"Denkverbote in der Kirche haben nie weitergeholfen"

Johanna Rahner im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 12.11.2011
Die Theologin Johanna Rahner hält eine stärkere Einbindung von Frauen in die katholische Kirche für eine theologisch legitime Forderung - trotz dem Wunsch des Papstes, nicht mehr darüber zu sprechen. Ein Anknüpfungspunkt sei sicher das Diakonenamt - ein Amt, dass Frauen in der Vergangenheit auch schon ausgeführt haben.
Kirsten Dietrich: Die Kirche soll Modell für das gleichwertige und partnerschaftliche Zusammenleben und Zusammenwirken von Männern und Frauen sein. Das haben die deutschen katholischen Bischöfe in einem Hirtenwort beschlossen – vor ziemlich genau 30 Jahren. Viel verändert hat sich seitdem nicht, das sagen sogar Frauen, die sich sehr prominent in der katholischen Kirche engagieren – als Laiinnen natürlich, denn höhere Ämter oder genauer Weihen sind nach wie vor den Männern vorbehalten.

Am nächsten Wochenende trifft sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das ZdK, also der Verband der Laien in der katholischen Kirche, zur Vollversammlung in Bonn-Bad Godesberg. Dort steht das Thema wieder einmal auf der Tagesordnung. Für ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Männern und Frauen in der Kirche – unter diesem Titel wird Johanna Rahner einen Impulsvortrag halten. Johanna Rahner ist Professorin für Systematische Theologie am Institut für katholische Theologie der Universität Kassel, und ich habe sie vor der Sendung gefragt, woher sie denn die Inspiration für noch einen Anlauf zu diesem Thema nimmt.

Johanna Rahner: Ich denke, es ist die aktuelle Situation der katholischen Kirche. Gerade das letzte Jahr hat ja deutlich gemacht, dass wir fulminante strukturelle Probleme haben, und dann sind solche Fragen, wie eigentlich ein Miteinander in dieser Institution auch nach den Kriterien, wie wir in unserer normalen Lebenswelt miteinander umgehen … dass solche Fragen viel relevanter werden und natürlich jetzt ganz massiv wieder in den Vordergrund treten.

Dietrich: Man könnte ja auch sagen, diese Krisensituation – also ich meine damit zum Beispiel so Stichworte wie Priestermangel, natürlich der Missbrauchskandal, Geldprobleme in den Gemeinden –, da könnte man auch sagen, das ist ein Schraubstock, der jegliche Utopie im Keim erstickt eigentlich.

Rahner: Nein, ich sehe es eher als Herausforderung, dass sich Dinge ändern müssen. Und ein Grundsatzproblem der katholischen Kirche ist tatsächlich die Position der Frau, die Berücksichtigung der Charismen, also der Begabungen von Frauen für die Kirche, also uns fehlt einfach in der katholischen Kirche tatsächlich das weibliche Element.

Und daher tritt natürlich die Frage wieder massiv in den Vordergrund, wie können solche Begabungen von Frauen auch in der katholischen Kirche nicht nur wirksam werden, sondern auch dass sich Kirche, katholische Kirche auch in Frauen repräsentiert fühlt, dass Frauen auch katholische Kirche repräsentieren, öffentlich strukturell nach außen hin, also die berühmte Frage von Ämtern oder des Amtes der Frau in der Kirche.

Dietrich: Nun hat der Vatikan da ja ziemlich deutlich gemacht, dass für ihn da wenig Spielraum oder genauer gesagt eigentlich kein Spielraum ist. Der sagt, zum Priesteramt ist alles gesagt, da wird sich nichts verändern, aber am Priesteramt, da hängt doch sehr viel, das ist der Dreh- und Angelpunkt für die Situation auch in den Gemeinden. Also wo ist der Spielraum da, um Ämter für Frauen zu öffnen?

