„Dem Alltag entrückt“
Die Architektur von Sakralbauten hat sich über viele Jahrhunderte weiterentwickelt: oft mit Rückgriff auf Altes, wie in der Neogotik – aber auch durch architektonische Experimente. Die Otto-Bartning-Arbeitsgemeinschaft will gerade die modernen Kirchen wieder ins Gespräch bringen.
Diese Besichtigungen wollen nicht nur kunsthistorisches Wissen vermitteln, sondern auch fragen, wie der Raum erlebt wird. „Bauen heißt schauen!“ so hatte es der Kirchenarchitekt Otto Bartning formuliert. Daher gibt es vor der Besichtigung auch immer die Möglichkeit, einen Gottesdienst in der entsprechenden Kirche mitzuerleben – so kann das Gebäude auch als Raum der Gemeinde erfahren werden.
Was macht eine Kirche zu einem Sakralraum, zu einem heiligen Ort? Ist es das Tabernakel, in dem die gewandelte Hostie, der Leib Christi aufbewahrt wird? Katholische Theologen sprechen von der Kirche als einer Wohnstatt Gottes. Oder ist es der Gottesdienst, die Feier der Gemeinde und die Predigt, in der das Wort Gottes verkündet wird? Für Protestanten ist es eher das Geschehen, das dem Raum Sakralität verleiht.
Ob katholisch oder protestantisch, eine Kirche muss geweiht werden, bevor sie der Gemeinde übergeben wird. Und der sakrale Raum, die Architektur soll eine Sprache sprechen, die dem Geschehen Rechnung trägt. Wer allerdings eine Kirche betritt, nur um sie zu besichtigen, könnte die Sprache des Raumes auch so verstehen:
„Für mich ist es Kunst, und ich betrachte das auch als Kunst. Ich bewundere die, die echt gläubig sind.“
Ob nun gläubig oder nicht, etwa 60 Besucherinnen und Besucher haben sich auf Einladung des Arbeitskreises Otto-Bartning-Kirchenbau eingefunden, um St.Augustinus zu besichtigen. Die Kirche des Architekten Josef Bachem wurde 1928 errichtet, im spätexpressionistischen Stil. Sie fügt sich fast nahtlos in die Häuserzeile im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ein. Doch St. Augustinus fällt auf, denn sie hat keinen spitzen, zum Himmel weisenden Turm wie bei der in Berlin vorherrschenden Neogotik üblich. Von außen wirkt das Bauwerk eher gedrungen, fast wie eine Festung, mit zwei Portalen. Auch diese waren für eine Kirche der damaligen Zeit neu. Vor allem ihr Inneres überrascht.
„Wenn man hier in diese Kirche hineinkommt, es wird Ihnen so gegangen sein, ist man erstaunt, was für ein weiter Raum sich plötzlich vor einem eröffnet. Normalerweise gibt es Seitenschiffe. Die gibt es hier nicht, sondern es ist ein einziger großer Raum, dessen Wände Andeutungen von Säulen haben, aber keine eigenen Säulengänge. Die einzigen Säulengänge, die wir hier sehen, sind im Tonnengewölbe des Altarraumes. Diese Säulengänge sind aber eher der Optik und der Architektur geschuldet, nicht so sehr wie ursprünglich in den Kirchen der Statik der Kirche.“
Bernd Krenz ist langjähriges Gemeindemitglied von St.Augustinus. Weil er sich schon viele Jahre mit „seiner“ Kirche beschäftigt, war er angefragt worden, durch das Gotteshaus zu führen und dessen besonderen Baustil zu erklären.
„Die vier Elemente Raum, Fläche, Farbe und Licht sind die grundlegenden Gestaltungs¬elemente des Expressionismus in der Architektur. Diese vier Elemente spielen hier alle zusammen, sie sind aufeinander abgestimmt und jeweils, ja, durchgestaltet.“
St.Augustinus ist ein begehbares Gesamtkunstwerk. 2006 wurde die Kirche frisch renoviert. Das leuchtende Blau der Wände, das je nach Lichteinfall in den Raum auch türkis wirken kann, die gold strahlenden Altarnischen zu beiden Seiten des Kirchenschiffs, die Andeutungen von Terrakotta-Säulen und der ansteigende Altarraum, der vom Tageslicht hell erleuchtet wird: der Raum ist perfekt inszeniert und mit modernen Mitteln der Lichtgestaltung dem ursprünglichen Konzept entsprechend wieder hergestellt. Damals wie heute verfehlt er seine Wirkung nicht.
