht nur bildete, sondern auch versuchte, andere zu überzeugen. Und damals war ich eben noch nicht soweit, dass ich mir vorstellen konnte, die Politik ganz sein zu lassen. Da war einfach noch viel zu viel Energie und viel zu viel Herzblut da drin und …"

Sie will es noch mal wissen, und in Hamburg stehen Wahlen an. Dann, am Wahlabend, der Schock: Rot-Grün verliert, der Rechtspopulist Ronald Schill sahnt ab, Ole von Beusts CDU und die Partei Rechststaatliche Offensive übernehmen die Regierung. Und die Hamburger Grünen feuern ihren gesamten Vorstand.
Zum zweiten Mal hat Antje Radcke einen Top-Job verloren - und diesmal ist es auch das Ende ihrer politischen Laufbahn. Sie muss sich ein neues Leben aufbauen. Sie weiß es. Und ist dennoch schockiert und verbittert.

"Ich hätte mir schon vorstellen können, ich hätte mich auch gefreut, wenn ich noch mal in dem ein oder anderen Wahlkampf mal auf einer Podiumsdiskussion hätte sitzen können. Weil ich einfach unglaublich viel Erfahrung hatte. Und ich höre ja nicht auf, politisch zu sein. Ich weiß ja, was in der Welt passiert und setze mich damit - nach wie vor - aus grüner Sicht kritisch auseinander. Dass man vielleicht auch ehemalige Spitzenpolitiker auch noch sinnvoll nutzen kann für die Partei … Es sind - nach wie vor - gemischte Gefühle und es gab häufiger mal so Situationen, wo ich es zumindest bedauert habe, dass man sich so trennt. Wie in einer Beziehung: wenn man Glück hat, dann läuft eine Trennung wenigstens so, dass man auf beiden Seiten weiß, warum es dazu gekommen ist."

Jammern auf hohem Niveau? Gestern einflussreich, hofiert, ein Entscheidungsträger - heute abserviert und unbedeutend. Das schmerzt. Wenngleich Ralf Tolksdorf gut gelaunt erklärt, er sei nicht verärgert darüber, dass man ihn kaltgestellt habe…

"Nein."

Er sei nicht wütend oder beleidigt, weil man seine Arbeit nicht respektierte …

"Nein."

Wer im Geschäftsleben nach oben will, sollte bestimmte Gefühle einfach nicht haben.

"Wenn ich beispielsweise Geschäftsführer einer gemeinnützigen GmbH bin, dann würde ich sagen, ist das nicht notwendig ist - aber ansonsten denke ich schon, dass es hilfreich ist."

Der Manager ist draußen - und bekommt weiterhin Gehalt, derzeit 14.000 Euro im Monat; das erklärt auch die gute Laune.
Die Politikerin ist draußen - und geht zum Arbeitsamt; als Parteivorsitzende der Bündnisgrünen hat Antje Radcke rund 4000 Mark verdient, als Hamburger GAL-Landesvorsitzende war ihr Einkommen so gering, dass es für sie und ihre Kinder nicht reichte und sie staatliche Unterstützung beantragen musste.

"Im Schnitt haben sie die Einschätzung, dass alle, die mal irgendwie so ein wichtiges Amt hatten, dass sie jede Woche mindestens einmal im Fernsehen sind, dass die für ihr Leben lang ausgesorgt haben. Ich habe das wirklich erlebt, dass im Stadtteil mir Leute begegnet sind, die mich gefragt haben, warum ich hier immer noch wohne? Und ich sie völlig entgeistert angeguckt habe: bitte, warum soll ich hier nicht mehr wohnen? - Ja, Sie haben doch so viel Geld, Sie können sich doch jetzt ’ne Villa in Blankenese kaufen. - Ahhh ja … Das ist die vorherrschende Meinung und deshalb war das auch wirklich aberwitzig, als ich auf dem Arbeitsamt saß und mich einreihte in die Schlange derjenigen, die da außer mir auch noch Arbeit suchten. Und die Blicke werde ich nie vergessen. Das war mir auch sehr unangenehm. Weil quasi aus dem TV-Studio raus, ins Arbeitsamt rein. Da haben so einige gedacht: wie, was, zusätzlich zu dem vielen Geld, was die haben, kriegen die auch noch Arbeitslosengeld!? Also es war …"