Rahner: Ich denke, der Fokus aufs Priesteramt, das ist das eine, die Frage von repräsentativen Ämtern für Frauen in der Kirche ist eine andere Frage. Wir haben auch innerhalb der jetzigen Struktur schon genügend Möglichkeiten, die wir eigentlich nutzen sollten. Also die Frage ist, wieso innerhalb der Verwaltungsebene der katholischen Diözesen Frauen nicht viel stärker zum Zuge kommen. Da spiegeln wir nicht nur die Gesellschaft, wo man sich ja heute Fragen stellt wie, brauchen wir eine Frauenquote, damit Frauen in Führungspositionen präsenter sind, sondern wir stehen ja noch viel schlechter da und sollten eigentlich viel besser dastehen, also als Vorbild dienen.

Dietrich: Also dass zum Beispiel Verwaltungen von Frauen geleitet werden?

Rahner: Ja! Es gibt also nur ganz spezifische Ämter, die tatsächlich nur von Klerikern, also geweihten Männern auszuüben sind, alle anderen Positionen sind eigentlich durchaus gleichberechtigt mit Frauen zu besetzen. Warum tun wir das nicht? Das ist sicher eine Grundfrage.

Dietrich: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat vor dem Papstbesuch Stimmen von Katholikinnen gesammelt unter dem Motto: Frauen bewegen Kirche. Da habe ich neben großem Realismus und viel, viel Frust eine Forderung immer wieder gelesen, nämlich die Weihe zur Diakonin auch für Frauen möglich zu machen. Ist das eine sinnvolle Forderung?

Rahner: Ich denke ja. Also vielen sehen da das sicher als Einstiegsmöglichkeit, überhaupt die Ämterfrage anzugehen, aber genau das Diakonenamt für die Frau hat einen großen theologischen Vorteil: Wir befinden uns da nicht auf völlig neuem Gelände, sondern wir haben das in der eigenen Tradition, unser kirchlichen Tradition drin, dass es solche Ämter schon einmal gegeben hat für Frauen. Das heißt, wir können tatsächlich an Gegebenheiten anknüpfen. Das war natürlich in der christlichen Antike, die Gesellschaft sah anders aus, aber ich halte es tatsächlich heute für eine theologisch legitime Forderung, mit diesem Amt tatsächlich einen Ort für Frauen in der Kirche im Sinne der Repräsentation der Amtskirche zu finden.

Dietrich: Der natürlich immer noch dem Priester ungeordnet ist.

Rahner: Das ist richtig. Man könnte sicher auch weiterdenken, was folgt eigentlich aus dieser Forderung heraus, und ich denke, dass das Thema Priesteramt für die Frau zwar nach dem Wunsch des letzten Papstes sozusagen nicht mehr diskutiert werden soll, aber es genügend theologische Gründe gibt, tatsächlich noch einmal das Fundament dieser Argumentation näher anzufragen. Und Denkverbote in der Kirche haben nie weitergeholfen, sondern offenes Diskutieren und die Argumente. Und ich habe die gute Hoffnung, dass sich auch bei diesem Thema das bessere Argument am besten am Ende durchsetzen wird.

Dietrich: Im deutschen Katholizismus haben Frauen eine besondere Rolle, sowieso jetzt schon, das hieß es immer wieder im Vorfeld des Papstbesuches, und deswegen ein Beispiel dafür waren bei den Messen, die der Papst gehalten hat, weibliche Ministrantinnen. Das waren dann selbstbewusste professionelle, junge Frauen, die es im gleichen Atemzug für völlig selbstverständlich hielten, dass sie natürlich gar keine Aufgaben übernehmen, die sie in direkten Kontakt mit dem Papst am Altar bringen könnten. Was war das jetzt, war das ermutigen, war das deprimierend?

Rahner: Ich glaube nicht, dass es für die Frauen selbstverständlich war. Also es ist natürlich das Amt sozusagen der Ministrantin, des Ministranten, das einfach eine bestimmte liturgische Funktion hat. Aber wenn sie die Mädels, auch die Frauen, die dann beim Kommunionausteilen nachher beteiligt waren, mal näher gefragt haben, was sie eigentlich denken über die Situation der Frau in der Kirche, dann haben sie sicher im Prinzip das ganze Spektrum wahrnehmen können, was innerhalb der katholischen Kirche auch da ist, und auch die Nachfrage, warum ich also als Frau nicht auch andere Dinge kann.

