Erinnern in DDR-Kulisse

Lichte Momente im Leben mit Demenz

06:13 Minuten
Zwei faltige Hände halten Spielkarten mit Fragen zu Produkten der DDR ("Kompott: Havelland").
Wer kennt die Marken, nennt die Namen? Eine Bewohnerin der Alexa Seniorenresidenz in Dresden hält Spielkarten mit Fragen zu DDR-Produkten in den Händen. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Arno Burgi
Gunter Wolfram im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 20.09.2022
Audio herunterladen
Zimmer voller DDR-Produkte wecken Erinnerungen bei Menschen mit Demenz: Auf diese Weise regt ein Seniorenheim in Dresden Betroffene zu Aktivität und Austausch an. Vertraute Dinge schenken Lebensfreude, sagt Heimleiter Gunter Wolfram.
Schwarz-rote Klubsessel vor der Schrankwand "Carat" und ein alter Plattenspieler, der die Aufnahmen des Labels Amiga in vertrautem Sound erklingen lässt: Das Seniorenheim Alexa in Dresden lässt Menschen mit Demenz in eine Umgebung eintauchen, die ihnen aus einer prägenden Zeit ihres Lebens vertraut ist.

Alte Geschichten beim Kartoffelschälen

Jeden Morgen kommen Bewohnerinnen und Bewohner aus ihren Pflegezimmern in die mit DDR-Utensilien aller Art eingerichtete Vierraumwohnung. Gemeinsame Aktivitäten lassen Erinnerungen lebendig werden, sagt Gunter Wolfram, der Leiter der Einrichtung: "Es wird viel gekocht, viel gesungen, Eierlikör zusammengerührt – alles Dinge, die den Alltag früher auch gestaltet haben."
Drei Rollatoren stehen vor einem Regal mit Produkten der ehemaligen DDR: Auf Bildern an der Wand sind die Marken "Spee", "Gemol" und "IMI" zu erkennen.
Waschkraft mit Langzeitwirkung: In den "Erinnerungszimmern" des Seniorenheims prangen vertraute Markennamen an den Wänden.© picture alliance / dpa-Zentralbild / Arno Burgi
Eine wichtige Rolle spiele dabei das Wiedererkennen vertrauter Gegenstände. Zum Beispiel beim Kartoffelschälen: „Man stellt eine Emailleschüssel hin mit ein bisschen Wasser drin, tut Kartoffeln rein und gibt ein Küchenmesser dazu. Sofort fangen die Leute an, Kartoffeln zu schälen und ihre Geschichten zu erzählen. So wie es eben früher beim Kochen auch üblich gewesen ist“, erzählt Wolfram.

Wir erleben, dass die Hände plötzlich wieder Dinge wissen, die der Kopf schon längst vergessen hat.

Gunter Wolfram, Leiter des Seniorenheims Alexa

Menschen mit Demenz werde oft unterstellt, dass sie vieles nicht mehr könnten, sagt der Heimleiter. Doch die Objekte aus dem vergangenen Alltag wirken oft Wunder, Handgriffe, die einmal selbstverständlich waren, fallen auf einmal wieder ganz leicht. „Das ist eben trotz der Demenz nicht vergessen, es ist nur verschüttet“, erklärt Wolfram. „Man kann das sozusagen wieder antriggern, dass diese Funktion und diese Fähigkeiten wiederkommen.“

Erinnerungen in der Kaufhalle

Den Bewohnerinnen und Bewohnern gibt das ein großes Selbstvertrauen zurück. Es habe sich gezeigt, dass viele Menschen mit Demenz 40, 50 oder 60 Jahre zurück in der Zeit leben, sagt Wolfram. Die „Erinnerungszimmer“ im Dresdner Seniorenheim rufen diese Zeit wieder wach.
Sogar eine kleine Kaufhalle gibt es in der Unterkunft. Dort steht „Im Nu“-Malzkaffee im Regal, es gibt Strumpfhosen der Marke „Sayonara“ und Spielkarten mit Quizfragen zu vielen weiteren DDR-Produkten.
Produkte der ehemaligen DDR: In einer Holzkisten sind u.a. ein Porträt von Erich Honecker und eine Feindtrumpfhose der Marke "Sayonara" zu sehen.
Erinnerungen im Angebot: DDR-Produkte im Regal der Tagesbetreuung der Seniorenresidenz© picture alliance / dpa-Zentralbild / Arno Burgi
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat zum Welt-Alzheimertag am 21. September eine Reihe von Ratgebern zum Umgang mit Demenz herausgegeben. Neben Hinweisen, wie Betroffene gut begleitet werden können, stehen dort vor allem Vorbeugung und Früherkennung im Vordergrund.

Ein Notizbuch für die Zeit des Vergessens

Gunter Wolfram ist davon überzeugt, dass sich aus der Arbeit mit den "Erinnerungszimmern" auch Empfehlungen ableiten lassen, welche Vorkehrungen jede und jeder Einzelne für den Fall einer Demenzerkrankung treffen kann:

Ich würde jedem empfehlen, sich ein Büchlein anzulegen mit dem Titel 'Alles, was ich mag' und dort alles aufzuschreiben, was einen prägt und was man gerne hat – zum Beispiel, wie man den Kaffee trinkt, was meine Lieblingsschokolade und wer mein Lieblingssänger ist, sodass, wenn die Zeit des Vergessens beginnt, eine Information, gerade für Außenstehende, da ist: Ah, das waren Dinge, die haben diese Person bewegt, das ist etwas, wo sie emotional wirklich zu greifen ist.

Gunter Wolfram, Leiter des Seniorenheims Alexa

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind derzeit 1,8 Millionen Menschen in Deutschland von Demenz betroffen. Bis zum Jahr 2050 könnten es nach Einschätzung der Deutschen Alzheimergesellschaft 2,8 Millionen sein.
Die Erinnerungsarbeit, wie sie in Dresden praktiziert wird, verspricht keine Heilung, aber sie kann die Lebenssituation von Menschen mit Demenz erheblich verbessern, sagt Gunter Wolfram: "Wir können die Demenz damit nicht aufhalten, aber wir können ihnen ein gutes Stück Lebensfreude schenken."

Abonnieren Sie unseren Denkfabrik-Newsletter!

Hör- und Leseempfehlungen zu unserem Jahresthema „Es könnte so schön sein… Wie gestalten wir Zukunft?“. Monatlich direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema