Den Aufruf zum Ungehorsam erneuert

Von Stefan May |
In Linz trafen sich Mitglieder der katholischen Pfarrerinitiative, um ihren Aufruf zum Ungehorsam vom vergangenen Jahr zu bekräftigen. Dieser lässt bei den Kirchenoberen die Alarmglocken schrillen. Selbst der Papst ging in einer Predigt warnend auf die Initiative ein. An der Spitze steht ein Pfarrer aus Niederösterreich. Helmut Schüller war zuvor Direktor der österreichischen Caritas und Generalvikar der Erzdiözese Wien.
Die Glocken der Pfarrkirche von Probstdorf im Marchfeld, ein paar Kilometer von der österreichischen Hauptstadt Wien entfernt, laden zum Sonntagsgottesdienst. In der 700-Seelen-Gemeinde ist der 60-jährige Helmut Schüller Pfarrer, Vorsitzender des Vereins Pfarrerinitiative. Unübersehbar, denn schon am Ortseingang prangt neben der Straße ein Transparent, das nicht wie anderswo zu einem Zeltfest oder einem Discoabend einlädt, sondern Schüller Unterstützung seiner Initiative durch das örtliche Kirchenvolk zusagt.

2005 ist die Pfarrerinitiative gegründet worden, nachdem sich mehrere Amtsbrüder mit ihrer Sorge um den Erhalt der Seelsorge in ihren Gemeinden an den Probstdorfer Pfarrer gewandt hatten, sagt Helmut Schüller:

" ''Es hat sich ja durch das Zweite Vatikanum Gott sei Dank ein Kirchenbild entwickelt, in dem die Getauften selbst auch mittragen, mit Verantwortung haben, mitgestalten, mit ihrem Sach- und Weltverstand sehr viel bringen in die Gemeinden und in die Kirche. Und unsere große Sorge ist, dass die Pläne der Bischöfe und der Kirchenleitung in die andere Richtung laufen, nämlich alles zu zentralisieren und letztlich Seelsorge zu einer zentralen Dienstleistung zu machen, zu der die Menschen halt mit ihren Autos anreisen, als Einzelne. Aber das, was Kirche am Ort leben lässt, dann eigentlich sich langsam verdünnt." "

Die Erzdiözese Wien will sich reformieren. Die Pfarrerinitiative befürchtet aber, bei dieser Reform entstünden Großpfarreien mit Zentralpfarrern. Der Generalvikar der Erzdiözese Wien, der 52-jährige Nikolaus Krasa, verweist darauf, dass alle Veränderungen im Diskussionsprozess stattfänden:

"Es sitzen Vertreter der Pfarrerinitiative, Helmut Schüller zum Beispiel, natürlich im Priesterrat. Es ist ein ständiges Hin und Her, ich denke, wie es sein sollte, zwischen einem Hören in der Diözesanleitung, einem Vorgeben von Themen, Thesen, einem Wiedereinholen von Rückmeldungen und einem Entscheiden aufgrund dieser Rückmeldungen."

Dass über alles geredet werde, ist der Pfarrerinitiative zu wenig, entgegnet Schüller: dass zuletzt immer von oben entschieden werde, der Einfluss des Kirchenvolkes dabei minimal sei, empfinde er als unserer Zeit nicht angemessen. Und so wurde bei der Vollversammlung der Pfarrerinitiative am vorigen Sonntag in Linz der vor einem Jahr formulierte "Aufruf zum Ungehorsam", bestärkt, ein Wort, das bei den Kirchenoberen seither die Alarmglocken schrillen lässt. Selbst der Papst ging in diesem Jahr in einer Predigt warnend auf die Initiative ein.

