Dem Leben bei der Arbeit zusehen
Wann immer es Umfragen unter Kritikern gibt, wird er als einer der einflussreichsten Filmemacher unserer Zeit genannt. Auch amerikanische Regisseure wie Jim Jarmusch oder Martin Scorsese verehren den Taiwanesen Hou Hsiao-hsien. Nun bietet eine Retrospektive in Berlin auch dem deutschen Zuschauer die Möglichkeit, das Schaffen von Hou Hsiao-hsien kennen zu lernen.
In Begleitung einer kleinen Entourage und mit einer Baseball-Cap auf dem Kopf erscheint er zum Gespräch. Hou Hsiao-hsien ist ein wenig außer Atem, weil er zu Fuß vom Hotel zum Interview gekommen ist, um noch ein bisschen von Berlin mitzubekommen.
Als Regisseur gewohnt, alles unter Kontrolle zu haben, wirft er automatisch ein Blick auf das Aufnahmegerät und rückt das Mikrophon zu recht. Angesprochen auf seine Ehrung beim Festival von Locarno, beginnt er die perfekte technische Ausstattung des Festivals zu loben, den hervorragenden Ton, die enorme Bildqualität der Freiluftvorführungen. Nur ganz beiläufig erwähnt er, wie beeindruckend die Kulisse von über 5000 Zuschauern auf der Piazza Grande gewesen sei.
Auch die Anerkennung, die ihm Regisseure aus aller Welt entgegenbringen, spielt er herunter - höflich aber bestimmt.
"Ich denke nicht in diesen Kategorien, weil jeder Regisseur ganz anders arbeitet. Jeder Regisseur erstürmt einmal den Gipfel, aber dann muss er auch wieder durch ein Tal laufen. Aber jeder bringt auch einen eigenen Hintergrund mit, eigene Besonderheiten und regionale Eigenheiten."
Hinter dieser einfachen Feststellung verbirgt sich auch schon Hou Hsiao-hsiens Anliegen als Filmemacher. Denn es ist der eigene Hintergrund, den er immer wieder zum Thema macht. Ob seine Filme in der jüngsten Geschichte Taiwans spielen oder sich mitten in das moderne Leben seiner Heimat werfen - stets bildet das Land den Hintergrund seines Schaffens.
Hou Hsiao-hsien erzählt Geschichten, die ihn angehen, Geschichten aus erster Hand. Aus dieser Direktheit ziehen seine Filme ihre Präzision und Verbindlichkeit.
"Das kommt mir ganz selbstverständlich vor, ich lebe dort. Ich bin mit den Dingen und Menschen vertraut. Ich kenne ihre Situation und ihr Leben. Es fällt mir leicht. Nach außen mag Taiwan kompliziert wirken, aber für mich ist es ganz natürlich. Im Laufe der Jahre ist mein Verständnis für die Besonderheiten Taiwans auch noch größer geworden."
"Stadt der Traurigkeit" ist der Titel des Films, mit dem Hou Hsiao-hsien 1989 seinen internationalen Durchbruch feierte und der auf dem Filmfestival von Venedig den Goldenen Löwen gewann. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von fünf Jahren. Sie beginnt 1945 mit dem Rückzug der japanischer Besatzer und endet 1950 mit der endgültigen Machtübernahme durch Chiang Kaisheks nationalchinesische Partei.
Doch Hou Hsiao-hsiens Film ist das genaue Gegenteil verfilmter Historie. Geschichte fließt bei ihm als Summe privater Momente und Stimmungen in die Bilder ein. Am Anfang des Films herrscht hektische Betriebsamkeit im Hause der Familie Lin. Man dekoriert den Nachtclub um, entfernt pragmatisch alles Japanische. Als "Klein Shanghai" sieht die Spelunke der neuen Epoche entgegen, so hoffnungsvoll wie opportunistisch.
Die Wucht des Films entsteht nicht aus den äußeren Ereignissen, sondern aus der Darstellung der ganz konkreten Lebenssituation einer Familie. Sie wird zum Medium der jüngsten Geschichte Taiwans.
