Den Vater als Vorbild

Joachim Lang im Gespräch mit Britta Bürger · 23.07.2013
"Ich zeige eine Kunst, die sagt, sie zieht sich zurück", sagt Regisseur Joachim Lang über seinen Film "George" und die Rolle des Schauspielers Heinrich George in der Nazi-Zeit. "Und ich zeige, dass gerade das in einem totalitären Regime nicht geht." Dabei lobt Lang die Zusammenarbeit mit Götz George und dessen akribische Vorbereitung auf seine Rolle als sein Vater Heinrich.
Britta Bürger: Es ist vermutlich seine bislang persönlichste, wichtigste und schwierigste Rolle, die der Schauspieler Götz George rund um seinen heutigen 75. Geburtstag dem Fernsehpublikum nahzubringen versucht. Die Person seines Vaters, des bis heute umstrittenen Schauspielers Heinrich George. Ihm hängt das Problem an, mit den Nazis kollaboriert zu haben, unter anderem als von Goebbels auserwählter Intendant des Berliner Schiller-Theaters. Gestern Abend war das Doku-Drama "George" bereits bei Arte zu sehen, morgen zeigt ihn das Erste und dazwischen feiert Götz George also heute seinen 75. Geburtstag. Der Drehbuchautor und Regisseur Joachim Lang hat ihm dazu gratuliert, bevor er jetzt zu uns ins Studio gekommen ist. Schönen guten Tag, Herr Lang!

Joachim Lang: Guten Tag!

Bürger: Dürfen wir fragen, was Sie Götz George heute gewünscht haben?

Lang: Ich habe ihn angerufen, er ist gerade auf Sardinien. Ich habe ihm viel Glück gewünscht und er hat sich sehr gefreut. Er lebt ja da zurückgezogen auch von den Turbulenzen und was alles bei uns gerade passiert. Und er genießt seinen Geburtstag mit seiner Familie.

Bürger: Seit wie vielen Jahren haben Sie, Herr Lang, mindestens einmal am Tag an Götz George gedacht?

Lang: Ja, schon ziemlich lange. Ich habe vor zwölf Jahren angefangen, an dem Projekt zu arbeiten. Ich habe damals mit Horst Königstein die Prozesse gegen Veit Harlan verfilmt, dem Regisseur von "Jud Süß". Heinrich George hat damals mitgespielt. Damals habe ich Jan George und auch Götz George näher kennengelernt und hatte da Einblick in die Privatarchive, die mich fasziniert haben. Und damals entstand der Plan, dieses reichhaltige, widersprüchliche Leben zu verfilmen.

Ihm hat die Ernsthaftigkeit gefallen, das Gründliche
Bürger: Jan George und Götz, die beiden Brüder. Götz George hat in der Vergangenheit ja viele anvisierte Filmprojekte über seinen Vater abgelehnt. Wie konnten Sie ihn jetzt von Ihrem Konzept überzeugen?

Lang: Ich glaube, ihm hat die Ernsthaftigkeit gefallen, das Gründliche, auch das Dokumentarische, die Form, die offene Form. Dass wir versuchen, dem Zuschauer auch in gewisser Weise ein eigenes Urteil zu überlassen. Die Form, die jederzeit klar macht: Hier wird was gespielt, hier werden Dokumente aufbereitet, sodass der Zuschauer jederzeit dazwischenkommen kann mit seinem Urteil.

Bürger: Ich hab mich gefragt, als ich den Film gestern gesehen habe, was Götz Georges Ziel war bei dieser Arbeit. Sich endlich zu trauen, sein großes schauspielerisches Vorbild darzustellen, diesen Übervater Heinrich George, oder sich kritisch mit Heinrich Georges Nähe zu den Nazis auseinanderzusetzen - was war sein Ziel?

Lang: Ich glaube, Sie haben mit beiden Punkten recht. Es war natürlich - die erste Phase unserer Zusammenarbeit war geprägt, darüber zu reden, wie sein Vater in das Dritte Reich verstrickt war, inwiefern er Schuld, Verantwortung auf sich geladen hat. Und dann aber, bei den Dreharbeiten für ihn vielleicht noch zentraler, die schauspielerische Auseinandersetzung. Götz George kennt jede Kameraeinstellung, jede Geste, er kennt alles von seinem Vater, und nun hat er in meinem Film die großen Rollen seines Vaters selber zu spielen gehabt. Abgesehen von den sehr intimen, privaten Dingen, zum Beispiel die Sterbeszene, als er noch mal den Namen seines Sohnes Götz sagt. Auch die großen Rollen, "Götz von Berlichingen", "Prinz von Homburg", alles das hat Götz in meinem Film jetzt dargestellt. Und am Schluss des Films sagt er: Wenn ich in die Grube steige, grüße ich ihn oder auch nicht und sage, du warst halt immer besser, besessener.

