Den Mantel des Historischen lüften
Seit einigen Jahren gibt es eine Reihe von Neuübersetzungen diverser Klassiker, von Tolstois "Anna Karenina" bis hin zu Mark Twains "Tom Sawyer". Auf welche Schwierigkeiten die Übersetzer bei ihrer Arbeit treffen, wurde beim deutschen Übersetzertag unter dem Titel "Das Gleiche. Noch einmal. Anders" diskutiert.
"Wir leben in 'ner goldenen Zeit, glaube ich, was das angeht."
Wolfgang Hörner, früher Leiter von Eichborn Berlin, jetzt von Galiani, freut sich über die große Zahl der Klassikerneuübersetzungen, weil sich auch die Leser freuen, sie also kaufen. Die Kritiker freuen sich, mal wieder tote Autoren lesen zu dürfen, und die literarischen Übersetzer stehen natürlich nicht zurück und freuen sich auch - aber nicht nur, wie sich auf dem von Marie Luise Knott organisierten Übersetzertag im Literarischen Colloquium Berlin zeigte. Kein Wunder, sie sind es ja, denen die Arbeit bleibt. Diese Arbeit aber beginnt lange vor der Übertragung des ersten Wortes.
"Beim Erstübersetzen muss ich mir um die Vorlage in der Regel keine Gedanken machen; der Verlag liefert das Original, der Übersetzer legt los. Beim Neuübersetzen muss ich mich um die Philologie, genauer gesagt um die Textologie, kümmern. Von welcher Fassung gehe ich überhaupt aus?"
Rosemarie Tietze hat für ihre Neuübertragung von Tolstojs "Anna Karenina" eine neue, erstmals unzensierte Ausgabe benutzt. Ihre Vorgänger mussten sich auf lückenhafte Originale verlassen, legten aber auch nicht selten selbst Hand an: Sie kürzten, berichtigten, schönten nach Kräften und Zeitgeschmack. Mäntelchen hätten sie über die Fehler des Autor gedeckt, erzählte Susanne Lange von früheren Don-Quijote-Übersetzungen.
"Bertuch war weniger zimperlich, er hat kein Mäntelchen, sondern schon einen breiten Vorhang dazu benutzt, solche angeblichen Mängel zu verdecken. So lässt er Sancho nach dem Verlust seines Esels den Rest des ersten Teils einfach zu Fuß gehen."
Andererseits gibt es unübertrefflich erscheinende Lösungen der Vorgänger. Übernahmen aber gelten als Raub – nicht immer bei Autoren, jedoch bei Übersetzern, vielleicht, weil ihre Geschichte als eigenständige Schöpfer recht kurz ist. Gunhild Kübler geriet bei Gedichten von Emily Dickinson ausgerechnet an Paul Celan:
"Und da gibt es einen kurzen, kleinen Nachsatz in den drei Strophen, da heißt es: 'But what of that?' Und Celan hat übersetzt: 'Ja und?' Und mir war das auch eingefallen. Und dann hab ich gedacht: Ich kann es nicht nehmen. Und dann war in Oerlikon bei Zürich eine Schrift an der Wand und da stand irgendwie : Urs liebt Lisa. Und jemand hatte drunter geschrieben: Ja, und? Und ich dachte, jetzt kann ich's nehmen, mit dem Komma." (Lachen)
Ob das "ja, und?" auch schon zu Emily Dickinsons Zeiten im 19. Jahrhundert in Deutschland üblich war, ob also die historische Sprachschicht gewahrt bleibt, das schlagen Übersetzer heute in allerlei online zugänglichen Wörterbüchern der Zeit nach. Andrea Ott hat für ihre Übersetzung von "Northanger Abbey" zudem Werke der Empfindsamkeit studiert, über die sich Jane Austen, wie sie herausfand, lustig macht.
"'Freilich!, rief die Jungfer, Verwegener, und wie kömmt's du hierher. Doch verlangte sie sogleich schmachtend zu wissen, ob der Jüngling ihr gewogen. Und kaum hatte der Unbesonnene das Pistol von sich geschleudert, umfasste er stracks die erblassende Maid, hob die Augen gen Himmel und hauchte, indem er ihren Busen mit Tränen benetzte: Süßeste Mathilde!' Klar, so dick darf es nicht werden!"
Ein wenig dickte Andrea Ott jedoch schon an, um die von ihr hervorgehobene satirische Ader Jane Austens leuchten zu lassen. Und Susanne Lange hat gar Sprichwörter für ihren "Don Quijote" erfunden. Denn dies ist neben der Philologie und der Textvollständigkeit unabdingbar für Klassikerneuübertragungen: neue Aspekte des Originals zutage zu fördern. Übersetzen ist Interpretieren, und die Übersetzer der Gegenwart sind, was auch sonst, Kinder der Gegenwart: Sie lieben den Humor und kitzeln ihn heraus bei Jane Austen, Cervantes und Tolstoi.
"Wenn die Übertragung gelungen ist, kann man im übersetzten Text auch an Stellen lachen, an denen die Muttersprachler inzwischen Fußnoten brauchen, um sie als Witz zu verstehen, und die Frage ist, wie herzhaft man nach der Lektüre einer Fußnote noch lachen kann."
Nicht nur Susanne Lange, Verfasserin eines Texttypus, der vielen noch immer als Krücke für sprachunkundige Leser gilt, zeigte auf dem Übersetzertag ein beachtliches Selbstbewusstsein. Unübersehbar war aber auch: Noch ist das Theoriefundament schmal, das "Sprachgefühl" muss allerorten aushelfen. Gunhild Kübler wusste ihr Ideal allerdings auf berückende Weise mit einer Wendung von Emily Dickinson auszudrücken:
"Mir kam es darauf an, einen Witz, eine Leichtigkeit reinzubringen, also die Eleganz beizubehalten. Keine Holperer. Ernsthafte Silbenzählung. Es war immer eine unglaublich schwierige Geschichte, das durchzuhalten, dass es so leicht geht wie Finger durchs Gras."