„Ich finde ihn befreiend.“ – „Ich auch.“ – „Es ist Luft, man kann hier atmen.“ – Hier geht die Seele auf, also als ich rein kam, da dachte ich, ha, ist das hier toll, und dann die Farbigkeit und dieses Zentrieren auf den Altar, also das fand ich wunderschön.“
Dieses Gefühl von Befreiung, für den Aufbruch in eine neue Zeit war von den Kirchenarchitekten der anbrechenden Moderne durchaus beabsichtigt. Deren berühmtester Vertreter, Otto Bartning, hatte sich mit seinen neuen Entwürfen bewusst gegen den Historismus der Wilhelminischen Ära gewendet. In seiner Schrift „Vom neuen Kirchenbau“ aus dem Jahr 1919 kritisierte er überkommene romantisierende Vorstellungen und plädierte für schlichte meditative Räume mit großer Klarheit. Für Traditionalisten muss das alles bedrohlich und fremd gewirkt haben. Bei der Einweihung von St.Augustinus, so weiß Immo Wittig vom Arbeitskreis Otto-Bartning-Kirchenbau zu berichten, weigerte sich der damalige Bischof, das Gotteshaus zu weihen und damit der Gemeinde zu übergeben.
„Die Kirche war zur Zeit des Historismus Obrigkeitskirche, und in der Moderne, und das zeigt sich ja auch mal in erster Linie dann in dieser kurzen Phase des Expressionismus, werden ganz neue Fragen gestellt, kommt eine neue Sehnsucht aus der Erfahrung des Ersten Weltkriegs, und da ist die Kirche weitgehend außen vor. Aber es gibt eben Beispiele, und die zeigen sich dann in der Kirchenarchitektur, dass es eben Leute gab, die sich mit diesen neuen Fragen auseinandergesetzt haben, und für die Kirche und Moderne keine Gegensätze waren, sondern da eben die Verbindung suchen. Das ist, denke ich erstmal so das Spannende.“
Für Immo Wittig und seine Kollegen ist das der Grund, warum sie gerade die moderne Sakralarchitektur wieder ins Gespräch bringen wollen. Denn „Kirche“ werde auch heute noch nicht gerade mit „Moderne“ in Verbindung gebracht. Spannend dabei sei auch die Frage, was Menschen heute an einem Bauwerk als sakral empfinden, unabhängig davon, ob es nun eine Kirche ist oder nicht. Der Arbeitskreis will deshalb auch Besichtigungen moderner Moscheen oder Synagogen organisieren.
„Wichtig ist uns, erstmal zu sagen, sakrale Räume sind erstmal besondere Räume, und sie gewinnen ihre Qualität als Räume, die dem Alltag entrückt sind. Wir haben dieses Bild der ‚Anderorte‘ da gewählt – ‚Anderorte‘ – da muss man dieses Fremdwort einbringen, Heterotopie: Topos, der Ort, Heterotopie, der Anderort, der Anderort steht zwischen dem Ort und der Utopie, ist also so etwas wie gebaute Utopie, hat mit Sehnsucht zu tun, hat mit Sinnsuche zu tun, ob das jetzt so in Richtung Heiligkeit gehen soll oder nicht, wollen wir gar nicht sagen, kann man drüber reden. Wir wollen ja auch in den Austausch kommen mit dem Publikum und über solche Fragen reden.“
Der Austausch darüber ist im Anschluss an die Besichtigung von St.Augustinus aber eher verhalten. Zu groß ist wohl der Kreis der Besucher, um hier die eigenen Gefühle zu offenbaren, um über das Tremendum et Faszinosum, das Erschauern und Ergriffensein zu sprechen, wie es Rudolf Otto in seinem 1917 erschienenen Buch „Das Heilige“ beschrieb. Einige Besucher stehen am Ende noch vereinzelt in der Kirche und wagen dann doch, sich zu äußern. Ist St. Augustinus ein sakraler Raum?
„Der Raum allein nicht, und das ist der große Unterschied zu den alten Kirchen. Ich bin ganz oft in einer romanischen Kirche, in einer heute noch ganz rein romanischen. Da kann die Kirche leer sein, da kann sie voll sein, das ist es immer der gleiche Eindruck. Und das ist hier nicht.“
Also doch keine „spirituelle Tankstelle im Dschungel der Großstadt“? Als solche wurde die Kirche auf der Einladung bezeichnet.