Es ist früh am Morgen, als Antje Radcke zum Arbeitsamt fährt. Die Stimmung auf dem Flur gedrückt, sie fürchtet, erkannt zu werden, weiß nicht, wie sie den Blicken begegnen soll. Gibt sie sich selbstbewusst, wirkt sie arrogant. Andererseits ist da dieses Gefühl …

"Mhh, hast du jetzt eigentlich irgendwie versagt oder hast du jetzt irgendwas nicht richtig gemacht? Hättest du das jetzt vermeiden können? Ich meine, andere Politiker gehen auch nicht zum Arbeitsamt. Das war so eine Mischung von … - mhh, also das war gar nicht schön."

"Wenn ich da hingehen würde, zur Bundesagentur für Arbeit, dann hätte ich, glaube ich, nach zwei, drei Mal hingehen ’ne Krise. Und würde sagen: euch muss man erstmal ’ne neue Organisation und ’nen neuen Arbeitsablauf verpassen. Also ich bin nicht der Typ dafür."

Der Manager: kaltgestellt. Die Politikerin - 41 Jahre, studierte Pädagogin: schreibt Bewerbungen an Vereine und Verbände, will Geschäftsführerin werden.

"Was es mir dann sehr schwer gemacht hat, und das hatte ich völlig unterschätzt, war meine politische Vergangenheit. Da war dann das große Problem, dass die sagten: Wir würden ja gern, Frau Radcke, aber wir sind ein unabhängiger Verband. Und Sie sind so stark mit den Grünen identifiziert, dass wir Angst haben, dass zumindest in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen könnte, wir seien jetzt ein grüner Verband. Also das war schon … habe ich lange dran geknabbert."

Personalchefs fürchten ehemalige Spitzenpolitiker wegen divenhafter Allüren und der Unfähigkeit, sich einzufügen. Schwierigkeiten, die auch der Manager kennt…

"Wenn Sie fast zehn Jahre immer auf einem bestimmten Level, immer auf einer bestimmten Ebene gearbeitet haben, dann taugen Sie nicht für ’ne andere Tätigkeit als zu managen, zu führen. Zu organisieren, zu machen und zu tun. Ich kann also nicht in die Behörde gehen. Da können Sie mich parken, ja, aber dann können Sie mich auch gleich aufs Abstellgleis schieben, Rangierbahnhof, ausgemusterte Lok … Da bin ich noch ein bisschen zu jung und zu aggressiv für."

Jung und aggressiv… - sitzt er vorerst in seinem Wintergarten. Mit Laptop, mehreren Handys und sehr viel Zeit.

"Ich mache nach wie vor viel für den Job, bereite vieles vor, damit der Stellvertreter, den ich hatte, oder die anderen Leute, mit denen ich eng zusammengearbeitet habe, nicht alles allein machen müssen. Weil sie auch das Know-how ja gar nicht hatten."

Er redet davon, wieder mehr Sport zu machen. Und soziale Kontakte aufzufrischen, die während der Jahre mit 70-Stunden-Wochen zu kurz gekommen sind. Er wirkt … - aus der Bahn geworfen.

"Komisch, zuerst ist es komisch. Weil Sie … - Sie sitzen zwar und machen die geschäftliche Tätigkeit, aber dann hören Sie mit einem Mal, wie da unten die Tochter wiederkommt. Dann hören Sie den Hund. Dann kriegen Sie ’ne Krise, weil der Hund bellt und den Postboten anfällt oder sonst etwas. Vor dem Hintergrund ist es natürlich ganz anders als wenn Sie im Büro sitzen, ’ne Sekretärin davor und im Prinzip nur feste Termine oder bestimmte Problembereiche Sie gestört haben."

Willkommen in der Wirklichkeit.

Es ist die Fallhöhe, die fasziniert. Der Absturz des Topmanagers - die Bedeutungslosigkeit der Spitzenpolitikerin - der plötzliche Verlust von Macht, Privilegien, von Statussymbolen.