Längst geht es ihr nicht mehr nur um die Pfarrstrukturen, sie kündigt in ihrem Aufruf Laienpredigt in Eucharistiefeiern an, setzt sich für Wiederverheiratete, Geschiedene, Frauen als Priester und mehr Ökumene ein. Helmut Schüller spricht von bis zu 80 Prozent der Pfarrer, die schon jetzt notgedrungen seelsorgliche Schritte setzen würden, die vom Kirchenrecht nicht erlaubt seien, und das lediglich, um ihre Gemeinde weiter in Schuss zu halten:

"Aber der zweite sehr viel ernstere Gedanke noch ist, dass wir die Sorge haben, dass unser Gehorsam missbraucht wird, nämlich dazu, die Erwartungen des Kirchenvolkes, auch die legitimen Kirchenreformerwartungen, niederzuhalten, und zwar von oben her. Gehorsam hat mit Gewissen zu tun, Gehorsam legt auch denen, die ihn fordern, eine Pflicht auf, nämlich für das offen zu sein, was ihnen gesagt wird und was ihnen begegnet. Gehorsam ist keine Einbahnstraße."

Die Pfarrerinitiative in Österreich wächst stetig und hat derzeit rund 430 katholische Priester und Diakone, das sind rund 10 Prozent des österreichischen Klerus, als Mitglieder. Nach dem Vorbild der Pfarrerinitiative haben sich ähnliche Vereinigungen in anderen Ländern, von Irland bis in die USA, von Deutschland bis selbst nach Afrika und Asien gebildet. Kein Wunder, dass Bischöfe und Vatikan zunehmend nervös werden, was diesen erstmalig organisiert geäußerten Unmut der Priester betrifft. Wiens Generalvikar Krasa geht auf Distanz zu den Forderungen der Pfarrerinitiative:

"Bei vielen dieser Fragen müsste man sehr viel differenzierter hinschauen, bräuchte es eine sehr viel differenzierte Argumentation, die ich ein bisschen vermisse. Ich habe den Eindruck, dass es manchmal darum geht, mit marktschreierischen Themen Aufmerksamkeit zu gewinnen."

Von der Gefahr einer Spaltung der katholischen Kirche spricht Krasa nicht, und auch die Pfarrerinitiative empfinde sich selbstverständlich als Teil der katholischen Kirche, sagt Schüller:

"Ich habe die Sorge, dass sich die Kirchenleitung abspaltet vom Kirchenvolk. Das ist mein Eindruck. Also eine andere Situation als früher: Nicht einige wenige spalten sich ab, sondern die Kirchenleitung selber nimmt die Dinge offensichtlich anders wahr und will auch vieles nicht ernst nehmen. Und eine stille Auseinanderentwicklung ist natürlich auch schlimm, weil sie oft gar nicht rechtzeitig erkannt wird."

Damit hat Schüller die Unterstützung vieler im Kirchenvolk. Jene die am vorigen Sonntag kurz vor neun zur Messe in der Dorfkirche im Zentrum von Probstdorf eilen und zu einer Stellungnahme bereit sind, äußern sich eindeutig:

"Ich halt´s in jedem Fall für gut, nur ich glaube leider nicht, dass es zu einem großen Erfolg kommt."

"Man kann nicht immer nur von oben diktieren und unten alles befolgen, das ist auch veraltet."

"Ich bin als Pfarrgemeinderat neu gewählt worden in der jetzigen Legislaturperiode, und ich habe mich genau deswegen aufstellen lassen, um hier ein lebendiges Zeichen von lebender Kirche zu zeigen und dass eben das nicht so ist, das Verständnis, wie die Amtskirche das möchte."

"Ich bin einverstanden, eigentlich. Sicher, man muss mit der Zeit gehen."

"Ich unterstütz´ die sehr. Endlich was Richtiges, was einmal passiert."

"Ich bin sehr positiv eingestellt gegenüber, weil es Reformen bringt in der Kirche und weil es menschlicher ist."

"Früher hat man gesagt, was einer zu Fuß in einer Stunde gehen kann, gehört zu einer Pfarre, und jetzt hat mir ein Pfarrer gesagt, was ich in einer Stunde mit dem Auto fahre – aber in einer Stunde bin ich in Wiener Neustadt."

In Probstdorf funktioniert das Gemeindeleben augenfällig noch: Sonntags um 9 Uhr ist die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt: alt und jung, ein Spiegel der Gesellschaft, versammelt beim gemeinsamen Gottesdienst.