Demokratiepädagogik

Warnung vor der "Hyperindividualisierung"

Kinder tanzen während einer Musikstunde durch eine Kindertagesstätte.
Grundlagen für das Miteinander: Kinder tanzen während einer Musikstunde durch eine Kindertagesstätte. © dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
Hajo Schumacher im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 21.08.2018
Vor einer Hyperindividualisierung in der Erziehung hat unser Studiogast, der Journalist Hajo Schumacher, gewarnt. Eine Demokratiepädagogik müsse auch Gemeinsamkeiten und das Leben in der Gemeinschaft ausreichend berücksichtigen.
Im Hambacher Schloss widmen sich heute Erziehungswissenschaftler bei einem Fachforum der Frage, wie Kinder schon ab der Kita demokratisch handeln lernen. Pädagogik-Professor Armin Schneider leitet am "Institut für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit" an der Koblenzer Hochschule ein Projekt, das Erzieher frühzeitig für diesen Auftrag sensibilisieren soll.
"Das heißt nicht, dass wir jetzt mit den Zweijährigen im Stuhlkreis sitzen und abstimmen und irgendwelche Plädoyers halten", sagte Schneider heute früh im Deutschlandfunk Kultur. Es gehe eher darum, die Kinder teilhaben zu lassen und auf ihre Bedürfnisse zu achten. Kritik übte Schneider an manchen Eltern, die ihre Kinder in der Kita abgeben und sagen: "'Passen Sie bloß auf, dass das Kind heute Mittag nicht zu lange schläft, sonst habe ich heute Abend den Zirkus beim zu Bett gehen." Damit würden die Bedürfnisse von Kindern missachtet, sagte Schneider.
Portrait von Hajo Schumacher vor dem Mikrofon im Studio.
Der Journalist Hajo Schumacher zu Gast im Studio von Deutschlandfunk Kultur © Deutschlandradio / Malte E. Kollenberg
Unser Studiogast, der Journalist Hajo Schumacher, hat zwei Söhne und auch ein Buch mit dem Titel "Solange du deine Füße auf meinen Tisch legst" geschrieben, in dem er sich mit der Vaterrolle auseinandersetzt. Er warne aus persönlicher Erfahrung heraus davor, Demokratie mit "Hyperindividualisierung" zu verwechseln, sagte Schumacher im Deutschlandfunk Kultur. Demokratie bedeutete nicht, dass jeder Schreihals das bekomme, was er anmahne. Wichtiger sei die Frage, wie Demokratie definiert werde. "Ist das eine Ausprägung des eigenen Ichs oder ist es vielleicht viel mehr das Entdecken von Gemeinsamkeiten?" Wenn eine alleinerziehende Mutter, die morgens früh rausmüsse, erwarte, dass die Kita ihr Kind am Nachmittag nicht drei Stunden schlafen lasse, sei das völlig verständlich.

Zurückstecken und anpassen

Natürlich wolle niemand zurück zum "kollektiven Töpfchen-Gehen", aber der Soziologe Andreas Reckwitz warne zu Recht vor einem "Zeitalter der Singularitäten", sagte Schumacher. "Jedes Kind hat seine eigene Allergie, kommt mit seinem eigenen Essen in die Kita, hat ganz, ganz viele Individualitäten." Dabei bedeute Demokratie, dass man gemeinsam zu Mehrheitsentscheidungen komme. Das bedeute auch mal, dass man zurückstecken müsse oder sich anpassen. "Das heißt, nicht zwingend, das heißt nicht, brutal auf irgendeinen Kurs bringen, aber es heißt, auch einen Teil seines Lebens dieser Gemeinsamkeit und Gemeinschaft zu widmen." Das komme ihm manchmal etwas zu kurz. Er empfahl, Kindern Demokratie-Angebote in einem überschaubaren Rahmen zu machen.

Hören Sie hier die gesamte Sendung mit Hajo Schumacher.
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Hajo Schumacher, geboren 1964 in Münster, arbeitete von 1990 bis 2000 beim Nachrichtenmagazin "Spiegel". Später leitete er die Redaktion des Lifestyle-Magazins "Max". Heute ist er als freier Journalist und Autor für Tageszeitungen, Magazine, Hörfunk, Online und Fernsehen in Berlin tätig. Bekannt wurde der passionierte Läufer Schumacher außerdem als "Achim Achilles" mit einer regelmäßigen Laufkolumne. 2017 erschien sein Buch "Solange du deine Füße auf meinen Tisch legst. Mein schrecklich, lustiges Leben als Vater" im Eichborn-Verlag.

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