Demaskierung des amerikanischen Establishments

Rezensiert von Gabriele von Arnim |
Sie sind der Adel der US-amerikanischen Ostküste: Die Rockefellers, Vanderbilts und auch die Auchincloss. Der Schriftsteller Louis Auchincloss gehört der Schicht an, deren Code er in seinem Roman "Manhattan Monologe" erbarmungslos entschlüsselt. Von Hause aus Jurist, kennt er die menschlichen Abgründe hinter den gesellschaftlichen Masken.
Den betagten amerikanischen Autor Louis Auchincloss, 1917 geboren, gilt es bei uns noch zu entdecken. Über 60 Bücher hat er geschrieben, Romane, Biographien, Kurzgeschichten - nur wenige wurden bisher ins Deutsche übersetzt. Überdies war Auchincloss über Jahrzehnte Anwalt – Partner in einer erfolgreichen, feinen Wall-Street-Kanzlei. Vieles von dem, was er beschreibt, erfindet er so punktgenau, weil er es bestens kennt.

Jetzt ist sein 57. Buch auf Deutsch herausgekommen. Der Titel "Manhattan Monologe" klingt ein wenig nach Woody Allen; Slapstick oder Parodie verbergen sich aber nicht dahinter, sondern eine scharfzüngige und teils höchst amüsante Darstellung des amerikanischen Ostküsten-Establishments. Mit feinstem Pinsel zeichnet der Autor die Wasps, die white anglo saxon protestans, die über Jahrhunderte Einfluss, Geld und Macht in ihrer Schicht monopolisierten.

Sie sind der Adel der Ostküste. Die Rockefellers und Vanderbilts – und auch die Auchincloss. Der Autor gehört der Schicht an, deren Code er so erbarmungslos entschlüsselt. Er durchschaut seine Klasse, ohne sie zu denunzieren. Er kritisiert nicht, er stellt fest. Mit einem unglaublich feinen Gespür für menschliche Schwächen und gesellschaftliche Fassaden, hinter deren prunkvoller Ausstattung sich so oft Dummheit, Tragik, Begierde und Verzweiflung verbergen.

Alle Kurzgeschichten dieses Bandes spielen im gleichen Milieu. Die Männer haben Charme, Manieren und Geld (eigenes oder solches, das sie erheirateten) – manche gehen sogar einem Broterwerb nach - sind meist Bankiers oder Anwälte. Die Frauen sind verantwortlich für das gesellschaftliche Leben - die Dinners, die Kinder, die Einrichtung. Unentwegt werden weiträumige Stadtwohnungen und herrschaftliche Villen am Meer neu möbliert. Oft sind die Damen staubtrocken, unsinnlich, Gattinnen halt. Aber manche haben einen scharfen Verstand, den sie sehr wohl einzusetzen wissen.

Man lebt in New York und auf Long Island. Man ist reich und vornehm – oder will jedenfalls beides sein. Und wenn ein alter Name leicht verarmte muss er halt aufpoliert werden – notfalls auch mit neuerem Geld. Und das neue Geld wiederum bekommt Patina durch einen alten Namen. So gelingt es doch tatsächlich dem Sohn eines Polizisten, sich hoch erfolgreich als Bankier zu etablieren und sich so geschmeidig anzupassen, dass man ihm seine Herkunft nicht mehr anmerkt. Er hat die richtige Frau, das heißt, den richtigen Namen geheiratet, und es geht ihm blendend, das heißt, es ginge ihm blendend, wenn die Gattin nicht plötzlich auf die Idee gekommen wäre, dass sie etwas stört an dem schönen Arrangement, dass er sie "eingekauft" hat wie die Häuser und Bilder, die er sammelt. Sie beginnt dagegen zu revoltieren, in seinem Leben nichts als ein weiteres Requisit zu sein.

Hin und wieder gibt es dieses kleine Aufbegehren. Doch meist siegt die Heuchelei – die hier wie eine Lebenskunst oder eher Über-Lebenskunst beschrieben wird. Ehen sind Vernunftehen. So etwas wie Liebe gilt es tunlichst zu vermeiden – sie hat mehr mit Leichtsinn zu tun, mit lächerlicher Romantik. Gefühle oder gar Leidenschaft sind wie Gewitter, in die man nicht geraten sollte. Und so wird auch die Frage nach Glück nur selten gestellt.

Auchincloss schreibt nicht poetisch, er beschreibt keine Landschaft, keine Atmosphäre, kaum je eine Einrichtung eines Salons oder Büros – mal wird ein Bild erwähnt, eine Bronze, ein wehender Vorhang. Ihn interessiert, wie Menschen funktionieren. Seine Geschichten sind von großer Raffinesse und zeugen von einem geradezu stupenden Wissen um Seelenregungen und Lebensangst. Und dennoch ist dies kein seelenvoller, empfindsamer Text - die Sprache raunt nicht, sie ist gläsern kühl und klar. Da schreibt ein Jurist, der die menschlichen Abgründe hinter den gesellschaftlichen Masken kennt und keinen Anlass sieht, irgendetwas davon zu verheimlichen.

Rezensiert von Gabriele von Arnim

Louis Auchincloss: Manhattan Monologe
Übersetzt von Angela Praesent
DuMont Köln 2006
230 Seiten, 19.90 €