Denkmal

Wo ist Lenin nur hin?

Das Wohngebiet am Leninplatz wurde in der Zeit von 1968-70 errichtet. Das Lenindenkmal von Nikolai W. Tomski aus rotem ukrainischen Granit ist Dominante des Platzes.
Das Lenindenkmal von Nikolai W. Tomski am ehemaligen Leninplatz in Ost-Berlin. © picture alliance / dpa / ZB / Hubert Link
Von Doris Anselm · 15.08.2014
Der Kopf der roten Berliner Lenin-Statue sollte eine Ausstellung über Denkmäler krönen. Doch nun ist das Haupt verschwunden, sagt der Senat. Dabei hat er selbst den roten Kopf vergraben lassen − vor 22 Jahren.
Wenn in meinem Elternhaus in der Nähe von Hamburg etwas verschwunden schien, sagte meine Mutter nur mit leisem Stolz: "In einem geordneten Haushalt findet sich alles wieder an." So war es dann auch. Und das illustriert jetzt sehr schön den Unterschied zwischen Berlin und dem Rest der Republik. Bevor man hier irgendetwas wiederfindet, haben mindestens drei weitere Touristen-Generationen das Brandenburger Tor besichtigt. Das wahrscheinlich auch nur deshalb noch am altbekannten Ort zu finden ist, weil die verlässlichen Archive des Lonely-Planet-Reiseführers es so verzeichnen. Wäre der Berliner Senat verantwortlich, hätte er das Brandenburger Tor schon längst verbummelt.
So wie den Kopf der Lenin-Statue. Der liegt irgendwo im Köpenicker Forst. Gemeinsam mit den 128 anderen Einzelteilen der Statue, die nach der Wende eilig abgerissen und verscharrt wurde. Angeblich wird das Teil von Mitarbeitern der Berliner Forsten regelmäßig auf Schäden kontrolliert. Wie kann dann der Senat nicht wissen, wo das Haupt begraben ist? Und um die eigene Glaubwürdigkeit komplett in die Tonne zu treten, schiebt der Senat ein zweites Argument hinterher: "Selbst wenn wir wüssten, wo der Schädel liegt: Es wäre viel zu teuer, ihn zu bergen." Hmja. Das Meerschweinchen hätte meine Hausaufgaben gefressen, wenn ich sie denn gemacht hätte.
Vom Nutzen des Vergessens
A propos Tierwelt. Wer vergräbt denn sonst noch Sachen und zu welchem Zweck? Genau. Das Eichhörnchen! Dieses niedliche Wesen ist in der Evolution der anerkannte Beweis für den Nutzen von Vergesslichkeit. Ich habe es deshalb zu meinem Wappentier ernannt. Wo war ich? Ach ja. Das Eichhörnchen vergisst seine Vorratsnüsse in der Erde und forstet so die Wälder auf. Über den Nutzen von Vergesslichkeit in Sachen Geschichte braucht man sich kaum zu streiten. Hier hat das Vergessen zwar einen schlechten Ruf – aber es erleichtert das Leben ungemein. Stasi-Methoden bei heutigen Geheimdiensten? Welche Stasi? Äh, wo war ich?
Ach ja. Der vergrabene Lenin-Kopf. Dass der noch einmal keimt im Köpenicker Boden, ist kaum zu erwarten. Aber genau das scheinen manche Berliner Berliner Politiker zu befürchten: zarte Schößlinge des Kommunismus sprießen in ihren Albträumen mitten zwischen den neuen Townhouses und Edelboutiquen. Pfui. Aber ausgraben geht erst recht nicht, das käme ja der Auferstehung gleich. Im Stillen hofft man also, dass der Statuenkopf längst von der Steinlaus befallen ist und sich bald in fruchtbaren Humusboden auflöst. Damit es endgültig heißen kann: Goodbye, Lenin.
Mehr zum Thema