Den Einzelnen im Blick

Von Constanze Fischer |
Der allgemeine Unmut über die deutsche Bildungsmisere ist hinlänglich bekannt.
Da werden zu große Schulklassen, überlastete Lehrer, gewaltbereite Schüler und fehlende individuelle Förderung beklagt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es immer mehr private Bildungsinitiativen gibt - wie beispielsweise auch die Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Schule in Wetzlar.

Ein Kunstunterricht, wie er wohl an jeder deutschen Grundschule stattfindet. Doch die Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen Schule in Wetzlar ist eine besondere Schule, denn hier werden insgesamt nur 14 Kinder unterrichtet, in einem Klassenraum, jahrgangsübergreifend, von nur einer Lehrerin. Die Raiffeisen-Schule in Wetzlar ist eine Kleinschule. Der siebenjährige Jan weiß sehr genau, was ihm daran besonders gefällt.

Jan: "”Dass die Lehrerin dann mehr auf einen Acht gibt und dass sie dann auch im Unterricht helfen kann. Dass Herr Pflüger gut aufpasst, dass jeder sich hier wohl fühlt.""

Georg Pflüger ist Leiter der Raiffeisen-Schule. Im August 2007 hat der Protestant die Modellschule mit nur sechs Schülern ins Leben gerufen. Georg Pflüger will den Schülern und Eltern "kindgerechte Werteorientierung auf christlicher Basis" bieten.

Georg Pflüger, Schuldirektor: "Jedes Kind ist anders, jede Situation ist auch anders. Es ist einfach wichtig, dass die Kinder als Einzelpersönlichkeit wahrgenommen werden. Das Kind entwickelt ja in sich so einen Wertekompass erst dann, wenn es eine Umwelt erfährt, Feedbacks bekommt, die es darin schult."

Corinna Kunstmann, Mutter: "Mir fällt da ein, dass die Bibel erstmal schon die Grundlage ist, soweit es eben geht auch im Unterricht und dann sind das natürlich Werte wie Disziplin, ja dass Nächstenliebe gefördert wird, Geduld, dass ein gutes Miteinander unter den Kindern gefördert wird, ja im Idealfall wär’s so wie Jesus es vorgelebt hat, dass das hier auch praktiziert wird."

Auch und gerade die Schule, meint Corinna Kunstmann, solle ihrem Sohn Elnathan christliche Werte mit auf den Weg geben. Das Thema Wertevermittlung beschäftigt auch die bisher einzige Klassenlehrerin der Raiffeisen-Schule, Christiane Röger. Den entscheidenden Unterschied der Kleinschule im Vergleich zu anderen christlichen Schulen sieht sie jedoch weniger darin, welche Werte vermittelt werden, als vielmehr wie sie vermittelt werden.

Röger: "Wir haben es von den Ritualen in dem Tagesablauf stärker drin. Dass wir beim Mittagessen anfangen mit einem Gebet zum Beispiel. Wir haben einfach mehr Zeiten zusammen, leben stärker zusammen, versuchen das Ganze eben zu ritualisieren und rhythmisieren."

An der Raiffeisen-Schule werden pro Jahrgang nur fünf bis sieben Schüler aufgenommen - die Atmosphäre im Klassenraum ist dementsprechend familiär.
Nicht selten unterstützen die älteren Schüler ihre Lehrerin, indem sie - mit einem "Helferschild" ausgestattet - den jüngeren Kindern bei der Lösung ihrer Aufgaben zur Seite stehen. Und auch die Eltern werden aktiv in den Schulalltag ihrer Kinder eingebunden. Zweimal im Jahr finden an der Kleinschule Elternfortbildungen statt. Dabei reflektieren die Erziehungsberechtigten ihre eigenen pädagogischen Maßnahmen.

Claudia Droß, Mutter: "”Mein Kind ist ein Kind, das etwas Entwicklungsverzögerungen hat und das Tolle an dieser Schule ist: Die Kommunikation zwischen Eltern Schulleitung und Lehrern ist so offen und da kam mir halt die Idee fragen wir mal ob ich mich einfach dazu setzen kann und das wurde dann auch angenommen und das ist dieses Privileg finde ich, was halt nicht in anderen Schulen möglich ist.""

Claudia Droß, Mutter des siebenjährigen Adrian, ist dankbar für eine solche unkomplizierte Regelung. Die individuelle Förderung aller Schüler ist zurzeit wohl das Schlagwort der deutschen Bildungspolitik. Und auch die Vermittlung traditioneller Werte steht momentan hoch im Kurs. Für Schulleiter Georg Pflüger, selbst Vater von vier Kindern, ist das Gesamtkonzept einer Kleinschule der konsequente Versuch, diese Ziele auch wirklich in die Tat umzusetzen. Bei einer Gesamtschülerzahl von nur 14 eröffnen sich seiner Meinung nach ganz andere Möglichkeiten der individuellen Förderung und Erziehung.

Pflüger: "Wir hatten zum Beispiel kürzlich einen Konflikt mit einem Jungen, der sehr stark die Gruppe majorisiert hat. Das war schon so auffällig, dass also Kinder dann mit Angst auf ihn reagiert haben und da arbeiten wir dann zum Beispiel mit einer Geschichte.

Meine Frau hat dann eine Geschichte geschrieben und einfach vorgelesen und dadurch ist bei dem Kind selber und auch in der Gruppe ein echter Bewusstseinsprozess in Gang gekommen, wo der erstmal gemerkt hat was er hier eigentlich macht und wo auch die anderen Kinder mal in der Lage waren zu entscheiden: Will ich das eigentlich akzeptieren oder nicht."

Eine so individualisierte schulische Erziehung hat auch ihren Preis. 215 Euro zahlen die Eltern pro Monat, damit ihr Kind in den Genuss dieser werteorientierten Schulausbildung kommt. Als besonderen Luxus empfinden das Christiane Röger und Georg Pflüger.

Röger: "Natürlich haben wir da Luxus, wir haben da natürlich mehr Möglichkeiten wie im staatlichen Bereich und können die da auch entsprechend nutzen."

Pflüger: "Meines Erachtens wäre es sehr schön wenn wir den Kindern den Luxus gönnen würden individualisiert und werteorientiert unterrichtet zu werden."

Während die finanziellen Möglichkeiten eine Barriere darstellen können, spielt die Religionszugehörigkeit der Schüler an der Raiffeisen-Schule keine Rolle. Noch ist die Modellschule in der Erprobungsphase. Die ersten Erfahrungen stimmen Schulleiter Georg Pflüger aber schon zuversichtlich und lassen ihn nach einem Jahr eine positive Bilanz ziehen.

Pflüger: "Ich freu’ mich, dass wir jetzt hier ein Institut haben, was finanziell unabhängig dasteht, das sich selber in der pädagogischen Landschaft positionieren kann als eine von Christen getragene Organisation, aber die, wie ich schon sagte, eben für alle offen ist und allen dienen kann und wo wir einfach im Kleinen, aber real Brötchen aus dem Ofen ziehen, die, glaub ich, vielen schmecken werden."