Also so klar sind die Dinge in der katholischen Kirche im Augenblick nicht, und wir sollten uns auch daran gewöhnen, vielleicht den Katholizismus nicht einfach nur monolithisch, also mit einer Meinung, die möglichst noch mit sozusagen einer bestimmten, eher traditionell ausgerichteten Richtung zu verbinden wäre, zu verbinden, sondern tatsächlich einen pluralen Katholizismus, wie wir in Deutschland ihn leben und auch erfahren, wirklich als auch ein Bild von Katholizismus wahrzunehmen.

Dietrich: Nun ist aber mein Eindruck, dass genau um diesen Pluralismus gerade innerhalb der katholischen Kirche sehr gerungen wird – auf der einen Seite die, die den Dialogprozess der Bischöfe mit den Kirchenmitgliedern befürworten, auf der anderen Seite, die sagen, der Papstbesuch hat uns gezeigt, wir müssen uns wieder eher auf den einen Hirten konzentrieren. Hat da der Besuch der Papstes irgendeine Richtungsentscheidung vorgegeben?

Rahner: Ich würde nicht sagen im Sinne einer Richtungsentscheidung, vielleicht eher das Ganze auf einer emotionalen Ebene. Ich habe den Eindruck, dass gerade diese Teile der katholischen Kirche, die im Augenblick sehr daran interessiert sind und auch sehr engagiert sind, das Gespräch weiterzuführen, tatsächlich eine Öffnung im Sinne von einer gewissen breiteren Streuung dessen, was katholisch ist und auch sozusagen in der Öffentlichkeit auch wahrgenommen wird, dass diese Gruppe eher so im Augenblick emotional etwas gedämpft daherkommt.

Also wie so mit einer leichten Katerstimmung aus diesem Papstbesuch herausgegangen ist, weil wir natürlich Folgendes gemerkt haben: Allein die Medien sind so konstruiert, dass wunderbar natürlich diese Konzentration auf diesen einen Menschen, der sagt, wo es langgeht, in das medial vermittelbare Bild von Kirche hineinpasst, was aber nicht das theologische Bild der Kirche ist.

Also was medienwirksam ist, muss erst anhand der theologischen Stimmigkeit geprüft werden, ob das wirklich katholisch ist. Und wenn der Papstbesuch diese Illusion tatsächlich unterstützt – einer weiß, wo es langgeht, wir müssen ihm alle nur nachfolgen –, dann habe ich als systematische Theologin massive Probleme mit einer solchen Theologie.

Dietrich: Trotzdem bleibt ja doch bei vielen Frauen auch der Frust, den sie äußern darüber, dass sie sich seit Jahren am gleichen Thema abarbeiten.

Rahner: Sicher, aber ich würde trotzdem sagen, jetzt nicht müde werden, sondern tatsächlich die Stimmung der Zeit, die durchaus so ist – also wir reden ja von einer binnenkatholischen Stimmung, wenn Sie die Welt da draußen angucken, die wundert sich ja nur noch, dass man sich mit solchen Themen noch beschäftigen kann.

Und diese Spaltung zwischen einem normalen Weltgefühl, wo Frauen eigentlich ihre Positionen haben, auch selbstverständlich innehaben, und einem binnenkirchlichen Gefühl, wo sie da immer noch drum ringen müssen, ich denke, an dieser Diskrepanz müssen wir mehr arbeiten, weil eine Kirche, die sich auf der Ebene als Gegenwelt etabliert, keine Zukunft haben wird, sondern eine Sonderwelt darstellt, eine Sekte – man könnte es fast so bezeichnen, als Sekte.

Dietrich: Wie ist ein partnerschaftliches Miteinander von Männern und Frauen in der katholischen Kirche möglich? Ich sprach mit Johanna Rahner, Professorin für Systematische Theologie an der Universität Kassel.


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