Der 13. George

Rezensiert von Andrea Fischer |
Ein Junge wird vergewaltigt und getötet, viel zu spät begreift die Polizei, dass vor ihm schon drei weitere Jungen nach dem gleichen Muster getötet wurden. Elizabeth George hat mit der Geschichte über Kindesmissbrauch den klassischen britischen Krimi gekonnt weiterentwickelt. Auf den Bestsellerlisten liegt "Wo kein Zeuge ist" ganz vorn.
Wenige Autorinnen sind so erfolgreich im Genre des Kriminalromans und verkaufen derartig viele Bücher, in Deutschland und weltweit wie Elizabeth George. Dennoch, viele Fans fanden ihre letzten Romane zu dick, zu langatmig, zu ausufernd, sodass ihr neuestes Werk mit einer skeptischen Neugier erwartet wurde. Ihre Fan-Gemeinde ist aber, bei allen Krisen, treu. Der 13. Roman von Elizabeth George "Wo kein Zeuge ist" ist schon wenige Wochen nach seinem Erscheinen auf allen Bestenlisten ganz vorne, beim Spiegel auf Platz 3, bei Amazon diese Woche auf Platz18.

Ein Junge wird vergewaltigt und getötet, viel zu spät begreift die Polizei, dass vor ihm schon drei weitere Jungen nach dem gleichen Muster getötet wurden. Allerdings waren diese drei schwarzer Hautfarbe, sodass die Polizei die Morde offenbar nicht wichtig genug genommen hatte. Jetzt wird in aller Eile eine Sonderkommission gebildet, ein Profiler eingeschaltet, der ein Bild des möglichen Serienmörders entwickeln soll, und eine sorgsame Pressearbeit eingeleitet, um Empörung in der Öffentlichkeit zu verhindern. Denn die Polizei ahnt, dass der Vorwurf des Rassismus angesichts der Gleichgültigkeit der Polizei gegenüber schwarzen Opfern auf der Hand liegt.

Der 13. George ist ein richtiger George: voluminös, gründlich recherchiert, mit einem interessanten Plot, die Hauptpersonen Lynley und Havers spielen als Ermittler wie auch als Privatpersonen wie immer eine große Rolle, daneben gibt es viele weitere Erzählstränge über Personen, die in der Geschichte von Bedeutung sind.

George hat sich in den vergangenen Jahren vom klassischen britischen Krimi nach "Whodunnit"-Muster weiter entwickelt, heute schreibt sie Gesellschaftsromane über das, was sie für den Charakter der modernen britischen Gesellschaft hält. Die Übersetzung von Ingrid und Michael Müschen wird dem Roman bestens gerecht.

Mit Lynley und Havers hat George ein überzeugendes Ermittlerpaar geschaffen, das wohl den großen Erfolg ihrer Romane unter anderem erklärt. Lynley aus adliger Familie, aber mit Hingabe an den Polizeidienst , nur unter bürgerlichem Namen lebend, Havers, aus einfachsten Verhältnissen kommend und nicht sehr glücklich mit ihrem Leben. Lynley und seine Frau erwarten ihr erstes Kind, Havers hingegen streitet sich mit ihrem Nachbarn über die richtige Erziehung dessen Kindes.

Das ist die Lage, als beide mit diesem schwierigen Fall beginnen. Schon der Klappentext deutet an, dass der Fall für sie auch privat dramatische Folgen haben wird, das erweist den Lesern allerdings einen Bärendienst, denn es lenkt ihre Spannung eher auf ein Nebengleis.

Der Roman ist zweifellos nach allen Regeln der Kunst geschrieben und man muss es Elizabeth George hoch anrechnen, dass sie mit der ernsthaften Befassung mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen über den klassischen britischen Kriminalroman hinausgeht. Das gelingt ihr deutlich besser als ihrer Kollegin Martha Grimes, die sich in ihrem neuesten Roman mit demselben Thema des Kindermissbrauchs auseinandersetzt und dramatisch an ihrer Harmlosigkeit scheitert.

Aber dennoch ist Georges Buch zu langatmig, dadurch oft auch langweilig. Auch wenn sie es mit einem dramatischen Ende versieht, dieser Showdown wirkt wie ein letzter verzweifelter Versuch, ihren ausufernden und sehr detaillierten Roman zu einem spannenden Krimi zu machen.

Elizabeth George: Wo kein Zeuge ist
Aus dem Englischen übersetzt von Ingrid Krane-Müschen und Michael J. Müschen
Blanvalet
800 Seiten 22,95 Euro