Deniz Yücel nach dem das Urteil gegen ihn

"Irgendwann wird dieses Regime zugrunde gehen"

06:31 Minuten
Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2019
Ist froh, dass er nicht dem Zugriff der türkischen Justiz ausgesetzt ist: Deniz Yücel. © picture alliance / Sven Simon / Elmar Kremser
Moderation Eckhard Roelcke · 16.07.2020
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Fast drei Jahre Haft wegen "Terrorpropaganda" - für Deniz Yücel steht das Urteil im Kontext der "immer härter, immer irrationaler, immer brutaler" auftretenden türkischen Regierung. Doch die Härte zeige, dass Erdogans Niedergang bereits begonnen habe.
Zwei Jahre, neun Monate und 22 Tage Haft – so lautet das Urteil in Istanbul gegen den "Welt"-Journalisten Deniz Yücel. Er solle Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK betrieben haben, befand das Gericht.
Weder die Tatsache, dass er verurteilt wurde, noch das Strafmaß findet Yücel sonderlich überraschend. Denn das ganze Verfahren sei eine Kette von Unrecht: "Von den Umständen meiner Verhaftung über die öffentlichen Anschuldigungen, die Isolationshaft, die Misshandlungen, denen ich im Gefängnis ausgesetzt war, die Umstände meiner Freilassung."
Das Gericht habe dem jetzt einen weiteren Skandal folgen lassen, so der Journalist. Nicht nur, weil es ihn nach dem Urteil des türkischen Verfassungsgericht vom vergangenen Jahr, das die Untersuchungshaft gegen ihn für rechtswidrig erklärt hat, eigentlich habe freisprechen müssen. Zudem seien gleich nach dem Urteil seien neue Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden: "Unter anderem wegen meiner schriftlichen Einlassungen vor Gericht." Dabei sei die Verteidigung des Angeklagten vor Gericht "unantastbar".
Vor allem wegen der neuen Strafverfahren gegen ihn habe ihn das Urteil "mehr aufgewühlt, als ich vermutet hatte", sagt Yücel. Obwohl er in einer vergleichsweise komfortablen Situation sei: "Ich bin in Deutschland, ich bin in Freiheit, ich bin in Sicherheit, ganz anders als Kolleginnen und Kollegen in der Türkei." Dort seien immer noch um die 90 in Haft, gegen weitere liefen Verfahren oder es drohe ihnen jederzeit eine Verhaftung.

Härte ist ein Zeichen der Schwäche

Hoffnung, dass Präsident Erdogan und seine Partei AKP je zu ihrem anfänglichen Reformkurs zurückkehren werden, hat Yücel nicht: "Im Gegenteil, das Regime wird immer irrationaler, immer härter und brutaler."
Phasen mit mehr Repressionen würden sich mit Phasen der relativen Ruhe abwechseln. Derzeit etwa werde eine Hasskampagne gegen die LGBT-Gemeinde gefahren. "Das autoritäre System wird sich immer weiter verfestigen", prophezeit Yücel. Die dabei angewendete Härte sei ein Zeichen der Schwäche und nicht der Stärke.
Denn das Regime sei schon längst im Niedergang. Es sei nur die Frage, was es in diesem Prozess des Niedergangs noch zerstören werde "an der Gesellschaft, an den Institutionen, an der Natur, an den Städten, an allem, was dieses Land ausmacht", sagt Yücel. "Keine Diktatur hält so lange, wie es sich die Diktatoren erträumen. Irgendwann wird dieses Regime zugrunde gehen."
(beb)
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