Demokratie oder Diktatur
Vor 90 Jahren trat der Reichskongress aller Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands zusammen, um über die Zukunft des Deutschen Reiches zu entscheiden. Der Kaiser hatte abgedankt und war nach Holland geflohen. Die letzte Regierung des Kaiserreiches übergab die Macht dem Rat der Volksbeauftragten unter der Führung Friedrich Eberts.
Der Reichsrätekongress, zu dem die Arbeiter- und Soldatenräte aus allen Teilen des Landes nach einem festgelegten Schlüssel ihre Delegierten entsandten, sollte darüber entscheiden, ob Deutschland den Weg einer parlamentarischen Demokratie beschreiten, oder ob eine Räteherrschaft nach russischem Vorbild errichtet würde. Die Arbeiter- und Soldatenräte entschieden sich nach heftigen Kontroversen und tagelangen Debatten am 21. Dezember 1918 für die Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung. Das war die Geburtsstunde der Weimarer Republik.
Die Novemberrevolution von 1918, die mit dem Kieler Matrosenaufstand am 4. November begann, hatte innerhalb weniger Tage die Monarchie gestürzt und mit der Kapitulation des Deutschen Reiches den Ersten Weltkrieg beendet. Dieser Aufstand gegen das Kaiserreich verlief weitgehend friedlich. Die Arbeiter- und Soldatenräte, die überall im Land die politische Selbstverwaltung in die Hand nahmen, sorgten mit Bedacht für Ruhe und Disziplin unter ihren bewaffneten Anhängern. "Wäre das alte System nicht völlig zermürbt gewesen, hätte der Zusammenbruch kaum ein so überraschend schneller und vollständiger sein können", schrieb noch nicht einmal zwei Jahre nach der ersten erfolgreichen Revolution in Deutschland ein inzwischen weithin vergessener Sozialdemokrat. Es handelte sich dabei um Gustav Noske, der am 5. November 1918 von den aufständischen Kieler Matrosen einstimmig zum Vorsitzenden des ersten deutschen Soldatenrates gewählt wurde.
Wenn alljährlich die Anhänger der ehemaligen SED an die Gräber von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg pilgern, demonstrieren sie damit nicht nur ihre Verehrung für die ersten Märtyrer des deutschen Kommunismus, sondern auch ihre Aversion gegen das System der parlamentarischen Demokratie und der freien Marktwirtschaft. Liebknecht und Luxemburg gelang es im Dezember 1918 nicht einmal, Mandate als Delegierte für den Arbeiter- und Soldatenkongress zu erringen. Die Forderung der damaligen Linksextremisten nach Errichtung einer Rätediktatur wurde von der Mehrheit der Arbeiter- und Soldatendelegierten abgelehnt. Rosa Luxemburg beschimpfte diese wackeren Demokraten daraufhin als "Eberts Mamelucken". Mit Unterstützung der an Weihnachten 1918 neugegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands versuchten bewaffnete Putschisten im Januar 1919 die Entscheidung des Reichskongresses der Arbeiter- und Soldatenräte für eine parlamentarische Demokratie rückgängig zu machen. Zum Glück scheiterte dieser Putsch.
Die Erinnerung an den tragischen Tod von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg diente der SED-Propaganda zur Diffamierung der Weimarer Republik. Nach dem Ende der DDR setzte die PDS den Totenkult um die beiden Revolutionäre fort und demonstrierte damit ihre fortdauernde Ablehnung des westlichen Demokratiemodells. Ein inzwischen nicht mehr amtierender PDS-Senator sorgte dafür, dass der Rosa-Luxemburg-Platz mit Zustimmung der Berliner SPD für teures Geld über und über mit Sprüchen der Revolutionärin gepflastert wurde. An den Berliner Reichsrätekongress und die Geburtsstunde der Weimarer Republik aber erinnert bis heute nicht einmal eine Gedenktafel am Gebäude des alten Preußischen Landtages, dem heutigen Sitz des Berliner Abgeordnetenhauses. Es bleibt zu hoffen, dass die demokratischen Parteien dieses Abgeordnetenhauses sich endlich für eine angemessene Form der Erinnerung an den Reichsrätekongress vom Dezember 1918 einsetzen. Denn seine Entscheidung für die verfassungsgebende Nationalversammlung war eine Sternstunde der Demokratiegeschichte in Deutschland.