"Wer ist wichtig? Was ist wichtig? Ein Auto ist doch nicht wichtig, um ein Unternehmen zu führen, zu managen."

"Ich habe die Seite sehr genossen - würde ich lügen, wenn ich was anderes behaupten würde: Es hat mir gefallen, viele Leute, wichtige Leute, vermeintlich wichtige Leute kennen zu lernen, interessante Leute kennen zu lernen, Leute, zu denen ich sonst niemals einen Zugang gehabt hätte. Hat mir auch geschmeichelt, wenn Leute mich auf der Straße wiedererkannt haben, angesprochen haben, mir auch Bestätigung gegeben haben womöglich, das hat mir alles gefallen. Auf der anderen Seite stand aber: Ich hatte wirklich kein natürliches Verhältnis mehr zu meiner Umwelt. Und das hat mich jahrelang noch immer wieder eingeholt. Ich wollte nicht angeguckt werden, ich wollte nicht beobachtet werden, auch im Umgang mit meinen Kindern. Das klingt vielleicht paradox, aber diese öffentliche Aufmerksamkeit, dieses ständige In-der-Menge-Stehen, bedeutet auf der Rückseite auch ’ne große Einsamkeit."

Man sieht die, die ihre Erfahrungen und Kontakte versilbern: Klaus von Dohnanyi - der Ex-Bürgermeister übernahm den Aufsichtsratsvorsitz der Schwermaschinenbau TAKRAF AG in Leipzig. Wolfgang Peiner - der Ex-Finanzsenator wurde Aufsichtsratsvorsitzender beim Germanischen Lloyd. Karl-Heinz Ehlers - der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete saß bis zur Rente im Vorstand der stadteigenen Immobilien-Holding Sprinkenhof-AG. Fritz Vahrenholt - der Ex-Umweltsenator wechselte in den Vorstand der Deutschen Shell AG.

"Deutsche Bank, Siemens, BenQ, Airbus - auf diesem Level bin ich nicht. Ich bin kein Vorstandsvorsitzender. Ich habe nicht Milliardenumsätze zu verantworten gehabt. Sie reden mit einem mittelständischen, unternehmerisch geprägten Geschäftsführer. Das ist doch der Mittelstand, über den wir in Deutschland immer reden - die 85 Prozent der wirtschaftlichen Aktivitäten letztlich bewegen. Und da gibt es viele, die so denken wie ich. Die auch nie in der Öffentlichkeit stehen. Wo es wirklich keine Skandale gibt. Wo es keine großen Aktivitäten gibt."

Spielt er die Dinge herunter? Schmerzt auch ihn der Verlust von Macht und Bedeutung - er mag es bloß nicht zugeben? Während Frauen offen über Gefühle sprechen? Wahrscheinlich hätte Ralf Tolksdorf, wenn er seinen Sturz als solchen empfinden würde, niemals mit einer Reporterin geredet. Denn wer in der Wirtschaft nicht mehr mitspielt, gilt schnell als Verlierer. Und das ist gar nicht sexy…

"Ich denke, dass ich immer noch in den Spiegel gucken kann. Dass die Mitarbeiter immer noch sagen: Tolksdorf ist Tolksdorf geblieben - der war immer authentisch, der hat sich nicht biegen lassen und hat versucht, die Linie durchzusetzen."

Ein halbes Jahr nach ihrem politischen Ende wird Antje Radcke Geschäftsführerin bei einem Verband im Gesundheitswesen, der keine Vorbehalte gegen ihre politische Vergangenheit hat, sondern hofft, von ihrer Bekanntheit zu profitieren. Zwei Jahre später trennt man sich, "wegen unterschiedlicher Auffassungen". Antje Radcke macht sich selbstständig, als Kommunikationstrainerin; Reden hat sie schließlich gelernt in der Politik. Ralf Tolksdorf macht sich um seine Zukunft keine Sorgen.

