Den Kampf der Künstler gegen alle Formen der Diktatur

Von Kathrin Hondl · 14.06.2011
Mit Aufständen gegen Tyrannen hat uns die Welt in jüngster Zeit in Atem gehalten. Zum Thema passt eine Ausstellung im bretonischen Dinard, die zeigt, wie Künstler sich in und gegen Diktatoren stellen. Sie umfasst unter anderem Arbeiten von Maurizio Cattelan, Mircea Cantor und Shirin Neshat.
An der Promenade von Dinard flattern an hohen Masten die Flaggen verschiedener Länder. Doch die bekannten politischen Symbole strahlen nicht wie gewohnt in den jeweiligen Nationalfarben, sondern in uniformen Grautönen.

"Apolitico" hat der aus Kuba stammende Künstler Wilfredo Prieto diese Installation genannt. Die durch Farbentzug entpolitisierten Flaggen taugen also nicht mehr als Nationalsymbole. Als emblematischer Auftakt zur Ausstellung im Kunstpalast von Dinard allerdings sind sie perfekt. Denn auch wenn der Ausstellungstitel auf ein explizit politisches Thema verweist - Künstler in Konfrontation mit Tyrannen - ist es keine Ausstellung mit explizit politischer Kunst.

"Art is any human activity, that contains an idea other than its utalitarian purpose ..."

"Kunst ist", so referiert der Künstler Braco Dimitrijevic, "Kunst ist jede menschliche Aktivität, die nicht allein nützlich ist, sondern darüberhinaus eine Idee beinhaltet." In einem zweiminütigen Video führt er aus, warum Kunst so wichtig für die Gesellschaft ist. Doch der referierende Künstler kann sich auf dem Bildschirm nicht wirklich behaupten: Denn nach und nach werden immer mehr farbige Laufbänder mit Börseninformationen eingeblendet, wie wir sie von Infokanälen im Fernsehen kennen. Der Markt übertüncht und erdrückt hier den Künstler.

Die Tyrannei des Kunstmarktes und seiner Vertreter scheint auch das Thema einer Arbeit von Maurizio Cattelan zu sein: "A perfect day", ein perfekter Tag - so hat er die großformatige Fotografie genannt. Zu sehen ist Cattelans Galerist Massimo de Carlo, der mit Unmengen von breiten Klebestreifen an der Wand fixiert und also zur Immobilität verdammt wurde.

Auf politischen Totalitarismus jenseits des Kunstbetriebs verweist dagegen eine andere, wenig bekannte Arbeit von Maurizio Cattelan: eine knapp vierzig Zentimeter hohe schwarze Plastik in der Form eines derben Stiefels. Der Stiefel, der sowohl an die geografische Form Italiens als auch an die Militärstiefel der Faschisten erinnert, steht im wahrsten Wortsinn auf dem Kopf: Die Sohle zeigt nach oben, der Stiefelschaft hat die vagen Züge eines menschlichen Gesichts und wirkt wie das schwarze Phantom eines Mussolini oder möglicherweise auch Berlusconi.

Konkreter noch setzt der in Frankreich lebende chinesische Maler Yan Pei-Ming "seinen" Tyrannen ins Bild. Ein großformatiges grau-schwarzes Ölgemälde zeigt Mao in einem gläsernen Sarg. "Ich brauche das Bild Maos", sagt Yan Pei-Ming ironisch, und weiter: "Wenn ich nicht mehr weiss, wo ich stehe, male ich Mao."

Werke iranischer Exil-Künstler wiederum beschäftigen sich mit der blutigen Niederschlagung der Proteste nach den letzten Präsidentschaftswahlen im Iran 2009. Auf ganz aktuelle künstlerische Beiträge zu den Revolten und Unruhen in der arabischen Welt aber verzichtet die seit drei Jahren geplante Ausstellung in Dinard, und zwar bewusst, wie Kurator Ashok Adicéam betont:

"Weil Kunst Distanz braucht, um wirkungsvoll zu sein. Wenn ein Kunstwerk zu brandaktuellen Ereignissen produziert wird, ist das sehr gut. Aber wenn man es dann sofort in den öffentlichen kulturellen Raum trägt, dann ist dieses Werk zu sehr mit der politischen Aktualität verbunden, es kann falsch interpretiert werden und läuft vor allem Gefahr, rasch wieder vergessen zu werden. Kultur braucht ein bisschen Zeit, Reflektion und kritische Distanz."

Eine aktuelle Arbeit aus dem Arabischen Frühling hätte Ashok Adicéam allerdings doch gerne in seiner Ausstellung gehabt, erzählt er, und zwar eine Fotografie der libanesisch-ägyptischen Künstlerin Lara Baladi.

"Sie war in Ägypten während der Revolte und hat dort Bilder gemacht, die ich sehr schön fand. Also habe ich sie gefragt, ob ich eines der Fotos in der Ausstellung zeigen darf. Sie hat das abgelehnt. Und ihre Begründung hat mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass die Kunst Abstand von der Aktualität braucht. Sie sagte mir nämlich, dass dieses Foto von der ägyptischen Revolte noch kein Kunstwerk sei, weil die Geschichte in Ägypten noch nicht vollendet sei und sie nicht wisse, in welche Richtung sich die Revolution entwickeln würde. Lara Baladi wollte vermeiden, dass ihre Fotografie manipuliert wird - durch den unvorhersehbaren Verlauf der Ereignisse."

Dass aktuelle künstlerische Auseinandersetzungen mit den Tyrannen der arabischen Welt fehlen, mag manche Ausstellungsbesucher enttäuschen. Es spricht aber für die Ernsthaftigkeit dieses Ausstellungsprojekts, dass Kunst hier nicht einfach als sensationelle Illustration oder als Kommentar zu einer politischen Aktualität begriffen wird.