Jochen Staadt, 1950 in Bad Kreuznach geboren, lebt seit 1968 in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaft an der Freien Universität promovierte er mit einer Arbeit über DDR-Literatur. Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen und internationalen Studenten- und Jugendbewegung der 60er Jahre, zur DDR- und SED-Geschichte, zu Spionage in Ost und West sowie zur Beziehungsgeschichte zwischen beiden deutschen Staaten. Staadt ist Projektleiter beim Forschungsverbund SED-Staat an der FU und Autor der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'. Jüngste Veröffentlichung: ‚Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem kubanischen MININT’.
Die Novemberrevolution von 1918, die mit dem Kieler Matrosenaufstand am 4. November begann, hatte innerhalb weniger Tage die Monarchie gestürzt und mit der Kapitulation des Deutschen Reiches den Ersten Weltkrieg beendet. Dieser Aufstand gegen das Kaiserreich verlief weitgehend friedlich. Die Arbeiter- und Soldatenräte, die überall im Land die politische Selbstverwaltung in die Hand nahmen, sorgten mit Bedacht für Ruhe und Disziplin unter ihren bewaffneten Anhängern. "Wäre das alte System nicht völlig zermürbt gewesen, hätte der Zusammenbruch kaum ein so überraschend schneller und vollständiger sein können", schrieb noch nicht einmal zwei Jahre nach der ersten erfolgreichen Revolution in Deutschland ein inzwischen weithin vergessener Sozialdemokrat. Es handelte sich dabei um Gustav Noske, der am 5. November 1918 von den aufständischen Kieler Matrosen einstimmig zum Vorsitzenden des ersten deutschen Soldatenrates gewählt wurde.
Wenn alljährlich die Anhänger der ehemaligen SED an die Gräber von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg pilgern, demonstrieren sie damit nicht nur ihre Verehrung für die ersten Märtyrer des deutschen Kommunismus, sondern auch ihre Aversion gegen das System der parlamentarischen Demokratie und der freien Marktwirtschaft. Liebknecht und Luxemburg gelang es im Dezember 1918 nicht einmal, Mandate als Delegierte für den Arbeiter- und Soldatenkongress zu erringen. Die Forderung der damaligen Linksextremisten nach Errichtung einer Rätediktatur wurde von der Mehrheit der Arbeiter- und Soldatendelegierten abgelehnt. Rosa Luxemburg beschimpfte diese wackeren Demokraten daraufhin als "Eberts Mamelucken". Mit Unterstützung der an Weihnachten 1918 neugegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands versuchten bewaffnete Putschisten im Januar 1919 die Entscheidung des Reichskongresses der Arbeiter- und Soldatenräte für eine parlamentarische Demokratie rückgängig zu machen. Zum Glück scheiterte dieser Putsch.
Die Erinnerung an den tragischen Tod von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg diente der SED-Propaganda zur Diffamierung der Weimarer Republik. Nach dem Ende der DDR setzte die PDS den Totenkult um die beiden Revolutionäre fort und demonstrierte damit ihre fortdauernde Ablehnung des westlichen Demokratiemodells. Ein inzwischen nicht mehr amtierender PDS-Senator sorgte dafür, dass der Rosa-Luxemburg-Platz mit Zustimmung der Berliner SPD für teures Geld über und über mit Sprüchen der Revolutionärin gepflastert wurde. An den Berliner Reichsrätekongress und die Geburtsstunde der Weimarer Republik aber erinnert bis heute nicht einmal eine Gedenktafel am Gebäude des alten Preußischen Landtages, dem heutigen Sitz des Berliner Abgeordnetenhauses. Es bleibt zu hoffen, dass die demokratischen Parteien dieses Abgeordnetenhauses sich endlich für eine angemessene Form der Erinnerung an den Reichsrätekongress vom Dezember 1918 einsetzen. Denn seine Entscheidung für die verfassungsgebende Nationalversammlung war eine Sternstunde der Demokratiegeschichte in Deutschland.
Jochen Staadt, 1950 in Bad Kreuznach geboren, lebt seit 1968 in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaft an der Freien Universität promovierte er mit einer Arbeit über DDR-Literatur. Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen und internationalen Studenten- und Jugendbewegung der 60er Jahre, zur DDR- und SED-Geschichte, zu Spionage in Ost und West sowie zur Beziehungsgeschichte zwischen beiden deutschen Staaten. Staadt ist Projektleiter beim Forschungsverbund SED-Staat an der FU und Autor der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'. Jüngste Veröffentlichung: ‚Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem kubanischen MININT’.