"Ich habe, so denke ich, vielleicht eher als andere die Möglichkeit, wieder einen Job zu finden. Durch die Tätigkeiten, die ich bis jetzt gemacht habe, als Angestellter oder als Berater - ich habe mir natürlich auch, neudeutsch: ein networking aufgebaut. Das bedeutet: Man hat gute Kontakte zu Banken, man hat gute Kontakte zu Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Rechtsanwälten oder auch vielleicht zur Personalberatern."

Für Antje Radcke rächte sich im Absturz der schnelle Aufstieg. Sie hatte sich um Netzwerke kaum gekümmert.

"Meine Erfahrung ist, dass Frauen damit anders umgehen. Männer können Netzwerke knüpfen auch über persönliche Antipathien hinweg, die müssen sich gar nicht mögen, aber die müssen wissen, was sie für ein gemeinsames Ziel verfolgen und verfolgen das tatsächlich auch gemeinsam. Das ist bei Frauen schwieriger. Und was viel schlimmer war oder viel schwerer wog: dass wir so sehr beschäftigt waren mit diesem Job, ihn gut zu machen, ihn auszufüllen, allen Erwartungen der Partei und des sozialen Umfeld und auch der Kinder - ganz vorrangig, wie oft hatte ich das Gefühl, ich kann den Erwartungen nicht entsprechen. Und in diesem Bemühen, ständig den Erwartungen zu entsprechen, ist genau das völlig hinten runtergefallen: sich zu überlegen, dass man dann auch irgendwo noch Zeit abknapst, um Netzwerke zu knüpfen und sie zu pflegen."

Jammern auf hohem Niveau - sie habe im geschlossenen Kosmos der Politik gelebt, sei sich aber stets klar gewesen, dass ihr Amt ein Amt auf Zeit ist, sagt die Politikerin. Er habe, auch durch seine Selbstständigkeit, immer gewusst, dass er sich auf einen Schleudersitz setzt, sagt der Manager.

"Da gibt es meines Erachtens schon gravierende Unterschiede zwischen Politik und Wirtschaft. Wenn heute ein Gesellschafter kommt und der hat schlecht geschlafen, und dann kommt der Geschäftsführer an und sagt: Mensch, wir müssen noch mal diese Problem lösen, und er Geschäftsführer will das nicht lösen und der Manager sagt: wir müssen es jetzt lösen, dann sagt der Geschäftsführer: Du geht’s mir auf den Keks – tschüss! Auf dem Flur. Alles schon erlebt. Und das werden Sie in der Politik nicht erleben."

Dafür werden Wirtschaftsbosse besser bezahlt als Spitzenpolitiker …

"Ich kenne viele Geschäftsführer bei kleinen Handelsunternehmen oder so, die mit 60.000 Euro im Jahr nach Hause gehen. Brutto. Und haben dann aber noch die Verantwortung für die Mitarbeiter, haben die Verantwortung gegenüber dem Finanzamt, den Sozialbehörden, wenn irgendwas schief läuft: nach dem GmbH-Gesetz kann es Ihnen passieren, dass sie noch mit Ihrem privaten Vermögen haften müssen."

Es ist Montag, 11 Uhr vormittags und Antje Radcke gibt ein Interview. Ein bisschen wie früher, nur redet sie jetzt über die wenig glamouröse Zeit nach dem Ende ihrer politischen Karriere, über die Droge Politik und die langsame Entwöhnung von der Macht.

"Selbst ich war davon nicht frei. Ich habe immer noch manchmal versucht, mich neben mich zu stellen und mich kritisch zu beobachten und dachte: Antje, was geht denn jetzt gerade ab? Das hast du doch eigentlich immer verteufelt - und nun passiert es dir selbst!"

Es ist Freitag, 10 Uhr vormittags und Ralf Tolksdorf sitzt in seinem Homeoffice. Keine Tochter, kein Hund, kein störender Postbote. Bislang auch keine Einigung über seinen Vertrag, das Wettbewerbsverbot gilt weiter. Er telefoniert und schickt E-Mails an seine Ex-Kollegen und bemüht sich um Humor.

"Man muss sich darüber im Klaren sein: wenn man das von zu Hause aus organisiert, sind Sie nicht nur der Chef, sondern Sie sind auch der Netzwerkadministrator, sind der Techniker - und Kaffee koche ich mir auch noch selbst!"