Den Kopf aus der Schlinge ziehen
Wer die Kunst der Ausrede beherrscht, ist zunächst ein guter Erzähler - ob er auch ein Lügner ist, muss erst herausgefunden werden. Der Literaturwissenschaftler Fritz Breithaupt korrigiert in einem sehr anschaulichen Buch das Vorurteil gegenüber der Ausrede.
Wenn die Ausrede als faule Ausrede daherkommt, dann haftet dieser Form der Entschuldigung etwas Anrüchiges an. Allerdings korrigiert Fritz Breithaupt – er lehrt Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaften an der Indiana University in Bloomington – in seinem Buch "Kultur der Ausrede" das damit verbundene Vorurteil gegenüber der Ausrede. Er sieht in der Ausrede eine "kulturschaffende Leistung". Eltern und Lehrer werden angesichts dieser Aufwertung der Ausrede ebenso hellhörig werden wie Juristen.
Wer sich um eine Ausrede bemüht, versucht, durch eine Erzählung eine ihm vorgeworfene Tat zu relativieren. Von Kultur kann deshalb gesprochen werden, da der Kläger nicht gleich sein strafendes Urteil fällt, sondern er räumt dem Angeklagten die Möglichkeit ein, sich zu erklären. Wer eine Ausrede formulieren darf, dem wird die Chance gegeben, Gründe darzulegen.
Am Anfang dieses über weite Strecken sehr anschaulich argumentierenden Buches steht die Ausrede Adams. Er leugnet nicht, dass er den Apfel vom Baum der Erkenntnis gegessen hat: Ja, ich habe es getan. Aber er gibt Gott gegenüber zu bedenken, dass es Eva gewesen sei, die ihn dazu überredet habe. Über die Ausrede, so Breithaupt, versucht er, seinen "Kopf aus der Schlinge zu ziehen". Es ist nun Aufgabe des Richters zu entscheiden, ob und wie er die Ausrede berücksichtigt.
Diese Form der Rede unterscheidet Breithaupt von der zur Lüge neigenden Ausrede. Dazu dient ihm ein anderes Beispiel: "Mama, ich habe gerade nicht mit meinem Freund geschlafen. Wir haben im Bett nur Tierstimmen nachgemacht." Während Adam zugibt, was er getan hat, redet sich die beschuldigte Tochter heraus, indem sie sagt: "Es war anders." Will die Mutter gerecht sein, erlaubt sie ihrer Tochter, sich zu erklären, bevor sie straft. Dass beide im Bett liegen, legt einen bestimmten Schluss zwar nahe, aber sie beweist sie noch nicht. Und auch Adam macht es dem Herrn mit seiner Ausrede nicht leicht, denn Eva ist wie er ein Geschöpf Gottes.
Zur Ausrede gehört ein Kontext. Denn mit der Anerkennung der Ausrede erfährt das Schema: "Du bist schuld, weil du x getan hast" eine Erweiterung. Mit der Ausrede kommt man auf den Grund für "x" zu sprechen. Das wird in der Rechtsprechung dann bedeutend, wenn ein Angeklagter eine Tötung gesteht, aber zugleich behauptet, er habe nur aus Notwehr gehandelt. Indem er die Umstände darstellt, verweist er auf die Zusammenhänge, in dem die Tat nach seiner Meinung gesehen werden muss. In diesem Fall spricht man nicht von einer Ausrede, sondern von einer Rechtfertigung.
Dass Breithaupt auch diese Grenzbereiche der Rede streift, gehört zu den Vorzügen dieses Buches. Dazu zählt auch die Einleitung, die dem Leser nahelegt, welche Kapitel unbedingt gelesen werden sollten, wenn die Zeit nicht für das ganze Buch reicht. Rezensenten wissen solche Ausredeangebote zu schätzen, auch wenn sich beim Überspringen einzelner Kapitel das schlechte Gewissen meldet. Auch was es mit der Gewissenspein auf sich hat, erfahren wir auch aus diesem äußerst erhellenden Buch.
Besprochen von Michael Opitz
Fritz Breithaupt: Kultur der Ausrede
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
235 Seiten, 12,00 Euro
Wer sich um eine Ausrede bemüht, versucht, durch eine Erzählung eine ihm vorgeworfene Tat zu relativieren. Von Kultur kann deshalb gesprochen werden, da der Kläger nicht gleich sein strafendes Urteil fällt, sondern er räumt dem Angeklagten die Möglichkeit ein, sich zu erklären. Wer eine Ausrede formulieren darf, dem wird die Chance gegeben, Gründe darzulegen.
Am Anfang dieses über weite Strecken sehr anschaulich argumentierenden Buches steht die Ausrede Adams. Er leugnet nicht, dass er den Apfel vom Baum der Erkenntnis gegessen hat: Ja, ich habe es getan. Aber er gibt Gott gegenüber zu bedenken, dass es Eva gewesen sei, die ihn dazu überredet habe. Über die Ausrede, so Breithaupt, versucht er, seinen "Kopf aus der Schlinge zu ziehen". Es ist nun Aufgabe des Richters zu entscheiden, ob und wie er die Ausrede berücksichtigt.
Diese Form der Rede unterscheidet Breithaupt von der zur Lüge neigenden Ausrede. Dazu dient ihm ein anderes Beispiel: "Mama, ich habe gerade nicht mit meinem Freund geschlafen. Wir haben im Bett nur Tierstimmen nachgemacht." Während Adam zugibt, was er getan hat, redet sich die beschuldigte Tochter heraus, indem sie sagt: "Es war anders." Will die Mutter gerecht sein, erlaubt sie ihrer Tochter, sich zu erklären, bevor sie straft. Dass beide im Bett liegen, legt einen bestimmten Schluss zwar nahe, aber sie beweist sie noch nicht. Und auch Adam macht es dem Herrn mit seiner Ausrede nicht leicht, denn Eva ist wie er ein Geschöpf Gottes.
Zur Ausrede gehört ein Kontext. Denn mit der Anerkennung der Ausrede erfährt das Schema: "Du bist schuld, weil du x getan hast" eine Erweiterung. Mit der Ausrede kommt man auf den Grund für "x" zu sprechen. Das wird in der Rechtsprechung dann bedeutend, wenn ein Angeklagter eine Tötung gesteht, aber zugleich behauptet, er habe nur aus Notwehr gehandelt. Indem er die Umstände darstellt, verweist er auf die Zusammenhänge, in dem die Tat nach seiner Meinung gesehen werden muss. In diesem Fall spricht man nicht von einer Ausrede, sondern von einer Rechtfertigung.
Dass Breithaupt auch diese Grenzbereiche der Rede streift, gehört zu den Vorzügen dieses Buches. Dazu zählt auch die Einleitung, die dem Leser nahelegt, welche Kapitel unbedingt gelesen werden sollten, wenn die Zeit nicht für das ganze Buch reicht. Rezensenten wissen solche Ausredeangebote zu schätzen, auch wenn sich beim Überspringen einzelner Kapitel das schlechte Gewissen meldet. Auch was es mit der Gewissenspein auf sich hat, erfahren wir auch aus diesem äußerst erhellenden Buch.
Besprochen von Michael Opitz
Fritz Breithaupt: Kultur der Ausrede
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
235 Seiten, 12,00 Euro