Politikverdrossenheit in der Demokratie

Sprechen wir endlich Klartext!

Illustration: Dachgärten und Windenergieanlage auf grünen Gebäuden.
Ein „bepreistes Ja“ zu einer Maßnahme ist eine viel kompliziertere Aussage als ein bloßes „Nein“ oder ein bloßes „Ja“, meint Lars S. Otto. © imago / Ikon Images / Josy Blog
Ein Standpunkt von Lars S. Otto · 10.12.2021
Windräder ja oder nein? Solche schlichten Für- und Dagegen-Debatten werden der Wirklichkeit nicht gerecht, meint der Jurist Lars S. Otto. Um Entscheidungen voranzubringen, müssen alle Argumente auf den Tisch und jeder muss seinen Beitrag leisten.
Sind Sie für oder gegen den Bau neuer Windenergieanlagen? Ja oder Nein? Ist das in politischen Stellungnahmen alles, was wir sagen können, getreu dem Matthäus-Evangelium: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen.“?
Ich finde, das greift zu kurz. Neben einem isolierten „Nein“ und einem isolierten „Ja“ gibt es eine weitere Form, die ich „bepreistes Ja“ nennen möchte – etwa: „Ich bin für neue Windenergieanlagen! Als Preis dafür akzeptiere ich, dass sie auch 500 Meter vor Wohnsiedlungen gebaut werden dürfen!“
Diese dritte Form, das „bepreiste Ja“, ist einerseits eine Erklärung, was man möchte – und nicht nur, was man nicht möchte. Und andererseits: Ein „bepreistes Ja“ stellt die Forderung in einen breiteren Kontext und bringt damit den Mut auf, den Preis zu benennen, den man zu zahlen bereit ist oder den man von anderen abverlangt. Damit ist ein „bepreistes Ja“ nicht nur eine Aussage über das Ziel, das man erreichen möchte. Es ist auch eine Aussage über den Weg dorthin.

Gefahren für politische Diskussionen

Ein „bepreistes Ja“ ist eine viel kompliziertere Aussage als ein bloßes „Nein“ oder ein bloßes „Ja“. Es ist aber auch eine viel ehrlichere Form der Debatte. Wir sollten von politischen Stellungnahmen deswegen immer verlangen, dass sie dem Maßstab des „bepreisten Ja“ genügen. Das gilt für die Reden von Berufspolitiker:innen ebenso wie für die Meinungen unserer Mitbürger:innen und unsere eigenen Forderungen.
In einer Demokratie müssen nämlich Mehrheiten für etwas geschaffen werden. Es hilft also nicht, im Wege eines isolierten „Nein“ nur zu sagen, wie Probleme nicht gelöst werden sollen. Aber auch ein isoliertes „Ja“ gefährdet den politischen Diskurs. Es blendet nämlich den bestehenden technischen, ökologischen, ökonomischen oder rechtlichen Status quo aus, der aber die Grundlage für die Entscheidungen der Berufspolitiker:innen bildet. Wer das außer acht lässt, ist oft nicht weit entfernt von einem „die da oben hören ja nicht auf uns“.
Damit sind mit isolierten Forderungen Frustration und Politikverdrossenheit vorprogrammiert.

Die Kosten der Entscheidung

Eine ehrliche Debatte führt deswegen nur, wer den Preis, die Kosten der Entscheidung benennt – auch, weil das voraussetzt, sich mit dem Thema so auseinandergesetzt zu haben, dass man den Kontext versteht. Kosten meint dabei mehr als nur Geld. Auch Lebenszeit, Treibhausgasemissionen, Artenvielfalt, Arbeitsbedingungen oder Krankenhausausstattung sind Beispiele dafür, was die Erreichung unserer politischen Ziele kostet.
Als erwachsene und mündige Bürger:innen können wir uns nicht nur Ziele wünschen und die Gedanken über den Weg dorthin anderen überlassen. Dieses Privileg haben nur Kinder. Wenn wir die Welt mitgestalten wollen, in der wir leben, fordert das von uns Mut zu Aussagen eines „bepreisten Ja“. Keine politische Frage steht isoliert. Isolierte Zielvorstellungen entfremden uns nur von den realen Herausforderungen der Berufspolitik.

In einer Demokratie muss jeder selbst mitwirken

Wer sich aber über den Weg zu einem Ziel Gedanken macht, beschäftigt sich mit den Komplexitäten von Klimaschutz, Altersvorsorge, Digitalisierung oder Schule und macht sich Gedanken über mögliche Kompromisse. Die Umsetzung von Zielen ist daher weder etwas, das sich quasi von selbst ergibt, noch die dunkle oder gar die hässliche Seite der Politik. Politik bedeutet unausweichlich, Ziele und Wege miteinander zu verbinden. Und zur Politik sind in einer demokratischen Republik primär wir selbst aufgerufen.
Wenn wir bestimmte politische Ziele formulieren, müssen wir daher an uns ebenso wie an alle anderen immer die ehrliche Frage stellen: Auf welchem Weg und zu welchem Preis erreichen wir das? 

Lars S. Otto, hat in Berlin, Århus und London Rechtswissenschaft studiert. Er arbeitet als Rechtsanwalt in Berlin. Zugleich ist er regelmäßig Lehrbeauftragter der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Arbeit und seine Publikationen spielen schwerpunktmäßig im Verwaltungs- und Verfassungsrecht, sein Interesse gilt darüber hinaus u.a. der Geschichte und der politischen Philosophie.

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