Der 11. November 1918 und das deutsch-polnische Verhältnis

Von Patrick Garber, Deutschlandradio Kultur |
Für die Polen ist der 11. November der wichtigste nationale Gedenktag, für die Deutschen nur der Beginn der Karnevalssaison. Kein Wunder, denn für Polen markierte der 11.11.1918 die Wiedergeburt nach 123 Jahren Fremdherrschaft, für Deutschland dagegen eine blutig erkaufte Niederlage, die den Keim noch größeren Unheils bereits in sich trug.
So ist es eine besondere Geste, dass die Bundeskanzlerin heute nicht zum Weltkriegs-Gedenken nach Verdun, sondern zur Unabhängigkeitsfeier nach Warschau gereist ist, an einem relativ unbelasteten Datum der deutsch-polnischen Geschichte. War doch der November 1918 für beide Völker auch ein hoffnungsvoller Neubeginn unter demokratischen Vorzeichen. Beim Blick in die gemeinsame Vergangenheit lernen Polen wie Deutsche allmählich, sich von der Fixierung auf die furchtbarsten Kapitel zu lösen, ohne diese zu vergessen.

Normalität greift Raum in unseren wechselseitigen Beziehungen. Zwar versucht der polnische Staatspräsident Lech Kaczyński immer mal wieder, das Gewesene politisch zu instrumentalisieren, doch bei der eigenen Bevölkerung löst er damit eher Geschichtsverdrossenheit aus als eine Wiederbelebung von Ressentiments, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Und die gegenwärtige polnische Regierung hat an Geschichtspolitik wenig Interesse.

Der Konflikt um das von der Bundesregierung geplante Zentrum gegen Vertreibungen reduziert sich inzwischen auf die Rolle der Vertriebenen-Präsidentin Steinbach bei diesem Projekt. Wenn Deutsche und Polen keine wichtigeren Probleme haben …

Gegenwart und Zukunftsaussichten bestimmen hingegen das deutsch-polnische Verhältnis. Man ist im Kleinklein des EU-Alltags angekommen, streitet sich um Fangquoten für den Dorsch in der Ostsee und um Grenzwerte für CO2-Emissionen, alles ziemlich normal. Die wirtschaftlichen Beziehungen laufen im Rahmen des derzeit Möglichen ganz gut, auch der Jugendaustausch ist nach dem letzten Regierungswechsel in Warschau wieder in Schwung gekommen.

Und die Differenzen in der Großen Politik lassen nach, zumindest, was das Verhältnis zu den USA angeht. Während Deutschlands Haltung gegenüber Washington sich im Zeichen der Obamanie entspannt, zeigt sich die polnische Regierung nicht mehr ganz so Amerika begeistert wie zuvor, die zähen Verhandlungen über den Raketen-Schutzschild haben hier für Ernüchterung gesorgt.

Bleibt die ewige Gretchen-Frage deutscher und polnischer Nachbarschaftspolitik: Wie halten wir es mit den Russen? Angesichts neo-imperialer Muskelspiele in Moskau dürfte die Haltung zu Russland zum Lackmus-Test für die viel beschworene Interessengemeinschaft zwischen Polen und Deutschland werden. Und hier wären beide Regierungen gut beraten, einander zuzuhören, um jenseits von Berliner Blauäugigkeit und Warschauer Paranoia zu einer realistischen Russland-Politik zu finden.