Delta und die vierte Welle

Fußball, Schule, Impfmoral – was können wir uns erlauben?

54:20 Minuten
Fußballfans vor dem EM-Spiel Belgien gegen Italien in München
Diese Fußballfans in München genießen unbeschwerte Partystimmung. Aber ist die neue Lockerheit für alle schon angemessen? © picture alliance / dpa / Matthias Balk
Moderation: Monika van Bebber · 09.07.2021
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Kaum gehen die Corona-Inzidenzzahlen zurück, fordern Spitzenpolitiker den Wegfall der Vorsichtsmaßnahmen. Doch Wissenschaftler warnen vor der Delta-Variante. Ist die vierte Welle schon da? Sollten Impfmüde motiviert werden? Darf man Kinder impfen?
Seit Anfang Juni stagnieren die Inzidenzzahlen auf niedrigem Niveau, am Tag der "Wortwechsel"-Sendung sieht es so aus, als würden sie langsam wieder ansteigen. Es hängt, da sind sich alle Gäste einig, vor allem vom Erfolg der Impfkampagne ab, ob die vierte Corona-Welle bedrohlich wird oder nur als kleine Erhebung durch die Statistiken schwappt.
Sollen Schüler mit Masken unterrichtet werden – und ist es fair, ihnen wieder einen Wechselunterricht zuzumuten? Sollte man die Grenzen öffnen und Reisen ohne Einschränkungen erlauben oder sollte man vorsichtig bleiben? War die Fußball-Europameisterschaft ein Fehler? Was kann Kindern zugemutet werden, damit die gesamte Gesellschaft zur Herdenimmunität gelangt?

Covid ist global

Dem Münchner Kinderarzt Joachim Hübner machen kleine Schwankungen keine Sorgen. Der Sommer lässt die Infektionen abflauen, das findet auch der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann. Dennoch drängt Letzterer darauf, dass wir uns als Gesellschaft sorgfältig und verantwortlich verhalten. Denn Covid ist, selbst wenn wir hierzulande auf unsere Impfraten stolz sein können, ein Problem, das die ganze Welt betrifft.
Maike Finnern, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft befürchtet, dass der Start ins neue Schuljahr noch nicht ganz normal und das gesamte Schuljahr nicht wie früher sein wird. Manche Länder kündigen schon jetzt Masken im Unterricht, Schnelltests und Wechselunterricht an. Dass Masken eine Normalität werden, glaubt Johannes Hübner nicht, Schnelltests auch nicht. "Man muss mit bestimmten Risiken leben", sagt er, "das gilt auch für andere Infektionskrankheiten."

Ende des Jahres – Ende der Vorsicht?

Noch können wir nicht alle Vorsichtsmaßnahmen fallen lassen. Aber im Herbst, spätestens gegen Jahresende müsse überprüft werden, nach wem die Vorsichtsmaßnahmen ausgerichtet werden, so Hübner, nach der kleinen Minderheit der nicht Geimpften oder nach der Mehrheit derer, die sich immunisiert haben. Strafen für Impfmuffel lehnt er ab, er sagt, die Vernunft werde sich durchsetzen. Hübner wendet sich gegen die Versuche aus der Politik, die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission infrage zu stellen.

Großbritannien auf riskantem Pfad

Gleichzeitig wird aus Großbritannien von einem radikalen Öffnungskurs berichtet. "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben," so rechtfertigte der britische Gesundheitsminister jüngst den neuen Kurs seiner Regierung, der auf eine Durchseuchung der noch nicht Geimpften hinausläuft.
Der Dresdner Mediziner Gerhard Ehninger hält den britischen Kurs für sehr gefährlich, denn noch nicht einmal alle Älteren und Vulnerablen seien geimpft. "Ich gehe davon aus," sagt er, "dass der englische Weg falsch ist. Der britische Premier hat ja schon angedeutet, dass es Rückzugsmöglichkeiten gibt." Überleben mit Covid könne auch eine erhebliche Belastung sein. Und für alle, die sich immer noch an die Regeln halten müssen, müssen Bilder wie die aus den Stadien der Fußball-Europameisterschaft ein Schlag ins Gesicht sein.

Stadien sind voll und Junge zahlen drauf

Maike Finnern nennt jenen Satz unaufrichtig, der aus ihrer Sicht am häufigsten gefallen ist: dass junge Menschen – auch Studentinnen und Studenten – sehr gelitten hätten, weshalb sich um sie zu kümmern sei. Zehntausende von Fans in den Stadien passten nicht zu diesem Versprechen. Wenn man im letzten Jahr Schulen und Hochschulen krisenfest gemacht hätte, stünde man jetzt nicht so unvorbereitet da.

Gäste:
Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Johannes Hübner, Pädiatrischer Infektiologe der Universität München
Andrew Ullmann, FDP-Obmann im Gesundheitsausschuss des Bundestages
Gerhard Ehninger, Professor für Innere Medizin der TU Dresden
Moderation: Monika van Bebber

(AB)
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