"So werden die Historie und die Gegenwart eines Landes am Lebendigsten. Und so ist doch auch das Leben. Natürlich beeinflussen große Umbrüche wie Revolutionen, Studentenbewegungen das Private. Aber auch wenn in einer Familie ganz kleine Veränderungen stattfinden, hat das sehr oft einen politischen Hintergrund. Die Veränderungen der Zeit, in der man lebt, wirken sich natürlich auch auf die kleinste Einheit der Familie aus. Das ist nicht unbedingt ein bewusster Prozess. Doch wie er sich vollzieht, das versuche ich in meinen Filmen festzuhalten."
Dafür tritt er mit seiner Kamera immer einen Schritt zurück, arbeitet mit tiefenscharfen Totalen, die für die Widersprüchlichkeiten des Lebens, für alle Stimmungen und Empfindungen offen sind. Formal wie inhaltlich könnte man
Hou Hsiao-hsiens filmische Methode als Annäherung vom Rande bezeichnen. Immer wieder dringt die Geschichte von der Peripherie zum Geschehen vor. Wie Seismographen stoßen seine Filme dabei in verkrustete Schichten vor, erzählen von tabuisierten und verdrängten Themen.
"Stadt der Traurigkeit" sorgte in Taiwan für viel Aufregung, weil zum ersten Mal die rigide Machtpolitik der Festlandchinesen thematisiert wurde. In dem 1993 entstandenen Film "The Puppetmaster" setzt er sich wiederum mit der japanischen Besatzung auseinander und in "Good Men, Good women" von 19 geht es um die brutale Verfolgung vermeintlicher Kommunisten in den fünfziger Jahren.
In all diesen Filmen entsteht das Bild eines verwundeten, angeschlagenen Landes. Der Titel "Stadt der Traurigkeit" könnte stellvertretend über dem Gesamtwerk von Hou Hsiao Hsien stehen.
"Dieser Titel geht auf einen Schlager zurück, in dem die Trauer ausgedrückt wird, die das taiwanesische Volk empfindet. Wenn man in Taiwan lebt und auf die Welt der Erwachsenen schaut, dann sieht man den Menschen an, dass sich nicht viele erfreuliche Dinge in ihrem Leben ereignen. Man trifft überall auf eine melancholische Grundstimmung. Ob in den Familien, oder auf den Straßen. Ohne dass man es merkt hat man diesen traurigen Grundton einfach in den Knochen, wenn man dort aufgewachsen ist. Und viele taiwanesische Schlager haben ihn übernommen."
Auch in seinen Filmen, die in der Gegenwart, im modernen Taiwan spielen, sind die Bilder von einer Grundmelancholie getragen. "Good-bye South, good-bye" und "Millenium Mambo " erzählen von einer Jugend, die ihre Ortung verloren hat, die auf Durchreise ist, die aus keiner Vergangenheit mehr zu kommen und in keine Zukunft zu gehen scheint. Um dieses Lebensgefühl einzufangen, arbeitet Hou Hsiao-hsien wider mit seinen genau komponierten, tiefenscharfen Totalen.
"So tritt man auch im Leben den Leuten gegenüber. Wenn man an einem Ort ist, dann sieht man erst einmal das Ganze. Dann sieht man die Veränderungen, Menschen kommen und gehen. Solche Bewegungen interessieren mich einfach, das Licht ändert sich. Ich beobachte aus dieser Perspektive sehr gerne das Leben."
Die Filme von Hou Hsiao-hsien sind Begegnungen mit einer fremden Welt. Aber auch mit einer uns fremden Erzähltradition, die, anders als die westliche, nicht Handlungs- und Aktionsorientiert ist.
"Man kann westlichen Filmen gut folgen, weil sie logisch strukturiert sind. Weil sie linear erzählt sind. Unser Bildverständnis ist eher lyrischer Natur. Wir arbeiten viel mit Kontrasten, etwa hell und dunkel, auch unsere Figuren sind sehr stark kontrastiert. Zudem sind unserer Filme voller Gegenstände, die alle ihre Bedeutung in der Erzählung haben. Und wir arbeiten assoziativ."
Gerade weil man als Zuschauer nicht an die Hand genommen wird, erzeugt Hou Hsiao-hsiens Kino das Gefühl einer unglaublichen Freiheit. Wenn man sich auf seine wunderbaren Totalen einlässt, dann kann man dem Leben bei der Arbeit zusehen. Hou Hsiao-hsiens Kino ist eines der entspannten Anspannung.