Bürger: Und dennoch sind die politischen Kritikpunkte natürlich besonders interessant. Selbst der Bruder Jan George schreit geradezu, sieh an, am Anfang des Films in einer dokumentarischen Szene, jetzt frag doch endlich mal was Politisches. Und die Antworten ziehen sich dann aber doch auf sicheres Gelände, möchte ich mal sagen, zurück. Also, es wird eigentlich wie ein Mantra Heinrich Georges Haltung wiederholt, "ich bin doch nur Schauspieler". Konnte ein Theaterleiter in der Nazizeit unpolitisch sein, fragt man sich. Was unterscheidet sein "ich bin doch nur" von anderen Mitläufern und Schreibtischtätern?

Lang: Ich hoffe genau das gezeigt zu haben. Ich zeige eine Kunst, die sagt, sie zieht sich zurück, "ich bin nur Schauspieler, ich mache nur Kunst", und ich zeige, dass gerade das in einem totalitären Regime nicht geht. Man kann sich nicht heraushalten, man kann nicht sagen, man spielt nur Goethe, Schiller, Kleist, sondern letztendlich wird man immer mehr verstrickt. Das Interessante ist ja, dass Heinrich George ursprünglich Linker war, dass er in den 20er-Jahren unter Brecht und Piscator gespielt hat und bestimmt kein Antisemit. Und '33, diese offene Situation, sagt: "Ich bleibe da, ich will erst mal schauen, was eigentlich in Deutschland weiter passiert." Und dann, nach und nach, verstrickt wird. Das, glaube ich, ist das Spannende an dem Film. Es geht um die Verantwortung des Künstlers in der Diktatur.

Bürger: Der Film, Sie haben das schon ein bisschen angedeutet, montiert historische Filmaufnahmen von Heinrich George mit Szenen, in denen jetzt Götz diese Theaterrollen nachspielt, und Spielfilmszenen, in denen er die Entwicklung seines Vaters ab 1933 dann verkörpert. Und der Schwerpunkt liegt dabei auf den Verhören der sowjetischen Offiziere im Lager Hohenschönhausen. Dazu kommen dann Zeitzeugeninterviews und auch die dokumentarische Begleitung der beiden Brüder Götz und Jan George. Und das alles ist relativ schnell geschnitten, das Dokumentarische und das Fiktionale im Wechsel. Ich habe mich gefragt, in welcher dieser Perspektiven, dieser vielen Perspektiven, die sich da aufwerfen, Götz George, sich am sichersten und auch am unsichersten gefühlt hat. Wie haben Sie ihn da erlebt?

Lang: Für ihn gibt es im Wesentlichen zwei Perspektiven. Einmal die Perspektive des Sohnes und dann des Schauspielers. Für ihn war die Perspektive neu, noch mal ins Haus zu gehen, in dem er groß wurde, und dann später auch zum Lager zu gehen. Ich gebe ein Beispiel für mein Verfahren. Ich bezeichne es lieber als offene Form wie als Doku-Drama, weil ich versuche, neue Wege zu zeichnen, aufzuzeigen. Am 6. Dezember '45 hat Götz George seinen Vater zum letzten Mal vor dem Lager Hohenschönhausen gesehen. Ich beginne mit der Spielszene dieses Films, also Götz spielt seinen Vater Heinrich und trifft sich in der historischen Wirklichkeit selber. Eine geschlossene Spielszene. Ich komme im Laufe des Films noch mal auf diese Situation zurück. Da zeige ich Dokumentaraufnahmen, in denen ich mit Götz direkt vor das Lager Hohenschönhausen gehe, und Götz sagt: "Ich kann überhaupt nichts damit anfangen. Das war ganz anders. Ich lebe aus zweiter Hand, ich könnte das alles sagen mit den wunderbaren Worten meiner Mutter, aber es stimmt nicht. Ich habe es nicht so erlebt." Und indem ich das zeige, glaube ich, dass es ein offener, ehrlicher Umgang mit dem Material ist, dass der Zuschauer jederzeit sieht, es ist eine bestimmte Perspektive, die hier gezeigt wird. Ich verstärke es sogar noch, indem ich eine Making-of-Szene zeige. Also ich versuche eine Rekonstruktion und gleichzeitig eine Dekonstruktion. Immer mit dem Ziel, dem Zuschauer zu sagen: "Hier wird etwas vorgeführt", und das Wesentliche dem Zuschauer, seinem Urteil überlasse.

