Defizite eines Symbols
Darwins "Baum des Lebens" symbolisiert das Urbild der Evolutionstheorie. Anhand dieses Bildes verdeutlichte der Forscher die Entstehung der Arten. Doch der Baum als Bild für die Evolutionstheorie eignet sich nur bedingt. Dass sich Darwin darüber im Klaren war und weshalb er dennoch zu diesem Symbol griff, erklärt Horst Bredekamp in seinem Buch "Darwins Korallen".
Unter den Fundstücken, die der 28-jährige Naturforscher von seiner Weltreise mit der "Beagle" mitbrachte, befand sich ein Organismus, wie man ihn seit jeher in Kunst- und Wunderkammern antreffen konnte: eine Koralle. Kurz danach brachte er ihr Abbild auch zu Papier: Punkt, Punkt, Komma, Strich. Keine künstlerische Meisterleistung - Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, hat immer sein mangelndes Zeichentalent bedauert.
Aber die zwei fächerartigen Skizzen, ihre Struktur wird sich auf sein gesamtes Werk erstrecken. Ihre eigentliche Bedeutung freilich war bislang unbekannt. Stattdessen kennt alle Welt den "Baum des Lebens" als Urbild der Evolutionstheorie, womit der Überlebenskampf der Arten symbolisiert wird. Der Baum, von heilsgeschichtlichem Ursprung, zeichnet eine Entwicklung des Niederen zum Hohen nach. Er bedeutet eine klare Hierarchisierung: Die niederen Arten stehen unten und oben der Mensch als die Krone der Schöpfung.
Darwin wusste um die Mängel der Baummetapher, so die These des Kunsthistorikers Horst Bredekamp, der seit Jahren an der Nahtstelle zwischen Kunst und Naturwissenschaft forscht, in seiner hochspannenden Abhandlung. Arten, die sich einander annähern, sind in Baumform schwer darstellbar, benachbarte Zweige bleiben immer getrennt und noch unlösbarer ist damit das Problem, wie aus abgestorbenen Ästen gar neue entstehen sollten. Kurzum: der Baum ist kein ideales Bild. "Der Baum des Lebens", vermerkt Darwin einmal an versteckter Stelle, "sollte vielleicht die Koralle des Lebens genannt werden." Die hat nämlich den Vorteil der nicht-hierarchischen Struktur, die einzelnen Stränge verästeln sich und können zusammenwachsen, und selbst aus Fossilien entsteht neues Leben. Wie das Netz bietet sie den Vorteil einer in alle Richtungen erweiterbaren, anarchischen Ordnung, die der Evolution in jeder Hinsicht gerecht würde.
Warum aber hat Darwin sich dann doch gegen diese Wundermetapher entschieden? Es war wissenschaftlicher Opportunismus, der schließlich den orthodoxen Baum triumphieren ließ. Im Wettlauf mit seinem Konkurrenten Albert Wallace, der ohne erkennbaren Zweifel auf das altbewährte Bild zurückgegriffen hatte, schrieb er 1859 in nur neun Monaten sein epochemachendes Werk über die "Entstehung der Arten". Er wollte Entdecker der Evolution bleiben und wagte wohl nicht, an den geheiligten Baum die Säge zu legen. Allerdings erwähnt er bei der Beschreibung des evolutionären Prozesses, der Beziehungen und Verbindungen der Artengenese, kein einziges Mal das Wort "Baum". Vielmehr, und das weist Bredekamp minutiös nach, folgt er darin bis in die kleinste Verästelung seiner Zeichnung und der Struktur der Koralle aus Patagonien. Als Bildzeichen scheint sie unter der Hand an der Theoriebildung mitzuwirken. Dass Darwin im Herzen, ohne es je in Worte zu fassen, letztlich doch zur Koralle neigte, ist für den Kunsthistoriker Bredekamp Ausdruck der "schöpferischen Kraft des Ornaments" - und des poetischen Teils der Evolutionstheorie, der oftmals verdrängt wird. Schließlich bestimmt auch die Schönheit bei der Wahl der Partner – als Gegenprinzip zum Lebenskampf, zum "survival of the fittest".
Horst Bredekamp: Darwins Korallen. Frühe Evolutionsmodelle und die Tradition der Naturgeschichte
Wagenbach-Verlag Berlin 2005
128 Seiten, 18,50 Euro
Aber die zwei fächerartigen Skizzen, ihre Struktur wird sich auf sein gesamtes Werk erstrecken. Ihre eigentliche Bedeutung freilich war bislang unbekannt. Stattdessen kennt alle Welt den "Baum des Lebens" als Urbild der Evolutionstheorie, womit der Überlebenskampf der Arten symbolisiert wird. Der Baum, von heilsgeschichtlichem Ursprung, zeichnet eine Entwicklung des Niederen zum Hohen nach. Er bedeutet eine klare Hierarchisierung: Die niederen Arten stehen unten und oben der Mensch als die Krone der Schöpfung.
Darwin wusste um die Mängel der Baummetapher, so die These des Kunsthistorikers Horst Bredekamp, der seit Jahren an der Nahtstelle zwischen Kunst und Naturwissenschaft forscht, in seiner hochspannenden Abhandlung. Arten, die sich einander annähern, sind in Baumform schwer darstellbar, benachbarte Zweige bleiben immer getrennt und noch unlösbarer ist damit das Problem, wie aus abgestorbenen Ästen gar neue entstehen sollten. Kurzum: der Baum ist kein ideales Bild. "Der Baum des Lebens", vermerkt Darwin einmal an versteckter Stelle, "sollte vielleicht die Koralle des Lebens genannt werden." Die hat nämlich den Vorteil der nicht-hierarchischen Struktur, die einzelnen Stränge verästeln sich und können zusammenwachsen, und selbst aus Fossilien entsteht neues Leben. Wie das Netz bietet sie den Vorteil einer in alle Richtungen erweiterbaren, anarchischen Ordnung, die der Evolution in jeder Hinsicht gerecht würde.
Warum aber hat Darwin sich dann doch gegen diese Wundermetapher entschieden? Es war wissenschaftlicher Opportunismus, der schließlich den orthodoxen Baum triumphieren ließ. Im Wettlauf mit seinem Konkurrenten Albert Wallace, der ohne erkennbaren Zweifel auf das altbewährte Bild zurückgegriffen hatte, schrieb er 1859 in nur neun Monaten sein epochemachendes Werk über die "Entstehung der Arten". Er wollte Entdecker der Evolution bleiben und wagte wohl nicht, an den geheiligten Baum die Säge zu legen. Allerdings erwähnt er bei der Beschreibung des evolutionären Prozesses, der Beziehungen und Verbindungen der Artengenese, kein einziges Mal das Wort "Baum". Vielmehr, und das weist Bredekamp minutiös nach, folgt er darin bis in die kleinste Verästelung seiner Zeichnung und der Struktur der Koralle aus Patagonien. Als Bildzeichen scheint sie unter der Hand an der Theoriebildung mitzuwirken. Dass Darwin im Herzen, ohne es je in Worte zu fassen, letztlich doch zur Koralle neigte, ist für den Kunsthistoriker Bredekamp Ausdruck der "schöpferischen Kraft des Ornaments" - und des poetischen Teils der Evolutionstheorie, der oftmals verdrängt wird. Schließlich bestimmt auch die Schönheit bei der Wahl der Partner – als Gegenprinzip zum Lebenskampf, zum "survival of the fittest".
Horst Bredekamp: Darwins Korallen. Frühe Evolutionsmodelle und die Tradition der Naturgeschichte
Wagenbach-Verlag Berlin 2005
128 Seiten, 18,50 Euro