„Der Begriff ist gar nicht verkehrt. Weil einfach hier ein Raum geboten wird, der nicht so stark ablenkt wie in einer barocken Kirche zum Beispiel. Und hier kann man sich in Muße hinsetzen, seine Gedanken richtig spazieren gehen lassen, um dann letztlich vielleicht auch ein Wort an Gott hier zu beten.“
Mehr Infos im Internet:
Otto-Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau
Kirchengemeinde St. Augustinus in Berlin
Was macht eine Kirche zu einem Sakralraum, zu einem heiligen Ort? Ist es das Tabernakel, in dem die gewandelte Hostie, der Leib Christi aufbewahrt wird? Katholische Theologen sprechen von der Kirche als einer Wohnstatt Gottes. Oder ist es der Gottesdienst, die Feier der Gemeinde und die Predigt, in der das Wort Gottes verkündet wird? Für Protestanten ist es eher das Geschehen, das dem Raum Sakralität verleiht.
Ob katholisch oder protestantisch, eine Kirche muss geweiht werden, bevor sie der Gemeinde übergeben wird. Und der sakrale Raum, die Architektur soll eine Sprache sprechen, die dem Geschehen Rechnung trägt. Wer allerdings eine Kirche betritt, nur um sie zu besichtigen, könnte die Sprache des Raumes auch so verstehen:
„Für mich ist es Kunst, und ich betrachte das auch als Kunst. Ich bewundere die, die echt gläubig sind.“
Ob nun gläubig oder nicht, etwa 60 Besucherinnen und Besucher haben sich auf Einladung des Arbeitskreises Otto-Bartning-Kirchenbau eingefunden, um St.Augustinus zu besichtigen. Die Kirche des Architekten Josef Bachem wurde 1928 errichtet, im spätexpressionistischen Stil. Sie fügt sich fast nahtlos in die Häuserzeile im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ein. Doch St. Augustinus fällt auf, denn sie hat keinen spitzen, zum Himmel weisenden Turm wie bei der in Berlin vorherrschenden Neogotik üblich. Von außen wirkt das Bauwerk eher gedrungen, fast wie eine Festung, mit zwei Portalen. Auch diese waren für eine Kirche der damaligen Zeit neu. Vor allem ihr Inneres überrascht.
„Wenn man hier in diese Kirche hineinkommt, es wird Ihnen so gegangen sein, ist man erstaunt, was für ein weiter Raum sich plötzlich vor einem eröffnet. Normalerweise gibt es Seitenschiffe. Die gibt es hier nicht, sondern es ist ein einziger großer Raum, dessen Wände Andeutungen von Säulen haben, aber keine eigenen Säulengänge. Die einzigen Säulengänge, die wir hier sehen, sind im Tonnengewölbe des Altarraumes. Diese Säulengänge sind aber eher der Optik und der Architektur geschuldet, nicht so sehr wie ursprünglich in den Kirchen der Statik der Kirche.“
Bernd Krenz ist langjähriges Gemeindemitglied von St.Augustinus. Weil er sich schon viele Jahre mit „seiner“ Kirche beschäftigt, war er angefragt worden, durch das Gotteshaus zu führen und dessen besonderen Baustil zu erklären.
„Die vier Elemente Raum, Fläche, Farbe und Licht sind die grundlegenden Gestaltungs¬elemente des Expressionismus in der Architektur. Diese vier Elemente spielen hier alle zusammen, sie sind aufeinander abgestimmt und jeweils, ja, durchgestaltet.“
St.Augustinus ist ein begehbares Gesamtkunstwerk. 2006 wurde die Kirche frisch renoviert. Das leuchtende Blau der Wände, das je nach Lichteinfall in den Raum auch türkis wirken kann, die gold strahlenden Altarnischen zu beiden Seiten des Kirchenschiffs, die Andeutungen von Terrakotta-Säulen und der ansteigende Altarraum, der vom Tageslicht hell erleuchtet wird: der Raum ist perfekt inszeniert und mit modernen Mitteln der Lichtgestaltung dem ursprünglichen Konzept entsprechend wieder hergestellt. Damals wie heute verfehlt er seine Wirkung nicht.