Bürger: An der Dramaturgie zu seinem heutigen 75. Geburtstag hat der Schauspieler Götz George ein bisschen selbst mitgefeilt, denn rund um diesen Anlass kommt er mit seiner bislang vielschichtigsten und persönlichsten Rolle ins Fernsehen. Götz George spielt Heinrich George im Doku-Drama von Joachim Lang, der unser Gast ist hier im Deutschlandradio Kultur. Ich finde erstaunlich, dass Götz George in den wenigen Interviews, die er jetzt vor seinem 75. Geburtstag gegeben hat, immer betont, dass er diese Rolle möglichst neutral und unsentimental spielen wollte, wie jede andere Rolle auch. Geht das überhaupt?

Lang: Das ist sicher schwierig. Er hat mir gegenüber auch immer wieder das betont, dass er auch eine Distanz aufbauen muss, um an diese Rolle heranzugehen. Einmal, wie vorher schon gesagt, gibt es ja zwei Probleme, einmal diese Verantwortung, diese Verstrickung des Vaters ins Dritte Reich, aber auch das Schauspielerische, das für ihn eine wahnsinnig große Herausforderung war. Und er hat sich akribisch auf die Rolle vorbereitet. Er konnte ein halbes Jahr vorher den Text bis ins Detail. Und als wir dann gedreht haben, war es für ihn auch so eine Herausforderung, zu sagen: "Schaff ich das?" Und als wir dann im Februar den Rohschnitt gesehen haben zusammen, war er schon auch nervös, weil er selber sein strengster Kritiker ist, und dann sehr erleichtert, als wir, als er dann feststellen konnte, dass er, wie ich finde, es hervorragend geschafft hat.

Bürger: Sie sind sehr tief in die Familiengeschichte der Georges eingetaucht, haben als Regisseur aber zugleich eben auch diese Außenperspektive. Welche Bedeutung, würden Sie sagen, hatte und hat Heinrich George für den Lebens- und Karriereweg von Götz?

Lang: Eine immens große. Er hat den Vater kaum kennengelernt. Er war noch sehr jung, als er gestorben ist, und der Vater war in der Zeit auch wenig zu Hause. Und nach seinem Tod hat Götz das meiste erfahren, wie er sagt, aus zweiter Hand, aus Erzählungen der Mutter, von befreundeten Kollegen. Da war der Heinrich George immer das Idol. Da wurde sehr positiv über ihn geredet. Und dann hat er ihn natürlich in seinen Filmen kennengelernt. Er hat den gleichen Beruf und hat den Vater als Vorbild genommen.

Akribisch alles vorbereitet
Bürger: Er sagt am Schluss des Films: "Er war immer besser, er war besessener."

Lang: Das ist seine Meinung. Darüber kann man diskutieren, ob jetzt Heinrich oder Götz George, ich finde beide herausragende, die besten Schauspieler, gehören zu den besten Schauspielern. Aber er meint mit "besessener" auch dieses ausschweifende Leben, umgeben von Schriftstellern und Malern. Götz George lebt ja da weitaus zurückgezogener, introvertierter gegenüber seinem Vater. Aber beides, wie ich finde, ganz, ganz herausragende Schauspieler.

Bürger: Der "FAZ" hat Götz George gesagt, er nehme keine Komplimente an und auch keine Kritik - stimmt das? War er resistent?

Lang: Nein. Wir haben sehr intensiv zusammengearbeitet, haben es akribisch alles vorbereitet, aber am Set war er immer noch offen für neue Ideen. Und wichtig war das Zusammenspiel mit den anderen, wie ich finde, sehr guten Schauspielern. Ich hatte ja das Glück, mit den besten zu spielen, also mit Martin Wuttke, Burghart Klaußner, Thomas Thieme, Muriel Baumeister. Auch da immer wieder die Diskussion und immer wieder das Verbessern-Wollen, das Feilen-bis-zum-Schluss. Also er ist ein Perfektionist, und diese Zusammenarbeit mit ihm war intensiv und wunderbar.

Bürger: Aber man kennt ihn auch als Raubein. Sind Sie mit ihm nicht mal richtig aneinandergeraten?

Lang: Nein, ganz selten. Es gibt - er ist ja nicht ein Raubein um des Raubein-Seins willen oder schwierig um des Schwierig-Seins willen, sondern er ist einfach Perfektionist und ringt einfach um die Qualität. Und da finde ich das nicht schwierig, sondern das finde ich notwendig. Und natürlich haben wir bis in die Nacht gedreht und am Schluss kaum mehr geschlafen, weil die Arbeit sehr intensiv war, und bis zum Schluss am letzten Detail gefeilt, was man dem Film hoffentlich anmerkt.

Bürger: Götz George spielt im Fernseh-Doku-Drama von Joachim Lang seinen Vater Heinrich George. Morgen Abend ist der Film im Ersten zu sehen, um 21.45 Uhr. Herr Lang, herzlichen Dank fürs Gespräch!

Lang: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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