Tagung in Berlin

Wie sehen die Denkmäler der Zukunft aus?

05:34 Minuten
Im Sommer 2020 holten Demonstranten in Bristol die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston von ihrem Sockel und versenkten sie im Hafen.
Im Sommer 2020 holten Demonstranten in Bristol die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston von ihrem Sockel und versenkten sie im Hafen. © picture alliance / empics | Ben Birchall
Von Gerd Brendel · 15.07.2022
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Wie kann man mit historischen Monumenten umgehen, die auch an Gewaltregime erinnern? Eine internationale Tagung in Berlin hat sich mit den Denkmälern der Zukunft beschäftigt – und unser Autor hat ein solches auf seinem Nachhauseweg entdeckt.
Monuments of the Future“ – "Denkmäler der Zukunft" lautet der Titel einer Tagung in Berlin, wobei es zuerst um die Zukunft der Denkmäler aus der Vergangenheit ging, also "darum, zu reflektieren, wie unsere Wahrnehmung von Denkmälern ist und wie sie aber auch sein könnte“, erklärt Lena Jöhnk, eine der Organisatorinnen. Als langjährige Programmleiterin der Goethe-Institute in Nordamerika weiß sie um die unterschiedliche Wahrnehmung öffentlicher Monumente beiderseits des Atlantiks.
Ihr geht es um die Frage, welche Rolle Denkmäler für die Gesellschaft spielen könnten. Im Falle unzähliger Denkmäler zu Ehren konföderierter Generäle im Südosten der USA lautet die Antwort: Gar keine. In den letzten Jahren wurden sie von New Orleans bis Richmond, Virginia abgebaut. In Richmond quasi vom Kopf bis zum Sockel rückstandslos beseitigt.

An den Widerstandsgeist erinnern

Zu Recht meint die US-amerikanische Designerin und Anthropologin Dori Tunstall: „Wer braucht Erinnerung? Ich muss nicht an das Trauma der Sklaverei erinnert werden. Ich muss an den Widerstandsgeist erinnert werden.“ Denn das Trauma der Sklaverei ist ihrer afro-amerikanischen Familiengeschichte eingeschrieben.
Für Tunstall stehen die steinernen Südstaaten-Generäle für einen sehr gegenwärtigen Rassismus: „Lebe ich in einem Umfeld, wo ich immer noch Verfolgung, Diskriminierung erfahre? An Denkmäler können Menschen zum gemeinsamen Andenken und Trauern zusammenkommen, aber auch um dieses Andenken zu entehren.“
Es ist kein Zufall, dass viele Denkmäler nach Protesten gegen die Polizistenmorde an Schwarzen demontiert wurden. Aber wird damit nicht auch die Geschichte entsorgt? Darüber diskutierten die Künstlerinnen, Designer und Historikerinnen aus Kanada, den USA und Deutschland in Berlin.

Multidirektionale Erinnerung

Die Frage: Wer braucht die Erinnerung und für wen stehen die Denkmäler, stellt sich auch angesichts der Mahnmale in der deutschen Hauptstadt. In der Mitte Berlins stehen sie als Zeugnis der Scham über die Verbrechen, die aus der Mitte der Gesellschaft begangen wurden – bestenfalls als Orte, die Nachfahren der Opfer und Täter in ihrer Trauer um die Toten und die Auslöschung einer gemeinsamen europäischen Kultur verbindet.
Aber was ist mit Besucherinnen und Besuchern von außerhalb, die nicht Teil dieser jüdisch-deutschen, roma-deutschen, europäischen Geschichte sind? Als Antwort darauf hat der US-amerikanische Holocaustforscher und Kulturwissenschaftler Michael Rothberg seine Theorie von der multidirektionalen Erinnerung entwickelt. Was er damit meint?
Rothberg erzählt vom Besuch des afro-amerikanischen Bürgerrechtsaktivisten und Soziologen W.E.B. Du Bois Ende der 40er-Jahre im zerstörten Warschau am Mahnmal für die Opfer Gettoaufstands:
„Du Bois hat nicht versucht, seine Erfahrungen von Rassismus damit gleichzusetzen. Aber die Konfrontation mit dem Holocaust brachte ihn dazu, die falsche Vorstellung von 'Menschenrassen' noch einmal gründlich zu überdenken und die Verbindung zwischen Rassismus und Antisemitismus zu sehen.“

Das Mahnmal der Zukunft steht im Tiergarten

Die Mahnmale der Zukunft – Lena Jöhnk versteht sie als Anregung dafür, wie wir zusammenleben wollen.
Die Fragen beschäftigen mich auf dem Nachhauseweg. Mein Weg führt mich quer durch die Berliner Gedenklandschaft, durch den Tiergarten, durch das Brandenburger Tor. Gegenüber von den Betonblöcken des Holocaust-Mahnmals sehe ich im Tiergarten einen ganz ähnlichen Betonquader.
Durch eine verglaste Öffnung ist ein Film zu sehen: sich küssende Männer- und Frauenpaare in Endlosschleife. Das Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, gestaltet vom Künstlerduo Elmgreen und Dragset, vereint alles, wovon auf der Tagung die Rede war: die Trauer und den Widerstandsgeist, die Geschichte und die Gegenwart, Tod und Leben.

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