Wolfgang Hörner, früher Leiter von Eichborn Berlin, jetzt von Galiani, freut sich über die große Zahl der Klassikerneuübersetzungen, weil sich auch die Leser freuen, sie also kaufen. Die Kritiker freuen sich, mal wieder tote Autoren lesen zu dürfen, und die literarischen Übersetzer stehen natürlich nicht zurück und freuen sich auch - aber nicht nur, wie sich auf dem von Marie Luise Knott organisierten Übersetzertag im Literarischen Colloquium Berlin zeigte. Kein Wunder, sie sind es ja, denen die Arbeit bleibt. Diese Arbeit aber beginnt lange vor der Übertragung des ersten Wortes.
"Beim Erstübersetzen muss ich mir um die Vorlage in der Regel keine Gedanken machen; der Verlag liefert das Original, der Übersetzer legt los. Beim Neuübersetzen muss ich mich um die Philologie, genauer gesagt um die Textologie, kümmern. Von welcher Fassung gehe ich überhaupt aus?"
Rosemarie Tietze hat für ihre Neuübertragung von Tolstojs "Anna Karenina" eine neue, erstmals unzensierte Ausgabe benutzt. Ihre Vorgänger mussten sich auf lückenhafte Originale verlassen, legten aber auch nicht selten selbst Hand an: Sie kürzten, berichtigten, schönten nach Kräften und Zeitgeschmack. Mäntelchen hätten sie über die Fehler des Autor gedeckt, erzählte Susanne Lange von früheren Don-Quijote-Übersetzungen.
"Bertuch war weniger zimperlich, er hat kein Mäntelchen, sondern schon einen breiten Vorhang dazu benutzt, solche angeblichen Mängel zu verdecken. So lässt er Sancho nach dem Verlust seines Esels den Rest des ersten Teils einfach zu Fuß gehen."
Andererseits gibt es unübertrefflich erscheinende Lösungen der Vorgänger. Übernahmen aber gelten als Raub – nicht immer bei Autoren, jedoch bei Übersetzern, vielleicht, weil ihre Geschichte als eigenständige Schöpfer recht kurz ist. Gunhild Kübler geriet bei Gedichten von Emily Dickinson ausgerechnet an Paul Celan:
"Und da gibt es einen kurzen, kleinen Nachsatz in den drei Strophen, da heißt es: 'But what of that?' Und Celan hat übersetzt: 'Ja und?' Und mir war das auch eingefallen. Und dann hab ich gedacht: Ich kann es nicht nehmen. Und dann war in Oerlikon bei Zürich eine Schrift an der Wand und da stand irgendwie : Urs liebt Lisa. Und jemand hatte drunter geschrieben: Ja, und? Und ich dachte, jetzt kann ich's nehmen, mit dem Komma." (Lachen)
Ob das "ja, und?" auch schon zu Emily Dickinsons Zeiten im 19. Jahrhundert in Deutschland üblich war, ob also die historische Sprachschicht gewahrt bleibt, das schlagen Übersetzer heute in allerlei online zugänglichen Wörterbüchern der Zeit nach. Andrea Ott hat für ihre Übersetzung von "Northanger Abbey" zudem Werke der Empfindsamkeit studiert, über die sich Jane Austen, wie sie herausfand, lustig macht.
"'Freilich!, rief die Jungfer, Verwegener, und wie kömmt's du hierher. Doch verlangte sie sogleich schmachtend zu wissen, ob der Jüngling ihr gewogen. Und kaum hatte der Unbesonnene das Pistol von sich geschleudert, umfasste er stracks die erblassende Maid, hob die Augen gen Himmel und hauchte, indem er ihren Busen mit Tränen benetzte: Süßeste Mathilde!' Klar, so dick darf es nicht werden!"
Ein wenig dickte Andrea Ott jedoch schon an, um die von ihr hervorgehobene satirische Ader Jane Austens leuchten zu lassen. Und Susanne Lange hat gar Sprichwörter für ihren "Don Quijote" erfunden. Denn dies ist neben der Philologie und der Textvollständigkeit unabdingbar für Klassikerneuübertragungen: neue Aspekte des Originals zutage zu fördern. Übersetzen ist Interpretieren, und die Übersetzer der Gegenwart sind, was auch sonst, Kinder der Gegenwart: Sie lieben den Humor und kitzeln ihn heraus bei Jane Austen, Cervantes und Tolstoi.
"Wenn die Übertragung gelungen ist, kann man im übersetzten Text auch an Stellen lachen, an denen die Muttersprachler inzwischen Fußnoten brauchen, um sie als Witz zu verstehen, und die Frage ist, wie herzhaft man nach der Lektüre einer Fußnote noch lachen kann."
Nicht nur Susanne Lange, Verfasserin eines Texttypus, der vielen noch immer als Krücke für sprachunkundige Leser gilt, zeigte auf dem Übersetzertag ein beachtliches Selbstbewusstsein. Unübersehbar war aber auch: Noch ist das Theoriefundament schmal, das "Sprachgefühl" muss allerorten aushelfen. Gunhild Kübler wusste ihr Ideal allerdings auf berückende Weise mit einer Wendung von Emily Dickinson auszudrücken:
"Mir kam es darauf an, einen Witz, eine Leichtigkeit reinzubringen, also die Eleganz beizubehalten. Keine Holperer. Ernsthafte Silbenzählung. Es war immer eine unglaublich schwierige Geschichte, das durchzuhalten, dass es so leicht geht wie Finger durchs Gras."