Er selbst entspannt sich am liebsten beim Karaoke-Singen. Daher zum Abschluss noch eine kleine Frage: Wenn er heute Abend in Berlin in einer Bar ginge, was würde er singen?
"Das weiß ich nicht. Aber ich habe schon immer gerne gesungen, schon als Kind. Und je mehr ich gesungen habe, desto trauriger und melancholischer bin ich geworden."
Als Regisseur gewohnt, alles unter Kontrolle zu haben, wirft er automatisch ein Blick auf das Aufnahmegerät und rückt das Mikrophon zu recht. Angesprochen auf seine Ehrung beim Festival von Locarno, beginnt er die perfekte technische Ausstattung des Festivals zu loben, den hervorragenden Ton, die enorme Bildqualität der Freiluftvorführungen. Nur ganz beiläufig erwähnt er, wie beeindruckend die Kulisse von über 5000 Zuschauern auf der Piazza Grande gewesen sei.
Auch die Anerkennung, die ihm Regisseure aus aller Welt entgegenbringen, spielt er herunter - höflich aber bestimmt.
"Ich denke nicht in diesen Kategorien, weil jeder Regisseur ganz anders arbeitet. Jeder Regisseur erstürmt einmal den Gipfel, aber dann muss er auch wieder durch ein Tal laufen. Aber jeder bringt auch einen eigenen Hintergrund mit, eigene Besonderheiten und regionale Eigenheiten."
Hinter dieser einfachen Feststellung verbirgt sich auch schon Hou Hsiao-hsiens Anliegen als Filmemacher. Denn es ist der eigene Hintergrund, den er immer wieder zum Thema macht. Ob seine Filme in der jüngsten Geschichte Taiwans spielen oder sich mitten in das moderne Leben seiner Heimat werfen - stets bildet das Land den Hintergrund seines Schaffens.
Hou Hsiao-hsien erzählt Geschichten, die ihn angehen, Geschichten aus erster Hand. Aus dieser Direktheit ziehen seine Filme ihre Präzision und Verbindlichkeit.
"Das kommt mir ganz selbstverständlich vor, ich lebe dort. Ich bin mit den Dingen und Menschen vertraut. Ich kenne ihre Situation und ihr Leben. Es fällt mir leicht. Nach außen mag Taiwan kompliziert wirken, aber für mich ist es ganz natürlich. Im Laufe der Jahre ist mein Verständnis für die Besonderheiten Taiwans auch noch größer geworden."
"Stadt der Traurigkeit" ist der Titel des Films, mit dem Hou Hsiao-hsien 1989 seinen internationalen Durchbruch feierte und der auf dem Filmfestival von Venedig den Goldenen Löwen gewann. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von fünf Jahren. Sie beginnt 1945 mit dem Rückzug der japanischer Besatzer und endet 1950 mit der endgültigen Machtübernahme durch Chiang Kaisheks nationalchinesische Partei.
Doch Hou Hsiao-hsiens Film ist das genaue Gegenteil verfilmter Historie. Geschichte fließt bei ihm als Summe privater Momente und Stimmungen in die Bilder ein. Am Anfang des Films herrscht hektische Betriebsamkeit im Hause der Familie Lin. Man dekoriert den Nachtclub um, entfernt pragmatisch alles Japanische. Als "Klein Shanghai" sieht die Spelunke der neuen Epoche entgegen, so hoffnungsvoll wie opportunistisch.
Die Wucht des Films entsteht nicht aus den äußeren Ereignissen, sondern aus der Darstellung der ganz konkreten Lebenssituation einer Familie. Sie wird zum Medium der jüngsten Geschichte Taiwans.
"So werden die Historie und die Gegenwart eines Landes am Lebendigsten. Und so ist doch auch das Leben. Natürlich beeinflussen große Umbrüche wie Revolutionen, Studentenbewegungen das Private. Aber auch wenn in einer Familie ganz kleine Veränderungen stattfinden, hat das sehr oft einen politischen Hintergrund. Die Veränderungen der Zeit, in der man lebt, wirken sich natürlich auch auf die kleinste Einheit der Familie aus. Das ist nicht unbedingt ein bewusster Prozess. Doch wie er sich vollzieht, das versuche ich in meinen Filmen festzuhalten."
