Delfine für die Digitalkamera

Von Ernst-Ludwig von Aster · 14.09.2013
Das maritime Nadelöhr der Straße von Gibraltar, wo sich Atlantik und Mittelmeer verbinden, ist ein Paradies für Delfine, Orcas, Pott- und Finnwale. Lange Zeit war das unbekannt, bis eine Stiftung mit der Erforschung der Meeressäuger begann.
Jörn Selling schüttelt immer wieder den Kopf. Navigiert mit der einen Hand durch die Wettermeldungen auf dem Computerbildschirm, hält mit der anderen das Telefon. Der Meeresbiologe ist genervt. Vor seinem Info-Tresen wartet ein Pärchen aus Frankreich.

Seit 15 Jahren beobachten Selling und seine Kollegen Wale und Delfine in der Meerenge von Gibraltar. Und nehmen Touristen mit auf Exkursionen. Hier von Tarifa aus, dem legendären Surferort an der spanischen Südküste.

Jörn Selling legt auf. Erläutert dem französischen Pärchen den Wetterbericht. Zuviel Wind in Tarifa, um rauszufahren und Wale zu beobachten. Schon vor Tagen mussten sie ihr Exkursionsboot nach Nordosten ins 25 Kilometer entfernte Algeciras verlegen.

Fünf Minuten später kommt Katharina Heyer durch die Tür. Die Haare wild zerzaust, ein großes Schlüsselbund um den Hals. Die Erschöpfung ist der 70-Jährigen anzusehen:

"Die letzten Wochen waren echt schwierig, wie ich es seit 15 Jahren nicht kenne, wir haben so starken Wind gehabt und zwar über so lange Zeit, dass wir wirklich verbannt waren an Land zu bleiben. Und das ist immer sehr schwierig ..."

Die zierliche Schweizerin holt sich ein Glas Wasser. Vor 15 Jahren kommt die begeisterte Hobbytaucherin das erste Mal nach Tarifa, da arbeitet sie noch als Designerin für internationale Sportkonzerne, managt ein eigenes Unternehmen. Ein Freund gibt ihr einen Tipp:

"Dieser Mann hat mir gesagt: Dann gehe mal nach Tarifa, da unten hat es Orkas und Delphine. Und ich habe zu ihm gesagt, das glaubst du ja selber nicht, im Süden von Spanien Orkas. Ich habe dann auch hier das einzige Tauchboot, was es damals gab, gechartert und bin dann rausgefahren. Und wir haben auf Anhieb Grindwale und große Tümmler gefunden."

Die Vielfalt der Meeressäuger fasziniert die Hobbytaucherin. Sie kontaktiert Meeresbiologen, die suchen nach wissenschaftlichen Publikationen über die Wal- und Delfinvorkommen. Es gibt keine. Daraufhin gründet Heyer die Stiftung "firmm", verkauft ihr Unternehmen, bringt Teile ihres Privatvermögens ein, gewinnt Meeresbiologen für den Stiftungsrat. "Firmm" steht für "Foundation for information and research on marine mammals", eine Stiftung, die Meeressäuger erforschen und über sie informieren will.

"Wir haben hier drei Populationen von Delfinen, und dann haben wir den Grindwal. Zu gewissen Jahreszeiten kommen noch die Großwale. Und da gehört natürlich der Orka dazu, dann haben wir vom Frühling bis in den Juli hinein die Pottwale. Und dann haben wir hier noch Finnwale, die hier vorbeiziehen …"

Eine Stunde später geht Katharina Heyer im Hafen von Algeciras an Bord der Fly Blue, dem jüngsten, knapp 17 Meter langen Boot der Stiftung. 60 Passagiere warten schon, rund die Hälfte hat einwöchige Bildungstouren, Vorlesungen und Exkursionen gebucht.

"Wir müssen uns selber finanzieren über die Fahrten. Und das war in den ersten Jahren nicht möglich. Und deshalb musste ich dann immer noch mehr und nochmals was reinbringen. Aber seit den letzten Jahren, wo wir die großen Boote haben, können wir uns selber finanzieren."

Katharina Heyer schlüpft in eine rote Windjacke, greift zur Sonnenbrille mit Sicherheitsband:

"Der Anfang war sehr, sehr hart. Denn ich bin natürlich eine Frau aus einem Land, wo es kein Meere gibt, wo es keine Wale gibt. Und hier in diesem Macho-Land war das echt nicht einfach. Man hat mich denunziert für alles, was man nur konnte, man hat mir die ganzen Schilder am Laden beschädigt, man hat mir sogar Feuer in den Motor gelegt. Es hat viele Jahre gedauert. Aber heute werde ich doch mindestens auch unterstützt von Spaniern selber."

Heute referieren Firmm-Mitarbeiter in Behörden und Schulen, regelmäßig kommen Schüler, Studenten und Wissenschaftler zu Exkursionen auf die Schiffe.

Die Fly Blue legt ab, nimmt Kurs auf die Bucht von Algeciras, fährt vorbei an großen Containerschiffen, die vor Gibraltar auf Reede liegen. Ein graues Küstenschutzboot der Guardia Civil zieht vorbei. Die Straße von Gibraltar ist heute die am schärfsten kontrollierte Meerenge der Welt. Nur 14 Kilometer trennen hier Europa von Afrika. Tausende Flüchtlinge versuchen jedes Jahr mit Booten nach Spanien zu gelangen. Hunderte ertrinken bei dem Versuch. Meist in der Nacht.

Tagsüber bekommen Katherina Heyer und ihre Gäste davon nichts mit. Die Schweizerin klettert nach oben, auf den Ausguck. Blickt auf's Meer. Nach einer halben Stunde Fahrt greift sie zum Mikrofon:

"Auf elf Uhr vorne haben Sie die ersten Delfine…"

Der Kapitän drosselt die Geschwindigkeit, die Passagiere drängen aufs Vorderdeck. Einige Delfin-Mütter mit ihren Jungtieren umkreisen das Boot. Dutzende Digitalkameras schwenken den Tieren hinterher, Kinder staunen begeistert.

Nach zwei Stunden klettert Katharina Heyer vom Ausguck nach unten, nimmt einen Schluck Wasser, verschnauft kurz auf einer Metallkiste.

"Und man kann hier eben auch konzentriert die Gefahren zeigen. Man sieht, wenn man rausfährt, täglich die großen Schiffe. Von der Überfischung hört man sicher. Das ist schon eine ganz spezielle Gegend hier. Und die Spannung, was überlebt, was kann überleben, wird eigentlich von Jahr zu Jahr schlimmer…"

Nach zweieinhalb Stunden macht die Fly Blue wieder im Hafen von Algeciras fest. Katharina Heyer verabschiedet jeden Besucher persönlich. Sie hat nicht zu viel versprochen: Es gibt Delfine, Grindwale und Orkas in der Straße von Gibraltar.