„Ich finde ihn befreiend.“ – „Ich auch.“ – „Es ist Luft, man kann hier atmen.“ – Hier geht die Seele auf, also als ich rein kam, da dachte ich, ha, ist das hier toll, und dann die Farbigkeit und dieses Zentrieren auf den Altar, also das fand ich wunderschön.“
Dieses Gefühl von Befreiung, für den Aufbruch in eine neue Zeit war von den Kirchenarchitekten der anbrechenden Moderne durchaus beabsichtigt. Deren berühmtester Vertreter, Otto Bartning, hatte sich mit seinen neuen Entwürfen bewusst gegen den Historismus der Wilhelminischen Ära gewendet. In seiner Schrift „Vom neuen Kirchenbau“ aus dem Jahr 1919 kritisierte er überkommene romantisierende Vorstellungen und plädierte für schlichte meditative Räume mit großer Klarheit. Für Traditionalisten muss das alles bedrohlich und fremd gewirkt haben. Bei der Einweihung von St.Augustinus, so weiß Immo Wittig vom Arbeitskreis Otto-Bartning-Kirchenbau zu berichten, weigerte sich der damalige Bischof, das Gotteshaus zu weihen und damit der Gemeinde zu übergeben.
„Die Kirche war zur Zeit des Historismus Obrigkeitskirche, und in der Moderne, und das zeigt sich ja auch mal in erster Linie dann in dieser kurzen Phase des Expressionismus, werden ganz neue Fragen gestellt, kommt eine neue Sehnsucht aus der Erfahrung des Ersten Weltkriegs, und da ist die Kirche weitgehend außen vor. Aber es gibt eben Beispiele, und die zeigen sich dann in der Kirchenarchitektur, dass es eben Leute gab, die sich mit diesen neuen Fragen auseinandergesetzt haben, und für die Kirche und Moderne keine Gegensätze waren, sondern da eben die Verbindung suchen. Das ist, denke ich erstmal so das Spannende.“
Für Immo Wittig und seine Kollegen ist das der Grund, warum sie gerade die moderne Sakralarchitektur wieder ins Gespräch bringen wollen. Denn „Kirche“ werde auch heute noch nicht gerade mit „Moderne“ in Verbindung gebracht. Spannend dabei sei auch die Frage, was Menschen heute an einem Bauwerk als sakral empfinden, unabhängig davon, ob es nun eine Kirche ist oder nicht. Der Arbeitskreis will deshalb auch Besichtigungen moderner Moscheen oder Synagogen organisieren.
„Wichtig ist uns, erstmal zu sagen, sakrale Räume sind erstmal besondere Räume, und sie gewinnen ihre Qualität als Räume, die dem Alltag entrückt sind. Wir haben dieses Bild der ‚Anderorte‘ da gewählt – ‚Anderorte‘ – da muss man dieses Fremdwort einbringen, Heterotopie: Topos, der Ort, Heterotopie, der Anderort, der Anderort steht zwischen dem Ort und der Utopie, ist also so etwas wie gebaute Utopie, hat mit Sehnsucht zu tun, hat mit Sinnsuche zu tun, ob das jetzt so in Richtung Heiligkeit gehen soll oder nicht, wollen wir gar nicht sagen, kann man drüber reden. Wir wollen ja auch in den Austausch kommen mit dem Publikum und über solche Fragen reden.“
Der Austausch darüber ist im Anschluss an die Besichtigung von St.Augustinus aber eher verhalten. Zu groß ist wohl der Kreis der Besucher, um hier die eigenen Gefühle zu offenbaren, um über das Tremendum et Faszinosum, das Erschauern und Ergriffensein zu sprechen, wie es Rudolf Otto in seinem 1917 erschienenen Buch „Das Heilige“ beschrieb. Einige Besucher stehen am Ende noch vereinzelt in der Kirche und wagen dann doch, sich zu äußern. Ist St. Augustinus ein sakraler Raum?
„Der Raum allein nicht, und das ist der große Unterschied zu den alten Kirchen. Ich bin ganz oft in einer romanischen Kirche, in einer heute noch ganz rein romanischen. Da kann die Kirche leer sein, da kann sie voll sein, das ist es immer der gleiche Eindruck. Und das ist hier nicht.“
Also doch keine „spirituelle Tankstelle im Dschungel der Großstadt“? Als solche wurde die Kirche auf der Einladung bezeichnet.
„Der Begriff ist gar nicht verkehrt. Weil einfach hier ein Raum geboten wird, der nicht so stark ablenkt wie in einer barocken Kirche zum Beispiel. Und hier kann man sich in Muße hinsetzen, seine Gedanken richtig spazieren gehen lassen, um dann letztlich vielleicht auch ein Wort an Gott hier zu beten.“
Mehr Infos im Internet:
Otto-Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau
Kirchengemeinde St. Augustinus in Berlin