Dafür tritt er mit seiner Kamera immer einen Schritt zurück, arbeitet mit tiefenscharfen Totalen, die für die Widersprüchlichkeiten des Lebens, für alle Stimmungen und Empfindungen offen sind. Formal wie inhaltlich könnte man
Hou Hsiao-hsiens filmische Methode als Annäherung vom Rande bezeichnen. Immer wieder dringt die Geschichte von der Peripherie zum Geschehen vor. Wie Seismographen stoßen seine Filme dabei in verkrustete Schichten vor, erzählen von tabuisierten und verdrängten Themen.
"Stadt der Traurigkeit" sorgte in Taiwan für viel Aufregung, weil zum ersten Mal die rigide Machtpolitik der Festlandchinesen thematisiert wurde. In dem 1993 entstandenen Film "The Puppetmaster" setzt er sich wiederum mit der japanischen Besatzung auseinander und in "Good Men, Good women" von 19 geht es um die brutale Verfolgung vermeintlicher Kommunisten in den fünfziger Jahren.
In all diesen Filmen entsteht das Bild eines verwundeten, angeschlagenen Landes. Der Titel "Stadt der Traurigkeit" könnte stellvertretend über dem Gesamtwerk von Hou Hsiao Hsien stehen.
"Dieser Titel geht auf einen Schlager zurück, in dem die Trauer ausgedrückt wird, die das taiwanesische Volk empfindet. Wenn man in Taiwan lebt und auf die Welt der Erwachsenen schaut, dann sieht man den Menschen an, dass sich nicht viele erfreuliche Dinge in ihrem Leben ereignen. Man trifft überall auf eine melancholische Grundstimmung. Ob in den Familien, oder auf den Straßen. Ohne dass man es merkt hat man diesen traurigen Grundton einfach in den Knochen, wenn man dort aufgewachsen ist. Und viele taiwanesische Schlager haben ihn übernommen."
Auch in seinen Filmen, die in der Gegenwart, im modernen Taiwan spielen, sind die Bilder von einer Grundmelancholie getragen. "Good-bye South, good-bye" und "Millenium Mambo " erzählen von einer Jugend, die ihre Ortung verloren hat, die auf Durchreise ist, die aus keiner Vergangenheit mehr zu kommen und in keine Zukunft zu gehen scheint. Um dieses Lebensgefühl einzufangen, arbeitet Hou Hsiao-hsien wider mit seinen genau komponierten, tiefenscharfen Totalen.
"So tritt man auch im Leben den Leuten gegenüber. Wenn man an einem Ort ist, dann sieht man erst einmal das Ganze. Dann sieht man die Veränderungen, Menschen kommen und gehen. Solche Bewegungen interessieren mich einfach, das Licht ändert sich. Ich beobachte aus dieser Perspektive sehr gerne das Leben."
Die Filme von Hou Hsiao-hsien sind Begegnungen mit einer fremden Welt. Aber auch mit einer uns fremden Erzähltradition, die, anders als die westliche, nicht Handlungs- und Aktionsorientiert ist.
"Man kann westlichen Filmen gut folgen, weil sie logisch strukturiert sind. Weil sie linear erzählt sind. Unser Bildverständnis ist eher lyrischer Natur. Wir arbeiten viel mit Kontrasten, etwa hell und dunkel, auch unsere Figuren sind sehr stark kontrastiert. Zudem sind unserer Filme voller Gegenstände, die alle ihre Bedeutung in der Erzählung haben. Und wir arbeiten assoziativ."
Gerade weil man als Zuschauer nicht an die Hand genommen wird, erzeugt Hou Hsiao-hsiens Kino das Gefühl einer unglaublichen Freiheit. Wenn man sich auf seine wunderbaren Totalen einlässt, dann kann man dem Leben bei der Arbeit zusehen. Hou Hsiao-hsiens Kino ist eines der entspannten Anspannung.
Er selbst entspannt sich am liebsten beim Karaoke-Singen. Daher zum Abschluss noch eine kleine Frage: Wenn er heute Abend in Berlin in einer Bar ginge, was würde er singen?
"Das weiß ich nicht. Aber ich habe schon immer gerne gesungen, schon als Kind. Und je mehr ich gesungen habe, desto trauriger und melancholischer bin ich geworden."